> > > Sommer, Hans: Sapphos Gesänge op. 6 / Orchesterlieder (Dahn/Goethe)
Mittwoch, 27. September 2023

Sommer, Hans - Sapphos Gesänge op. 6 / Orchesterlieder (Dahn/Goethe)

Mit großer Geste und introvertierter Tiefe


Label/Verlag: Tudor
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Tudor wartet mit einer Rarität auf: Orchesterliedern von Hans Sommer. Leider kann neben der sehr ansprechenden Elisabeth Kulman der Bariton Bo Skovhus nicht überzeugen.

Dass Hans Sommer (1837–1922), einer der Grundväter des modernen deutschen Musiker-Urheberrechts, auch komponierte, ist heute weitgehend unbekannt. Nur kurz hatte Sommer in der berühmten Kamerafirma Voigtländer gearbeitet, ehe er sich mit 47 Jahren zur Ruhe setzen und seinen Neigungen leben konnte. In Weimar besuchte er eine Meisterklasse bei Franz Liszt, der ihn in seinen kompositorischen Bemühungen ermutigte. Vor allem als Lieder- und Opernkomponist profilierte sich Sommer, und so überrascht es nicht, wenn die hier vorgelegten Orchestergesänge etwas von beidem haben. Mehr aber als liedhaft sind sie jedoch eindeutig dramatisch-episch angelegt; wir haben es selbst bei den kleinsten Miniaturen mit anspruchsvollen, auf Wagner aufbauenden Orchestervokalkompositionen zu tun. Da ist nichts später orchestriert oder nicht orchestral konzipiert, hier ist ein Komponist am Werk, der weiß, was er will.

1883-4 entstanden 'Sapphos Gesänge' op. 6 auf Texte aus dem Versepos der unter dem Pseudonym Carmen Sylva publizierenden Elisabeth Pauline Ottilie Luise zu Wied, Prinzessin von Hohenzollern-Sigmaringen und seit 1881 Königin von Rumänien. Es sind prallgefüllte dramatische Gesänge mit beeindruckenden Steigerungen und herrlichen lyrischen Bögen. Insgesamt sind die Dichtungen vielleicht nicht ganz auf den Punkt (kein Wunder, handelt es sich doch um Auszüge aus einem Epos) – Sommer macht musikalisch das Bestmögliche daraus. Eine beeindruckend angemessene Darbietung bieten die Mezzosopranistin Elisabeth Kulman und die Bamberger Symphoniker unter der Leitung Sebastian Weigles. Weigle, der gleichzeitig mit seinem Onkel Jörg-Peter Weigle an der Hochschule für Musik ‚Hanns Eisler‘ Berlin studierte, hat sich längst als exzellenter Dirigent und herausragender Exponent auch des Schwierigen profiliert. Hier kann er, mit einem entsprechend ausgezeichneten Orchester, musikalisch aus dem Vollen schöpfen. Die 1973 geborene Österreicherin Elisabeth Kulman hat einen ausgesprochen passend reichen, üppigen, warmen Stimmklang, in Momenten an Janet Baker erinnernd. Ihre zumeist bestens ansprechende Stimme (bei gehaltenen Tönen kommt gelegentlich ein leichtes Flackern auf, das von der Melodielinie ablenkt), von der man sich eine 'Alt-Rhapsodie' oder ähnliches wünscht, ist in allen Registern wunderbar abgetönt, dazu haben wir vorbildlichste Textverständlichkeit, auch wenn die Stimme eine leichte ‚Gaumigkeit‘ hat, die auf Dauer etwas ermüdend sein kann.

Etwa zeitgleich mit der Orchesterfassung von 'Sapphos Gesängen' entstand 'Odysseus' op. 11 Nr. 1 auf ein Gedicht Felix Dahns, der sich hocherfreut über die Vertonung äußerte und sich das Stück von seiner Frau auf der Harfe vortragen ließ; die Orchesterfassung, die bemerkenswerterweise ganz auf Streicher verzichtet, folgte erst 1901. Die zweieinhalbminütige Miniatur ist von der Orchesterseite her (zwischen ‚Abendstern‘ und ‚Feuerzauber‘) eine Pracht. Leider scheint sich Bo Skovhus, der den Baritonpart übernommen hat, hier denkbar unwohl zu fühlen. Die Stimme weist unüberhörbare Abnutzungserscheinungen auf. Die einstmals klaren Linien klingen nicht selten strähnig, rau, abgestumpft, ab und an muss er forcieren, besonders die Höhe ist problematisch.

In den Jahren 1919 bis 1922 entstanden die insgesamt zwanzig 'Dichtungen von Goethe in Gesängen mit Orchester' (ohne Opuszahl), von denen hier dreizehn vorgelegt wurden, im Wechsel gesungen von Kulman und Skovhus: 'Der Fischer', 'An den Mond', 'Mailied', 'Wonne der Wehmut', 'Wandrers Nachtlied' (Über allen Gipfeln) und 'Symbolum' – genuine Gedichte, die Sommer ‚umwidmet‘ zu Gesängen, die kaum mehr etwas mit Goethes Dichtungen gemein haben. Er hebt sie auf eine andere Ebene, musikalisch wie semantisch. Die Wahl von 'Symbolum' (einer der letzten Kompositionen Sommers) ist bezeichnend; der über Achtzigjährige hat eine ganz eigene Perspektive auf die Welt, die auch so bekannte Gedichte wie 'Frech und froh' aus ‚Claudine von Villa Bella‘ (Mit Mädeln sich vertragen) völlig neu klingen lässt (mehrfaches Hören ist unbedingt nötig). Jeweils drei Texte sind ‚Faust‘ bzw. ‚Wilhelm Meister‘ entnommen, 'König und Floh', 'Ach neige, du Schmerzenreiche' und 'Der Türmer singt auf der Schlosswarte' einerseits und 'Des Harfners Gesang', 'Mignon singt, als Engel angetan' sowie 'Mignons Sehnen' andererseits. Leider ist insbesondere Skovhus nicht mehr so gut bei Stimme, als dass er alle Stimmungen gleichermaßen evokativ lebendig machen könnte.

So verpuffen die Bemühungen aller gelegentlich denn doch ohne den von Sommer mutmaßlich intendierten Effekt. Allerdings ist Sommers musikalische Sprache auch eine, die ich bislang noch nicht kennengelernt habe und an die man sich sicher erst gewöhnen muss – nicht harmonisch, sondern durch die konsequente Hinwendung zu einer Art nachromantischen ‚musikalischen Prosa‘, die wir in derartigem Extrem selbst bei Max Reger selten finden. Die Aufnahmequalität der SACD ist vorbildlich, das Booklet insgesamt in Ordnung. Zur Ergänzung des Booklettexts habe ich aber mehrfach die dem Komponisten gewidmete Website bemüht.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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    Sommer, Hans: Sapphos Gesänge op. 6 / Orchesterlieder (Dahn/Goethe)

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
Tudor
1
05.03.2012
69:42
Medium:
EAN:
BestellNr.:

SACD
0812973011781
7178


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