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Sonntag, 1. Oktober 2023

Stephan, Rudi - Memento vivere - sämtliche Lieder

Apart


Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Schaffen des früh verstorbenen Komponisten Rudi Stephan ist diskographisch gut erschlossen. Ein Feld, das Liedoeuvre, war bislang allerdings dürftig bestellt. Dem schafft vorliegende Produktion Abhilfe.

Die jungen Komponisten, die im Ersten Weltkrieg viel zu früh umkamen, waren in Deutschland nur selten Thema, ganz anders etwa als in Großbritannien, wo die in den Jahren 1914-18 gefallenen jungen Komponisten systematisch erschlossen worden sind. Der bekannteste deutsche Komponist, der dieser Kriegsopfer-Generation zuzuzählen ist, ist Rudi Stephan (1887–1915). Der Schüler von Bernhard Sekles in Frankfurt und Rudolf Louis in München hat nur eine überschaubare Anzahl an Kompositionen vorgelegt, die mittlerweile alle auf CD vorliegen. Am bislang schlechtesten repräsentiert waren dabei die Lieder; diese Lücke füllt die vorliegende CD.

Die CD beginnt mit einem zum Epigraph umgedeuteten Lied Modest Mussorgskijs. 'Der Vergessene' passt für den russischen Bassisten (und Bookletautor) Alexander Vassiliev bestens auf das Los des deutschen Komponisten (auch wenn natürlich viele andere Komponisten sehr viel weitgehender vergessen sind als Stephan). Das eigentliche Programm beginnt mit dem einzigen harmoniumbegleiteten Lied Stephans: 'Mitternacht'. Vassiliev bringt für das Stück die erforderliche Düsternis mit, auch den großen Atem. Viele von Stephans Liedern sind eher elegischen oder nachdenklichen Charakters (und lassen so durchaus an Pfitzner denken) – diese besondere Qualität macht die CD zu einem insgesamt eher bedrückenden, aber auch intensiven Erlebnis.

Noch differenzierter als Vassiliev kann aber die Mezzosopranistin Sophie Harmsen die Gefühlswelten Stephans ausloten. Gleich in dem ersten von ihr gesungenen Stück 'Im Einschlafen' bietet sie eine enorme Spannweite an Klangfarben und Zwischentönen, mit der Vassiliev (trotz sehr differenzierter Schattierungen in Richtung Piano und Pianissimo) nicht aufwarten kann. Doch ist der Grund einfach: Harmsen stehen echte Sopranressourcen zur Verfügung, während Vassiliev ein genuiner Basso profundo ist, der aber die 'Zwei ernsten Gesänge' deutlich beeindruckender bewältigt als vor Jahrzehnten Kurt Holl (auf Preiser), außerdem bietet er alternativ eine Frühfassung von 'Memento vivere'; wunderbar fahl seine Klangeinfärbungen in 'Am Abend'. Nicht wirklich störend sind gelegentlich unidiomatische Vokalfarben (‚Froinde‘), abgesehen natürlich von dem auf Plattdeutsch zu singenden 'Up de eensame Hallig', das Vassiliev mehr buchstabiert als interpretiert – eher ist es das durch den Stimmcharakter bedingte etwas eingeschränkte Ausdrucksspektrum, das die Lieder nicht ganz die Wirkung haben lässt, die eine andere Stimme vielleicht ermöglicht hätte. Harmsen dagegen scheint bei allen Liedern, etwa dem avantgardistischen 'Heimat', voll in ihrem Element. Die 'Sechs Lieder' auf Gedichte von Gerda von Robertus (mit dem Titel 'Ich will dir singen ein Hohelied') sind eine echte Entdeckung, die allein schon die CD empfehlenswert machen, zumal in einer derart feinsinnigen Interpretation.

Die israelische Pianistin Miri Yampolsky ist eine ausgezeichnete Klavierpartnerin (sie spielt auf einem Steinway-Flügel von 1901), die viele feine Zwischentöne beisteuern kann, aber keine große Virtuosität an den Tag zu legen braucht. Stephans reiche, gelegentlich auf Bitonalität oder impressionistische Modi à la Debussy Bezug nehmende Harmonik wird kongenial klar und ausdrucksvoll eingesetzt, auch dank der kristallklaren Aufnahmetechnik. Ryoko Morooka hat den kleinen Harmoniumpart übernommen (auf was für einem Instrument?), neben dem erwähnten Lied spielt sie die dreiminütige Musik für Harmonium. Leider kann da das Booklet nicht ganz mithalten; Vassilievs äußerst subjektivem Text mangelt es manchmal an wirklichem Faktenwissen und wissenschaftlicher Sicherheit.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Stephan, Rudi: Memento vivere - sämtliche Lieder

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
MDG
1
18.05.2012
Medium:
EAN:

CD
760623174822


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MDG

Die klangrealistische Tonaufnahme

»Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)

Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung.

Lifehaftigkeit

In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.

Musik entsteht im Raum

Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?

Die Aufnahme

Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.

Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen.


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