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Montag, 25. September 2023

Catel, Charles-Simon - Semiramis

Vor Rossini


Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Hier ist leider keine rundum überzeugende Gesamteinspielung von Charles-Simon Catels Tragédie lyrique 'Sémiramis' geglückt, auch wenn das Orchester mit Herzblut bei der Sache ist.

Der Name Charles-Simon Catel ist heute selbst unter Kennern der Musikgeschichte keineswegs mehr geläufig, obschon er eine bedeutende Musikerpersönlichkeit während der Zeit der französischen Revolution war. 1773 geboren, war er gerade im rechten Alter, um von 1792 bis 1797 nicht weniger als 25 Werke für revolutionäre ‚fêtes nationales‘ beizusteuern. Außerdem schuf er in jener Zeit vor allem Kammermusikwerke. 1802 legte er eine Harmonielehre vor und wandte sich im selben Jahr der Oper zu. Die Tragédie lyrique 'Sémiramis' nach Voltaire war sein Erstlingswerk, sie erlebte ihre Uraufführung an der Pariser Oper am 4. April 1802. Nach den Misserfolgen seiner beiden letzten Opern 1818 und 1819 stellte Catel das Komponieren ein und wandte sich privatim der Gartenpflege zu; 1830 starb er 57-jährig.

'Sémiramis' weist die typische dreiaktige Form auf und dauert gut über 100 Minuten. Im Grunde schreibt Catel eine Gattung fort, die im Absterben begriffen war (Cherubini schuf nur mehr eine Tragédie lyrique, 'Démophon', noch vor der französischen Revolution). Catels Musik ist überraschend vielgestaltig. Nach einer Ouvertüre, die in ihrer orchestralen Klanglichkeit eindeutig ein Vorfahr Berlioz‘ ist, begegnen wir kurz fast wienerisch anmutender Musiksprache, ehe wir die Sphären der Tragédie lyrique betreten. Der Gattung der Revolutionsoper stehen wir hier fast ebenso fern wie der klassizistischen Oper. Exotistische Marschrhythmen finden wir ebenso wie Klänge aus längst vergangenen Tragédies Rameaus oder anderer; gleichzeitig ist die Harmonik immer wieder ausgesprochen modern. Gerade in dieser Mischung ist Catels 'Sémiramis' sicherlich ein ausgesprochen interessantes Zeitdokument.

Die Interpretin der Titelpartie, die Schweizer Mezzosopranistin Maria Riccarda Wesseling kann erst eine kurze Karriere vorweisen. 2006 machte sie Furore als Einspringerin in Glucks 'Iphigénie en Tauride' in Paris. Wesseling ist schlankstimmig, manche dramatische Passagen kann nur unter Druck bilden, gerade ihre Höhe ist ungeschützt und gelegentlich vibratolastig oder forciert. Dabei handelt es sich um eine ausgesprochen attraktive Partie, eine Art Didon oder Medée. Man spürt aber, dass Wesseling noch nicht ganz jene Tiefe erlangt hat, die der Rolle anstände.

Der junge Tenor Mathias Vidal, der bereits eine ganze Reihe Tonträgereinspielungen vorgelegt hat, singt den Arzace, den unter falscher Identität eine erfolgreiche Karriere als Feldherr verfolgenden Sohn der Sémiramis, Ninias (Sémiramis‘ Gatte und angeblich auch der Sohn waren durch Assur umgebracht worden, damit dieser die Macht an sich reißen könnte). Der von der Mutter Unerkannte wird von derselben als neuer Gemahl gewählt, und der so begonnene ‚Jokaste-Konflkt‘ (wenn man so sagen kann) führt das Drama seinem blutigen Ende zu. Vidal ist von der Essenz ein leichter, fast ‚haute-contre‘ Tenor, dem es an den in der Partitur auch geforderten heldischen Qualitäten ein wenig mangelt. Vor allem aber verfällt Vidal gelegentlich ins Chargieren, was seinem Part in keinster Weise gemäß ist. Natürlich hat Rossini 21 Jahre später die Rolle gänzlich anders angelegt, vor allem ohne jedwede Möglichkeit, sich in der Partie nicht vollends zu verausgaben (sie war eine Paraderolle Marilyn Hornes) – hier gelingt Vidal nicht die vollständige Identifikation mit der Rolle.

Die Prinzessin Azéma, Arzaces Geliebte, findet in der Sopranistin Gabrielle Philiponet eine Interpretin, die überraschend häufig wie eine junge, nicht ganz unter ‚Volldampf‘ singende Edda Moser klingt, ohne zwischen den Opéra-comique-haften und den lyrischen oder dramatischen Passagen einen wirklich runden Charakter zu erschaffen. Vor allem beeinträchtigt ihre vokale Präsenz mehrfach die sie umgebenden Partien, was natürlich nicht wirklich ihr anzulasten ist.

Nicolas Courjal (als intriganter Mörder Assur) und Andrew Foster-Williams (als Hohepriester Oroès) gelingt es, wie so vielen Fachexponenten der Vergangenheit, nicht, das Chargieren zu vermeiden. Wenn ein Bassbariton ein Tremolo in die Stimme zwingen muss, um Bewegtheit, Wut oder Ergriffenheit zu vermitteln, befinden wir uns beim besten Willen in den absoluten Niederungen des französischen Operngesangs.

Wie schade es doch ist, dass schlussendlich, trotz des wirklich mit Herzblut aufspielenden Concert Spirituel unter Hervé Niquet, keine überzeugende Operngesamtaufnahme geglückt ist, vor allem durchs Chargieren diverser Solisten und eine etwas schwache Sängerin der Titelpartie. Der sorgsame Zugriff, den Niquet dem Orchesterklang angedeihen lässt, ist beeindruckend – die Vielfalt der herrlichen Klangeffekte ist kaum zu zählen (besonders beeindruckend vielleicht die Blechbläser, deren spezifischer Ton zu besonderem Effekt eingesetzt wird). Da bietet der Chor keine gleichwertige Leistung, auch wenn die seine noch allenthalben steter ist als die mancher Solisten (ein sehr schöner kompositorischer Einfall der Chor der Verschwörer zu Beginn des dritten Aktes). Die Aufnahmetechnik ist tadellos, das mehrsprachige Booklet führt gut in das Werk ein, doch erfährt man nichts über die Interpreten; die Verpackung in zwei CD-Slimcases scheint gewollte, nicht wirklich überzeugende Masche.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Catel, Charles-Simon: Semiramis

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Glossa
2
01.09.2012
Medium:
EAN:

CD
8424562016255


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Glossa

Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster.


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