> > > Romantische Klavierquintette: Werke von Ries, Limmer, Hummel u.a.
Sonntag, 1. Oktober 2023

Romantische Klavierquintette - Werke von Ries, Limmer, Hummel u.a.

Mehr als nur Schubert


Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Brilliant fasst in dieser empfehlenswerten Box ehemals einzeln veröffentlichte Aufnahmen frühromantischer Klavierquintette zusammen, die das Bild der Gattung unbedingt bereichern.

In den vergangenen Jahren legte das Nepomuk Fortepiano Quintet bei Brilliant Classics vier Einzel-CDs vor, mit denen das entsprechende Genre des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts erkundet wurde. Einige Namen und einige Werke wurden damit erstmals wieder ins Bewusstsein gerufen (darunter zwei Weltersteinspielungen). Vor allem aber ist es die heute für ungewöhnlich angesehene Besetzung, die auf den ersten Blick auffällt, jene nämlich, die Franz Schubert im ‚Forellen-Quintett‘ nutzte, die aber in damaliger Zeit durchaus keine absolute Rarität war. Diese vier Einzel-CDs werden nun, sinnvoll gekoppelt und mit einem veritablen Booklet versehen, in einer Box vorgelegt: Das Ergebnis ist, das sei vorweggenommen, gerade in seiner Gesamtheit, ein wichtiger Beitrag zur Kammermusikgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts.

Gleich das eröffnende dreisätzige Quintett in h-Moll op. 74 von Ferdinand Ries (1784-1838) ist kein Leichtgewicht. Das 1817 in London erschienene Werk des Beethoven-Schülers verbleibt teilweise durchaus im Fahrwasser des berühmten (Klavier-)Lehrers, doch erfüllt sein Kopfsatz das von Beethoven nicht bediente Genre mit dramatischer Tiefe und musikalischer Wärme. Ein kantables 'Larghetto' (das das Cello mit einem exponierten Solo eröffnet) und ein entzückendes Finale komplettieren das Werk.

Johann Nepomuk Hummels (1778-1837) Quintett es-Moll op. 87 aus dem Jahre 1802 gehört, obschon nur wenig früher entstanden, einer gänzlich anderen Traditionskette an – die Verwurzelung besonders des Kopfsatzes im späten 18. Jahrhundert ist offenkundig. Das Menuett ist da schon progressiver, eine langsame Einleitung zum Finale erfüllt Intermezzo-Funktion, so wie spätere Komponisten dies in anderen Gattungen praktizierten. Das Finale selbst wiederum ist ganz Kind seiner Zeit, aber nicht etwa ohne genügende Substanz (auch wenn es zunächst den Anschein erwecken mag). Das drei Jahre zuvor in London uraufgeführte Quintett in d-Moll op. 74 zeigt ähnliche Qualitäten wie das Schwesterwerk, doch vor allem erweist es, dass wir im Kopfsatz ein eindeutiges Modell für das berühmteste Werk der Gattung haben; ein ausgesprochen einfallsreiches Scherzo weist weit ins 19. Jahrhundert, das Finale bietet Tiefe, Kraft und eine Spielwiese instrumentaler Virtuosität. In beiden Werken zeigt sich, dass Hummel ein ausgezeichneter Komponist war, den es wiederzuentdecken ohne Frage lohnt.

Johann Baptist Cramer (1771-1858), bekannt eher für Klavieretüden als für genuine Kompositionen, erweist sich als Ries und Hummel ebenbürtig – der kraftvolle Zugriff des Nepomuk Fortepiano Quintet tut dem Werk gut und unterstützt die kompositorischen Qualitäten der Komposition – sorgsam ausgearbeitete Kontrapunktik und kluge formale wie harmonische Disposition; Beethoven-Echos sind schnell wieder vergessen. Vielleicht noch einen Hauch stärker einer früheren Generation gehörte Johann Ladislaus Dussek (1760-1812) an, dessen Quintett f-Moll op. 41 gerade von der Satztextur teilweise deutlich altmodischer geraten ist. Doch auch hier gibt es Herrlichkeiten, etwa gegen Ende der Exposition des Kopfsatzes. Gerade durch seinen antikisierenden Duktus erlangt sein 'Adagio espressivo non troppo'-Mittelsatz eine Qualität, die durch das historische Instrumentarium besonders offenkundig werden.

Auch Georges Onslow (1784-1853), der Brite, der in Frankreich seine Karriere suchen musste, erweist sich als hoffnungslos unterschätzter Komponist. Sowohl das große viersätzige G-Dur-Quintett op. 76 als auch das dreisätzige Werk in h-Moll op. 70 zeigen Onslow als genuinen Kammermusiker, der das Zusammenspiel der Instrumente bestens einzusetzen wusste. Beide Werke sind ausgesprochen klug konzipiert: Das G-Dur-Quintett bietet ein witziges Scherzo und ein fast schon impressionistisch zu nennendes, 'Le Coup de Vent' betiteltes Finale; das h-Moll-Quintett ist vom Duktus her deutlich strenger, mit an Beethoven gemahnendem Kopfsatz, einem langsamen Satz à la Auber (oder à la française?) und einem auf Reger vorausblickenden Finale.

Stilistisch Onslow nicht ganz fern ist Franz Limmer (1808-1857). Der in Wien geborene und ausgebildete Musiker, der heute in den großen Musiklexika fehlt, wurde 1835 Chorleiter der Kathedrale von Temeswar, was ihn musikhistorisch posthum schnell in Vergessenheit geraten ließ. Limmers großes Quintett d-Moll op. 13 stilistisch auf Schubert, Weber und anderen Zeitgenossen aufzubauen, bietet aber stilistisch auch durchaus Eigenes, etwa im originellen Finale, mit frappierenden Rhythmen und kontrapunktischen Finessen in Exposition und Reprise, die eigentlich erst Jahrzehnte später gängig wurden.

Natürliches Zentrum der Box ist Franz Schuberts (1797-1828) Quintett A-Dur op. post. 114, das sogenannte Forellen-Quintett. Die Qualität des Werks überstrahlt jene der anderen Kompositionen der Reihe, ohne dass diese tatsächlich als schlechter zu bezeichnen wären. Doch werden in dieser Komposition sämtliche Errungenschaften der Gattung zusammengefasst und überhöht. Natürlich kommt dem Werk hierbei auch seine Popularität zugute, die auch auf die Interpretation abfärbt: Ein so gut bekanntes Werk geht naturgemäß in Fleisch und Blut über, anders als andere, vielleicht ein wenig sperrigere Kompositionen.

Die Interpretation dieser Werke darf als Glücksfall bezeichnet werden. Dass das Ensemble auf die ungewohnte Besetzung abgestimmt ist, ist ein immenser Vorteil, muss doch kein zusätzlicher Musiker erst der eingeschworenen Gemeinschaft beitreten. Die Balance ist exquisit, und auch wenn die Sololeistungen der Streicher vielleicht nicht immer als absolut erstklassig zu bezeichnen sind, entschädigt das Ensemblespiel doch für die wenigen vielleicht nicht ganz optimalen Töne (ich ziehe es sogar L’Archibudellis Interpretation des ‚Forellen-Quintetts‘ mit Jos van Immerseel vor). Die offenkundig vorhandene Vertrautheit mit den Werken wie mit der Besetzung bewirkt insgesamt ausgesprochen stringente, runde Interpretationen, bei denen die jeweilige Wahl des Pianoforte ein Kapitel für sich ist. Für das Quintett von Kiel nutzt Riko Fukuda ein Instrument von Thomas Tomlinson (London 1815), das über überaus warme, teilweise harfengleiche Töne verfügt, insgesamt eher bescheiden im Klangvolumen, gelegentlich im Klang etwas unscharf, bedingt offenbar durch die besonderen Eigenschaften des Resonanzkörpers des Instrumentes selbst; besonders fällt dies im langsamen Mittelsatz auf.

Nicht ganz unähnlich sind die Qualitäten des (insgesamt aber deutlich klarer im Ton) Kirckman-Instruments (London 1798), das für das Dussek-Quintett gewählt wurde. Ein Clementi-Flügel wurde für Cramer gewählt, stärker im Ton, doch von ähnlicher Wärme wie das Tomlinson-Instrument – die Wahl führt zu besonderer Intimität bei der Interpretation der Komposition. Andere Instrumente ist man als Hörer schon gewöhnt, Instrumente von Streicher und Walter oder nach Graf etwa (hier für Limmer und Hummel eingesetzt), Wiener Instrumenten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts also mit schön ausgeglichenem, insgesamt eher leichtem Klang. Ein Flügel von Érard (1837) und ein Pleyel-Instrument von 1842 für die Quintette von Onslow sind landestypisch passend besetzt. Einen besonderen Coup landen die Musiker mit der Wahl eines Salvatore Lagrassa-Instruments von 1815 für den Schubert: Das Instrument wurde bereits bei der Claves-Edition der Beethoven-Klaviersonaten genutzt, es hat einen schönen runden, warmen, sehr ausgewogenen Klang, mit einem ganz leicht harfenartigen Aspekt.

Die Aufnahmetechnik unterstützt die Werke auf das Glücklichste, dem (nur englischsprachigen) Booklet mangelt es etwas an Substanz (Entstehungsdaten der Kompositionen fehlen zumeist, über die Instrumente ist nichts weiter zu erfahren). Insgesamt haben wir hier aber ein überaus wichtige Publikation, der viele interessierte Hörer zu wünschen sind.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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    Romantische Klavierquintette: Werke von Ries, Limmer, Hummel u.a.

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Brilliant classics
4
29.06.2012
Medium:
EAN:

CD
5028421943770


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