
Wagner, Richard - Lohengrin
Mein lieber Schwan 2.0
Label/Verlag: Immortal Performances
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Immortal Performances legen einen klangtechnisch sehr sorgsam restaurierten 'Lohengrin' aus der Metropolitan Opera New York vor.
Dass sich in Rundfunk-, Plattenlabel- und privaten Archiven noch eine unfassbar große Anzahl bislang vergessener historischer Aufnahmen befindet, ist eine Binsenweisheit. Viele dieser historischen Aufführungen haben in Kennerkreisen längst Kultstatus erreicht, so auch der hier vorliegende 'Lohengrin' aus der Metropolitan Opera New York vom 27. Januar 1940, die Tonmeister Richard Caniell erstmals 2004 bei Guild Historical vorgelegt hat. Warum also eine Neuausgabe unter dem Imprint der 1980 gegründeten Immortal Performances Recorded Music Society? Der Grund ist einfach: Erstmals konnte vollständiges Tonmaterial der gesamten Aufführung, inklusive der Rundfunkkommentare und des lange verschollenen Vorspiels, Verwendung finden. Störgeräusche und Verzerrungen, falsche Tonhöhen usw. gibt es zwar auch hier, doch hat sich Caniell daran begeben, nunmehr eine noch weiter optimierte Ausgabe vorzulegen – 'Lohengrin' 2.0 sozusagen.
Die Aufführung ist vielgepriesen, auch wenn ich in der Einschätzung der einzelnen Leistungen nicht ganz mit Caniell konform gehe, der seine Sicht im Booklet erläutert. Fraglos ist Leonard Warren ein Heerrufer von Format, doch wäre ich zögerlich, ihm eine Ausnahmeposition zuzuweisen. Seit 1940 hat es zahlreiche herausragende Heerrufer gegeben, unter ihnen Bryn Terfel oder Thomas Stewart; beider Muttersprache ist Englisch (oder Amerikanisch), und beide beherrschen die deutsche Sprache deutlich besser als Warren, der mit einiger strenger Unterweisung nach einigen Jahren allerdings auch einen respektablen Telramund abgegeben hätte (ähnlich wie Stewart und Terfel). Deutlich präziser als Warren singen Hugh Thompson 1947 unter Fritz Busch oder Arnold Gábor 1937 unter Maurice de Abravanel, beides in der Metropolitan Opera, letztere zwei allerdings weniger klangschön als Warren (doch ist es nicht zentrale Aufgabe des Heerrufers, eine warme Stimme sein Eigen zu nennen).
Emanuel List, berühmt geworden als Bruno Walters Hunding, ist als König Heinrich überraschend leichtgewichtig; fast baritonal klingt er hier, mit einem störenden ‚Wobble‘, das er nicht als Stilmittel einsetzt (wie dies Theo Adam in manchen seiner Rollen so effektvoll verstand). Neben Warren und dem Sänger des Telramund ist der Kontrast zu gering, als dass er rein vokal die Autorität eines Königs ausstrahlen würde. Den Telramund gibt hier der Amerikaner Julius Huehn, dem nur eine kurze Karriere bis zum Zweiten Weltkrieg vergönnt war und der eine durchaus respektable Leistung abliefert; man kann sich vorstellen, dass er auf der Bühne überaus überzeugend war. Musikalisch vermeidet er Überzeichnungen, zu denen weniger stimmlich Begabte Zuflucht ergreifen müssen. Vergleicht man ihn etwa direkt mit Ramón Vinay in Bayreuth, so sind beider Leistungen durchaus vergleichbar (auch wenn sein ‚Mein‘ Äär ist hin‘ schon etwas stört). Als Ortrud hatte Kerstin Thorborg einspringen müssen, eine für die Rolle vielleicht (hier noch) zu leichten Sängerin, deren Intensität nicht vergleichbar ist etwa mit jener der in der Rolle herausragenden Astrid Varnay. Thorborgs Stimme harmoniert gut mit Huehns und auch mit jener Elisabeth Rethbergs. Dieser Mitschnitt dokumentiert das einzige vollständige Rollenporträt von Rethbergs Elsa. Rethberg ist hier den eher dramatischen Rollenvertreterinnen verbunden, einer Maria Müller etwa oder einer Leonie Rysanek, doch mit schlankerer, in der Höhe herrlich ansprechender Stimme. Allerdings singt sie nicht selten etwas zu tief – sicher der Bühnensituation geschuldet –, was die Eindringlichkeit ihrer Darbietung nicht mindert. Ähnlich genuin besetzt ist Lohengrin: Lauritz Melchior gilt bis heute vielen als die Idealbesetzung des Schwanenritters – hört man seine Mischung aus Wärme und Heroik, so ist dies leicht zu verstehen. Sein 'Elsa, ich liebe dich' ist überzeugender als das vieler anderer Rollenvertreter. Die Paarung mit Rethberg ist wegen der ähnlichen rein vokalen Disposition eine besonders glückliche. Es ist nicht überraschend, dass Leinsdorf 1965 für seine Studioproduktion einen ähnlich ‚belkantesk‘ veranlagten Tenor für die Rolle wählte.
Der Chor der Metropolitan Opera schlägt sich mehr als respektabel, auch wenn Leinsdorf teilweise ausgesprochen rasche Tempi anschlägt. Dass Diktion und Homogenität nicht heutigen Maßstäben entsprechen, ist zu vernachlässigen, wissen wir heute doch auch, dass selbst Wilhelm Pitz‘ Chordirektion übertroffen werden konnte. Noch weit überzeugender ist das Orchester der Metropolitan Opera, fein in der Abstimmung, scharf in der Attacke. Der damals noch nicht 28-jährige Erich Leinsdorf überzeugt als dramatischer Dirigent, ähnlich Rafael Kubelík gut dreißig Jahre später, wenn auch mit den damals noch üblichen Kürzungen, vor allem im zweiten und dritten Akt. Seine Bostoner Studioproduktion verfolgt den hier live zu erlebenden Zugang zu dem Werk weiter, nun jedoch ohne jede Kürzung. Auch für seine seine Sängerwahl und deren Rollenanlage ist bereits 1940 das Fundament gelegt.
Man muss der Rundfunkaufnahmetechnik der damaligen Zeit uneingeschränkte Bewunderung zollen. Wie damals Singstimmen und Orchester eingefangen wurden, das wurde vierzig Jahre später in anderen Ländern nicht mehr ganz so perfekt gehandhabt. Es ist im Grunde nicht vorstellbar, dass wir ein Live-Klangdokument vor uns haben, so gut ist die Abstimmung der verschiedenen Kräfte, gleichzeitig ohne die später gerne so störenden Bühnengeräusche.
Richard Caniells Remastering ist, kennt man die früheren Ausgaben des Mitschnittes (auf CD unter anderem früher auf Gebhardt, Arkadia, Membran) ein deutlicher Fortschritt. Er verzichtet auf übertriebene Frequenzbereinigung, was viel zu oft einen synthetischen Gesamtklang zur Folge hat. Allerdings konnte er nicht alle Störungen bereinigen, etwa die berühmten Klicks im ersten Akt, oder Gleichlaufschwankungen der Tonbandquellen, die allerdings auf ein Minimum reduziert sind. Dadurch dass erstmals das originale Vorspiel genutzt werden konnte, besitzt die Produktion neben der noch weiter verbesserten Remasteringqualität auch zusätzlichen dokumentarischen Wert. Das opulente, mehr als 30 Seiten umfassende Booklet ist eine Schatztruhe an Informationen. Caniell selbst steuert zum Booklet zwei umfangreiche Beiträge bei (eine zur Oper, eine zur Aufführung), ergänzt um eine Synopsis und ‚Recording Notes‘, die ich am spannendsten fand; überdies sind Kurzlebensläufe der Interpreten beigefügt. Eine opulent ausgestattet, mustergültig restaurierte weithin bekannte Aufführung, der in dieser Ausgabe weite Verbreitung beschieden sei.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Wagner, Richard: Lohengrin |
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Label: Anzahl Medien: |
Immortal Performances 3 |
Medium:
EAN: |
CD
713757980906 |
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Immortal Performances Immortal Performances returns with new CD releases, this time on its own label. This Canadian-based, federally chartered, non-profit archive has gathered a huge number of historic broadcasts gathered over a 50-year period. Their first 48 albums were released by Naxos, followed with 53 albums by Guild Music. Both companies originally formed their Historical label series in order to release Immortal Performances? restorations. Immortal Performances has spent the past three years searching for the original and finest sources of many historic broadcasts. It has now assembled 48 CD albums of exceptional importance that it proposes to release, the first 8 sets of which are available now. These albums offer the finest sound in the historic-era genre and include extensive notes about the singers, the performance and composer, with biographies and rare production photos. Immortal Performances will continue releasing complete Toscanini broadcasts (1935-1954), exciting recordings from the Metropolitan Opera and European Opera Houses, the Russian Legacy as well as operatic broadcasts in association with Busch Brüder Archiv in Germany and the National Library of Canada. Richard Caniell, its archivist and chief guiding light says, ?I hope our forthcoming releases will corroborate our logos, The Ultimate in Historic Broadcast Recordings.? Mehr Info... |
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