
Reger, Max - Orgelsuiten Nr. 1 & 2 Vol. 12
Kontrastprogramm
Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Insgesamt ist Kirsten Sturm eine gute, stimmungsvolle Einspielung der Orgel-Suiten von Max Reger gelungen.
Die beiden Orgelsuiten führen seit Langem eher ein Schattendasein neben den anderen großen Orgelkompositionen Max Regers. Der Grund liegt möglicherweise in der eher unentschiedenen Namensgebung: Während die 1894-5 entstandene Erste Suite in e-Moll op. 16 eine von der Form her zwar ungewohnte, aber doch im Grunde eine viersätzige Sonate ist, macht die 1905/6 entstandene Zweite Suite in g-Moll op. 92 mit ihrer Siebensätzigkeit dem Suitenkonzept durchaus Ehre. An anderer Stelle (Mitteilungen der Internationalen Max Reger Gesellschaft Nr. 19, 2009) habe ich die Entstehung und Form beider Werke ausführlicher behandelt und seinerzeit auch die damals existierenden Einspielungen gewürdigt. Kirsten Sturm schließt mit ihrer Neueinspielung im Rahmen der Naxos-Reger-Orgelgesamtaufnahme nahtlos an diese Würdigung an (diverse neue Gesamteinspielungen sind in der Pipeline) und bietet mehr als nur eine gute Alternative zu dem bisher Vorliegenden (die einzige lieferbare weitere Einspielung beider Suiten entstand 1989 durch Rosalinde Haas; Christoph Bosserts Einspielung der Ersten Suite 1993 für Intercord ist seit der Übernahme durch EMI nicht mehr lieferbar). Muss rückblickend die 1989 gewählte Orgel als durchaus ernstzunehmendes Problem angesehen werden, so haben wir hier eine Orgel, die den Anforderungen und Möglichkeiten der beiden Werke deutlich angemessener ist. Die Klangfarben der Sandtner-Orgel des Rottenburger Doms (1979/2003) sind reich und ansprechend, wenn auch nicht so vielfarbig wie die des von Bossert gewählten (historischen) Instruments.
Kirsten Sturm hat sich bei der Vorbereitung ihrer Einspielung die Arbeitsstelle der neuen Reger-Werkausgabe besucht, um Zweifelsfälle zu diskutieren; umso überraschender muss sein, dass sie ihrer Einspielung die problematischste aller Reger-Orgelausgaben zugrunde legte (die Eingriffe bei der Ersten Suite lassen sich an dem Korrekturexemplar des Editors im Max-Reger-Institut unmittelbar verfolgen), nicht die quellentechnisch deutlich zuverlässigeren Erstdrucke bzw. ihre auch heute noch lieferbaren Nachdrucke (die beiden Bände der neuen Reger-Werkausgabe erschienen erst nach der Einspielung dieser CD). Auch der Bookletautor liegt in vielen Punkten bezüglich der Entstehung der Werke und der Reger’schen Biografie nicht ganz richtig.
Von diesen äußerlichen Einschränkungen abgesehen, ist Sturms interpretatorische Darbietung insgesamt durchaus überzeugend. Häufig spielt sie die von Reger vorgegebenen dynamischen Kontraste nicht so extrem aus, wie es die Partitur fordert (am Ende des ersten Satzes der Ersten Suite etwa einen steten Wechsel zwischen fff und p bzw. pp oder im Basso ostinato der Zweiten Suite ein stetes An- und Abschwellen der Musik von pp bis f und wieder zurück). Regers Dynamik ist schon für Kammer- und Orchestermusiker eine stete Herausforderung, bei der Orgel steigern Raumakustik und Eignung des Instruments die Schwierigkeit der Umsetzung von Regers klaren Forderungen noch.
Wie schwierig der Ersten Suite interpretatorisch beizukommen ist, haben viele Interpreten dadurch offenkundig gemacht, indem sie sie gemieden haben. Auch Sturm gelingt es nicht, etwa die Fuge des ersten Satzes tatsächlich 'Allegro ma non tanto' zu und nicht bloß ‚Andante‘ spielen – Regers Tempovorgaben sind nicht selten überraschend, doch können sie zu überaus überzeugenden Resultaten führen. Im Gegensatz zum langsamen Satz, der an manchen Stellen gar trauermarschartigen Charakter annimmt, wird das komplizierte Intermezzo der Ersten Suite bei Sturm (wie bei den meisten anderen Interpretationen) durch zahllose agogische Spreizungen nicht rundum flüssig musiziert, wirkt teilweise extrem fragmentiert, gerade mit Blick auf die nahezu nachklassische Fuge des ersten Satzes ein durchaus diskussionswürdiger Interpretationsansatz. Ungewöhnlich gestaltet sie das Passacaglia-Thema, das sie klar in zwei Hälften teilt; diese Teilung geht im Verlauf des Satzes unter und verliert damit an Prägnanz. Auch in diesem Satz hält Sturm nicht das Tempo durch, gerade bei einer Passacaglia ist es aber gerade die Strenge des stetig wiederkehrenden Bassthemas, die das Bezwingende ausmachen soll, und dies gerät so ein wenig ins Hintertreffen.
Die Zweite Suite ist im Grunde dreigeteilt, jeweils zwei Außensätze (Präludium und Fuge bzw. Toccata und Fuge) stehen drei Binnensätze gegenüber, wobei ein Basso ostinato, eine Art verkleinerte Passacaglia, das Zentrum bildet. Und es interessant festzustellen, dass Sturm die einzige Interpretin ist, die in der Tempowahl gerade dieses Satzes Regers eigener Einspielung 1913 für Welte Philharmonie-Rollen mit einem veritablen ‚Andante‘ nahekommt. Im Intermezzo fließt im Gegensatz zu jenem der Ersten Suite die Musik hier besser, auch wenn auch hier (wie in den anderen Sätzen) Regers stark von Kontrasten geprägte Dynamikvorschriften kaum ernsthafte Umsetzung erfahren. Am besten gelingt Sturm vielleicht die Romanze, ein raffinierter, dynamisch ausgesprochen anspruchsvoller 'Larghetto'-Satz mit häufigem Manual- und Registerwechsel. Leider krankt ihre Interpretation aber immer wieder an mangelhafter Umsetzung solcher Dynamikvorschriften (etwa ist ein wirklicher Unterschied zwischen pp und unmittelbar darauf folgendem mf gegen Mitte der finalen Fuge kaum wahrnehmbar).
Insgesamt ist Sturm eine gute, stimmungsvolle Einspielung gelungen, die jedoch nicht an das von Reger intendierte Ideal heranreicht. Die Aufnahmetechnik ist erfreulich klar und durchhörbar, auch in den komplexen fff-Harmonien wird der Klang nicht überzeichnet.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Reger, Max: Orgelsuiten Nr. 1 & 2 Vol. 12 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
Naxos 1 30.07.2012 75:12 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
747313282173 8.572821 |
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klassik.com: "Insgesamt ist Sturm eine gute, stimmungsvolle Einspielung gelungen (...)." |
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