> > > Schubert, Franz: Ouvertüren: Operatic Overtures
Montag, 2. Oktober 2023

Schubert, Franz - Ouvertüren: Operatic Overtures

Wieder im Rennen


Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel


BIS legt ältere Aufnahmen der Ouvertüren Franz Schuberts wieder auf. Bei manchen Ouvertüren ist Huss (wieder) die Referenzaufnahme, bei anderen lässt ihn die Konkurrenz hinter sich.

Als Opernkomponist hat sich Franz Schubert trotz immer wieder vorkommender Wiederbelebungsversuche nicht durchsetzen können, obschon etwa 'Die Verschworenen' (1823) ein äußerst dankbarer, musikalisch spritziger Einakter ist. Andere Werke, vor allem die beiden abendfüllenden Opern 'Fierabras' (1823) und 'Alfonso und Estrella' (1821-2), sperren sich im Grunde dem modernen Regietheater und erfordern einen dramaturgisch wie musikalisch langen Atem, lohnen aber allemal eine Erkundung. Zu 'Die Freunde von Salamanka' (1815) und 'Fernando' (1815) fehlen heute die Dialoglibretti, 'Claudine von Villa Bella' (1815) und 'Der Spiegelritter' (1811-2) blieben unvollendet, 'Der vierjährige Posten' (1815) und 'Die Zwillingsbrüder' (1819) sind charmante, aber im Grunde liedhaftere Pendants zu 'Die Verschworenen'. Bleiben die Lustspielouvertüre 'Der Teufel als Hydraulicus' (1811-2, ohne weitere Musik) und 'Des Teufels Lustschloss' (1813-4), die mir noch nicht als Gesamteinspielungen auf Tonträger untergekommen ist.

1997 hat sich die Haydn Sinfonietta Wien, die mittlerweile exklusiv für BIS aufnimmt, dieser zehn Ouvertüren angenommen, erstmals in derart umfangreichem Maße in historisch informierter Aufführungspraxis. Die seinerzeit bei Koch Schwann erschienene CD war lange vergriffen und wird nun (ohne den Vermerk ‚Wiederveröffentlichung‘) als erste Schubert-Produktion des Ensembles bei BIS wieder vorgelegt. Die Haydn Sinfonietta spielt mit wunderbarer Frische und mit wunderbarem Farbenreichtum. Allerdings leidet die Einspielung immer wieder unter unpräzisen Bläsern; vor allem die Hörner sind betroffen. Am fatalsten mögen die Ouvertüren zu 'Die Verschworenen' und 'Der vierjährige Posten' gelungen sein, sind die Hörner doch längst nicht so sauber und auf den Punkt wie in der Gesamteinspielung von 'Die Verschworenen' unter Christoph Sperings mit dem (ebenfalls historisch informiert musizierenden) Neuen Orchester (1996 für Opus 111, heute Naïve); Spering artikuliert und dynamisiert überdies noch exakter. Auch das Spiel des Münchner Rundfunkorchesters ist in der von Heinz Wallberg geleiteten Gesamtaufnahme von 'Der vierjährige Posten' (EMI Electrola 1977) insgesamt deutlich exakter als das der Haydn Sinfonietta.

Solche Probleme stellen sich in der Ouvertüre zu 'Der Teufel als Hydraulicus' nicht ein – die Hörner haben nur eine deutlich untergeordnete Rolle und halten sich auch dort, wo sie hingehören. So kann man sich an den wunderbaren Klangfarben der Haydn Sinfonietta erfreuen; auch in der Ouvertüre zu 'Der Spiegelritter' erscheinen die geringfügig zu tiefen Töne der Naturhörner als organisch integriert. Wie in der Ouvertüre zu 'Des Teufels Lustschloss' ist Huss‘ Lesart dramatischer (auch paukenlastiger) als die Einspielung der Ouvertüren mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Paul Angerer von 1982 (Fono Schallplatten). Und wie viel farbenreicher und spannender ist Huss‘ antiphonales Konzept im Hauptteil der Ouvertüre zu 'Fierabras' (etwa im Vergleich zu Abbados Wiener Live-Mitschnitt der Oper von 1988), wenn das passende Instrumentarium gewählt wird. Auch den Puls der Ouvertüre zu 'Die Freunde von Salamanka' fängt Huss deutlich besser ein als Theodor Guschlbauer in der gerade orchestral nicht gänzlich überzeugenden Gesamteinspielung von der Schubertiade Hohenems (früher Deutsche Grammophon, heute Brilliant Classics).

Weniger drastisch ist der Kontrast bei den Ouvertüren zu 'Die Zwillingsbrüder' (Bayerisches Staatsorchester/Wolfgang Sawallisch, EMI Electrola 1975) oder 'Alfonso und Estrella' (Staatskapelle Berlin/Otmar Suitner, 1978, heute Berlin Classics); bei der kürzeren Einakter-Ouvertüre fällt es schwer zu entscheiden, wer die Nase vorn hat, bei der Ouvertüre zu 'Alfonso und Estrella' entwickelt Suitner eine überzeugendere Stückdramaturgie, die die Wahl des Instrumentariums nahezu vergessen lässt und die gelungenere Interpretation in den Fokus rückt. Auch bei der Ouvertüre zu 'Claudine von Villa Bella' trägt ein anderer die Palme davon, diesmal Lothar Zagroseks Einspielung der Musik der Oper mit dem Symphonieorchester des ORF (1984, erschienen bei Orfeo), der sich auf Schuberts Musik verlässt und das Adagio der langsamen Einleitung nicht überdehnt.

Als Fazit bleibt: Bei manchen Ouvertüren ist Huss (wieder) die Referenzaufnahme, bei anderen lässt ihn die Konkurrenz hinter sich. Gerade wenn BIS nicht darauf hinweist, dass es sich um eine Wiederveröffentlichung handelt, wäre es sinnig gewesen, sich die Aufnahmen nochmals genau vorzunehmen und gegebenenfalls Takes neu einzuspielen. Ein herzliches Plädoyer für Schuberts Opern im Booklet und eine insgesamt akzeptable, gelegentlich eher den Raum als die Interpretation einfangende Aufnahmetechnik komplettieren das Paket.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Schubert, Franz: Ouvertüren: Operatic Overtures

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
BIS Records
1
18.04.2012
Medium:
EAN:

CD
7318590018620


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BIS Records

Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees.


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