
Telemann, Georg Philipp - Sämtliche Ouvertüren TWV55
Gezähmt
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Brilliants Bemühung um einen Teil von Telemanns Ouvertüren ist aller Ehren wert. Die musikalische Umsetzung lässt allerdings nicht alle Farb- und Ausdrucksreichtümer dieser Musik erlebbar werden.
Das Schaffen Georg Philipp Telemanns ist schier unerschöpflich, in nahezu allen vorstellbaren Gattungen. Während aber von seinen 35 Opern nur wenige vollständig erhalten sind, sind von seinen allein über 130 (!) Orchestersuiten (oder Ouvertüren) die meisten überliefert; was die Tonträgerindustrie bislang vorgelegt hat, kratzt gerade einmal an der Oberfläche der Gattung. Da kommt die nun vorgelegte Brilliant-Box gerade recht und versammelt auf acht zwischen 2004 und 2008 eingespielten CDs zumindest 33 dieser Suiten, diverse von ihnen als Wiederveröffentlichungen von CD-Premieren.
Das 1970 gegründete Collegium Instrumentale Brugense, ein historisch informiert auf modernen Instrumenten musizierendes Ensemble, bürgt für Klangkultur und engagiertes Spiel. So wie in den 1960er- bis 1980er-Jahren die Camerata Bern und die Academy of St. Martin-in-the-Fields die Hörästhetik von Musik des 18. Jahrhunderts prägten, so leisten die flämischen Musiker heute ‚Breitenarbeit‘ in Sachen Telemann. Wie sich auch diverse Sinfonieorchester durch die Zusammenarbeit mit historisch informierten Dirigenten besondere Kenntnisse angeeignet haben, so erfrischt auch das Spiel des Collegium Instrumentale Brugense durch sorgsamste Phrasierung und Artikulation, wenn auch kein Bedürfnis nach überspitzenden Akzenten oder Streicherschärfen besteht. Hierdurch ergeben sich manche klangliche Glättungen, zumeist ohne dem Geist der Musik aber Gewalt anzutun (entzückend etwa die 'Vielles Femmes' in der 'Ouverture des Nations anciens et modernes' TWV55:G4; vielleicht hätten aber 'Les moscovites' in der 'Völker'-Ouvertüre TWV55:B5 mit historischen Instrumenten noch eine weitere Dimension erhalten). Besonders eindrucksvoll etwa die im Grunde schlicht für Streicher gesetzten langsamen Sätze aus der berühmten 'Burlesque de Quixotte'-Ouvertüre TWV55:G10, 'Les Flots' in der Ouvertüre TWV55:A2 oder die langsamen Eröffnungen der Ouvertüren TWV55:e7 bzw. TWV55:c4, die dem Klang Raum zum Atmen lassen. Die vorbildliche Aufnahmetechnik entspricht diesem Konzept.
Andererseits werden immer wieder Tutti und besonders Soli durch die Wahl moderner Instrumente klanglich gezähmt (besonders die Trompeten, Hörner und Oboen, doch auch die Violinsoli; etwa in den Ouvertüren TWV55:D18, TWV55:Es1, TWV55:A4, TWV55:B11 und TWV55:h4), manche Sätze erscheinen fast konventionell-retrospektiv dargeboten; das 'Air' der Ouvertüre TWV55:D4 oder die 'Plainte' der Ouvertüre TWV55:D23 reicht fast in nachromantische Gefilde, die Hörner in der 'Alster'-Ouvertüre TWV55:F11 wirken wie merkwürdige Fremdkörper späterer Generationen; bei der Gaillarde der Ouvertüre TWV55:A4 gar fragt man sich, ob wir hier ein Original oder eine Überarbeitung von Respighi, Strauss oder anderen vorliegen haben; besonders schwach die 'Janissaires' in der Ouvertüre TWV55:D17. Ist das wirklich Telemann fürs 21. Jahrhundert oder nicht doch ein fernes Echo früherer Collegium Aureum-Interpretationen?
Leider spiegelt das Booklet (nur auf Englisch und kaum sechs Seiten Text umfassend) nicht die Bedeutung der Produktion, die einmal mehr klar macht, dass man die Majors der CD-Klassikproduktion redefinieren muss: Längst haben Brilliant Classics und ähnliche den altehrwürdigen Großen der Branche, sowohl was die Quantität der Produktionen als auch ihr Gewicht angeht, den Rang abgelaufen – mit minimaler Werbung und echter Hingabe an die Musik. Und leider (dies leider ein konstanter Minuspunkt) unter dem Gesichtspunkt möglichst starker Kostenersparnis beim Booklet. Warum im Falle Telemann (anders etwa bei italienischer oder französischer Barockmusik) auf ein auf modernen Instrumenten spielendes Ensemble zurückgegriffen wurde, bleibt allerdings ein ähnliches Rätsel wie manche Parallelfälle bei dem anderen Branchenriesen Naxos.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Telemann, Georg Philipp: Sämtliche Ouvertüren TWV55 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 8 29.06.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421944111 |
![]() Cover vergössern |
Brilliant classics Brilliant Classics steht für hochwertige Klassik zu günstigen Preisen! Mit den Veröffentlichungen von komplettierten Gesamtwerks- Editionen und Zyklen berühmter Komponisten, hat sich das Label erfolgreich am Musikmarkt etabliert. Der Klassikmusikchef, Pieter van Winkel, ist Musikwissenschaftler und selbst Pianist. Mit seinem professionellen musikalischen Gespür für den Klassikmarkt, hat er in den letzten Jahren ein umfangreiches Klassikprogramm aufgebaut. Neben hochwertigen Lizenzprodukten fördert er mit Eigenproduktionen den musikalischen Nachwuchs und bietet renommierten Musikern eine ideale Plattform. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Brilliant classics:
-
Wie ein Krebs im Bach: Michele Benuzzi überzeugt mit Johann Ludwig Krebs' sämtlichen Cembalowerken. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Spiritistische Klaviermusik : Jeroen van Veen verblüfft mit sämtlichen Klavierwerken von George Gurdjieff und Thomas de Hartmann. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Vielfältiges vom Berliner Hof: Die Kammermusik eines Berliner Hofmusikers Friedrichs des Großen scheint stilistisch ungemein reich. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Jürgen Schaarwächter:
-
Klangprächtig: Ein äußerst ansprechendes Plädoyer für die Musik Friedrich Gernsheims. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Mehr Männer: Drei Countertenöre, ein Sopranist und ein Tenor gegen zwei Soprane. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Es dreht sich nur um einen: Der Klaviertriokomponist Camille Saint-Saëns als Schöpfer und Nachschöpfer. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Kollaboratives Komponieren: Das Label Kairos präsentiert facettenreiche Ensemblemusik des schwedischen Komponisten Jesper Nordin. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Klangprächtig: Ein äußerst ansprechendes Plädoyer für die Musik Friedrich Gernsheims. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Hoher Abstraktionsgrad: Marco Fusi beeindruckt mit Violin-'Werken' Giacinto Scelsis. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Jetzt im klassik.com Radio


Portrait

"Casals kämpfte für den Frieden."
Roger Morelló über seine neue CD, die dem katalanischen Cellisten Pau Casals gewidmet ist.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich