
Rossini, Gioachino - Sigismondo
Missverhältnisse
Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese Aufzeichnung von Rossinis weitgehend unbekanntem 'Sigismondo' überzeugt vor allem in musikalischer Hinsicht. Die aktualisierende Inszenierung ist, trotz Abweichungen vom Libretto, schlüssig.
Die Vielfalt der Vergangenheit ist uns allen in nur noch marginalstem Maße bewusst – vielleicht ein Fünfzigstel der Produktion ist uns vielfach heute aus bestimmten Epochen bekannt, teilweise auch nur entsprechend wenig überliefert. Dass immer noch einzelnen Komponisten Noteneditionen in der Tradition des späten 19. Jahrhunderts gewidmet werden, die alle, selbst die nebensächlichsten Kleinkompositionen umfassen sollen, ist im Grunde insofern eklatant unangemessen, als gerade die Kontextualisierung der einzelnen Komponisten heute von immer größerer Bedeutung sein sollte und ihre Errungenschaften teilweise innerhalb kürzester Zeit relativieren könnte. Natürlich lassen sich ‚Leuchttürme‘ besser bewerben und erforschen als die ganze Vielfalt einer Epoche – doch gerade diese Vielfalt befruchtete sowohl die damalige Gegenwart als auch die nachfolgenden Generationen.
Das soll nicht heißen, dass nicht auch lange vergessene Schöpfungen auch dieser ‚Leuchtturm-Komponisten‘ der Wiederbelebung harren. Rossinis 'Sigismondo' ist ein solcher Fall (neu ediert von Paolo Pinamonti), bereits 1992 unter Leitung von Richard Bonynge in Rovigo auf die Bühne gebracht (auch die Aufführung in Bad Wildbad 1995 unter Marc Andreae wurde auf CD vorgelegt). Weihnachten 1814 in Venedig uraufgeführt, handelt es sich um eine vom Sujet her ausgesprochen typisches Werk: Eine fälschlich verdächtigte Ehefrau wird zum Tode verurteilt, überlebt aber in der Verbannung unter falscher Identität und wird nach diversen Irrungen und Wirrungen mit dem unschuldig leidenden Ehemann wieder vereint. Im Grunde benötigt eine solche Handlung nicht mehr als vier Hauptpersonen: den Ehemann (hier König Sigismondo von Polen, Mezzosopran), seine Frau (Aldimira, Sopran), den intriganten ersten Minister (Ladislao, Tenor) und den Retter und Beschützer der Frau (Zenovito, Bass). Außerdem gibt es noch den Vater der ‚verlorenen‘ Ehefrau (Ulderico, entmachteter König von Böhmen, Bass). Gerade die Männerrollen sind diesmal die gebrochenen Charaktere, anstelle der Wahnsinnsszene für die Heroine machen sich hier sowohl der Ehemann, der seine Frau immer noch liebt, als auch der Intrigant schwerste Vorwürfe.
Dass die musikalische Seite der nun vorgelegten Produktion vom Rossini-Opernfestival Pesaro 2010 aus dem Teatro Rossini nahezu tadellos ist, kann kaum überraschen. Der junge, aus Pesaro gebürtige Dirigent Michele Mariotti hat ein natürliches Gespür für Rossinis reiche Partitur, die Rossini für andere Werke plünderte, nachdem sich 'Sigismondo' als Flop erwiesen hatte. In brillanter Aufnahmequalität (die DVD wurde auch als Blue-ray Disc vorgelegt) sind die Leistungen aus Pesaro jedoch nicht um Klassen besser als jene achtzehn Jahre zuvor. Besonders die Schlussszene des zweiten Aktes wirkt nicht wirklich mit der vorhergehenden Szene verbunden – ein Problem, das manche Rossini-Finali Dirigent und Regisseur stellen; musikalisch wurde es hier nicht gelöst, konnte der Spannungsbogen doch nicht gehalten werden.
Äußerst kunstvoll haben Rossini und sein Librettist die Titelfigur in der gesamten Oper vokal eher im Hintergrund angesiedelt. Gerade durch die Absenz von eigenen Arien wird die ganze Tragik Sigismondos umso stärker greifbar. Von der Regie mit einer ausgesprochen anspruchsvollen Aufgabe betraut, zeigt sich Daniela Barcellona ihrer Aufgabe sowohl darstellerisch als auch vokal bestens gewachsen. Ihre fein ausgearbeitete Rollenausdeutung triumphiert auch ohne die Optik, wohl das größte Kompliment, das man einer Singdarstellerin machen kann – und zusammen mit der szenischen Komponente ist ihre Darbietung von größtmöglicher Intensität.
Voller dramatischen Ausdrucks ist die Aldimira Olga Peretyatkos. Hier haben wir eine Sängerin, die rein musikalisch mit Leichtigkeit die Bühne beherrschen könnte, hier aber ganz als Ensemblekünstlerin agiert. Die gebürtige Russin, seit Jahren eine ausgewiesene Spezialistin für die großen Koloraturrollen des frühen 19. Jahrhunderts, bewältigt ihre großen Duette mit Ladoslao und Sigismondo sowie ihre große Arie im ersten Akt mit scheinbar unerschöpflichen Reserven, bestens sitzenden Koloraturen, einer unmittelbar zu spürenden Wärme in der Stimme, die der Partie ausgezeichnet ansteht.
Antonino Siragusas Tenor ist für die Rolle des Ladislao bestens geeignet. Seine Stimme hat nicht wirklich die Qualitäten eines ‚Tenore di grazia‘, auch wenn er koloraturensicher ist; immer wieder wirkt sie einen Hauch ungepflegt, gelegentlich (wenn auch nur wenig) unangenehm gepresst, immer wieder nicht ganz sicher auf dem Ton, vor allem aber im Grunde unsinnlich. Aber gerade so überzeugt er in seiner vielleicht stärker, als wenn er musikalisch Peretyatko und Barcellona tatsächlich voll ebenbürtig wäre. Als Gegenstück Ladislaos ist seine Schwester Anagilda angelegt und in der vorliegenden Produktion sogar besetzt: Manuela Bisceglie hängt dem Metrum gerade in ihrer großen Arie im zweiten Akt immer wieder hinterher, ihre Stimme ist ähnlich approximativ wie Siragusas, wenn auch höhensicher (und immer wieder ein bisschen wacklig im Ton).
Für den Beginn der Arie des Zenovito im ersten Akt hat Rossini sich einen besonderen Effekt einfallen lassen – ein Kontrabasssolo. Leider gelingt es Andrea Concetti nicht, die musikalisch vorgegebene Stimmung durch eine Stimme eines echten Basso cantante zu füllen; weder ist sein Timbre besonders charakteristisch noch nobel oder koloraturengewandt. Gerade seine vokale Mittelmäßigkeit korreliert kaum mit dem Regiekonzept, das auf Akkuratesse und Prägnanz angelegt ist. Als Ulderico gewinnt Concetti sogar noch weniger Profil als als Zenovito.
Der Männerchor des Teatro Comunale di Bologna (Chordirektion Paolo Vero) hat die bei vielen von Rossinis Opern übliche eher untergeordnete Rolle in den Eckpartien der beiden Akte sowie in der Mitte des ersten; seine Leistung ist passabel, jedoch nicht herausragend; von echter Präzision oder Stimmkultur kann nicht wirklich die Rede sein.
Damiano Michieletto hat den ersten Akt der Handlung dieser einer der unbekanntesten von Rossinis Opern in eine Irrenanstalt verlegt, den zweiten in einen baugleichen Saal mit abgestellten Büromöbeln (die Epoche ist nicht recht festzulegen, da Carla Tetis Kostüme sowie die Requisiten teilweise nicht recht zu dem äußerst stimmigen, wohl um 1914 angesiedelten Bühnenbild Paolo Fantins passen), und die ausgezeichneten darstellerischen Leistungen tragen diese ansonsten durchaus nicht unproblematische Adaption, mit der die Irrealität der typischen Opernhandlung im Grunde abgeschwächt wird. Leider ist es ja heute eher die Regel als die Ausnahme, das Libretto einer Oper mit den Füßen zu treten, doch funktioniert hier (sofern man sich von der ursprünglichen Handlung distanziert) wider Erwarten die Umsetzung – vor allem durch die vorzüglichen Leistungen sowohl der Solisten als auch des Chors. Selbst die in italienischen Opernhäusern übliche schematische Gestik wird immer wieder konterkariert und dadurch gebrochen. Allerdings muss bezweifelt werden, ob Michieletto mit seinem Konzept Foppas und Rossinis Werk szenisch tatsächlich gerecht wird.
Dass es immer wieder Merkwürdigkeiten gibt, zeigt sich auch in der Nutzung des Hammerklaviers zur Begleitung der Secco-Rezitative, während das Orchester des Teatro Comunale Bologna natürlich nicht historisch informiert spielt und auch die Sänger gar nicht erst vorgeben, sich mit der Gesangstechnik des frühen 19. Jahrhunderts wirklich vertraut gemacht zu haben. Wen diese Missverhältnisse nicht stören und auch nicht primär interessiert, Rossinis und Foppas Opernhandlung kennenzulernen, die nicht einmal im Booklet im Detail Erläuterung findet (das sich vor allem apologetisch in den Gründen für die Modernisierung der Handlung ergeht), der erlebt beeindruckendes Musiktheater. Ich für meinen Teil werde mir wahrscheinlich eher die Musik ohne das Bild anhören, um Rossini und Foppa näher zu sein.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Rossini, Gioachino: Sigismondo |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Monarda Music 1 17.09.2012 |
Medium:
EAN: |
DVD
807280164893 |
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Monarda Music Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
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