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Donnerstag, 28. September 2023

Hamburger Symphoniker - Tate in Hamburg

Eigene Sicht


Label/Verlag: Rondeau
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Jeffrey Tates Wirken bei den Hamburger Symphonikern wird auf DVD vorgestellt. Porträtiert wird damit ein eigenständiger Künstler, der durchaus eigene, diskussionswürdige Sichtweisen vertritt.

Von den vielen britischen Dirigenten, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die Musikszene bereichert haben, nimmt Jeffrey Tate in gewissem Sinne eine Ausnahmestellung ein. Früher Assistent von Sir Georg Solti und Herbert von Karajan, war er sozusagen immer wieder schubweise im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei gab er sein Debüt als Dirigent nirgendwo anders denn als Einspringer für 'Lulu' an der Metropolitan Opera New York, 1979, bereits sechsunddreißigjährig. 1985 wurde er Chefdirigent des English Chamber Orchestra, 1986 Erster Dirigent an Covent Garden, 1991 Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters Rotterdam. Zwischen 2000 und 2005 hielt er keinen festen Posten und wurde dann Musikdirektor am Teatro San Carlo in Neapel. Seit 2009 ist er Leiter der 1957 gegründeten Hamburger Symphoniker, neben dem NDR Sinfonieorchester und dem Philharmonischen Staatsorchester (heute die Philharmoniker Hamburg) das dritte große Orchester der Freien und Hansestadt Hamburg.

Die Hamburger Symphoniker haben neben den beiden anderen Orchestern in der Öffentlichkeit immer etwas zurückstecken müssen, vor allem weil ihre Chefdirigenten zumeist nicht ganz so große Namen hatten. Das ist nun mit Jeffrey Tate anders, einem Dirigenten, der auf dem Tonträgermarkt mit unterschiedlichsten Produktionen präsent ist. Ob Strauss‘ 'Arabella' mit Kiri Te Kanawa aus Covent Garden, 'Hänsel und Gretel' mit Barbara Bonney, Anne Sofie von Otter und dem BR Sinfonieorchester, 'Les contes d’Hoffmann' mit Cheryl Studer, Jessye Norman, Francisco Araiza und Samuel Ramey aus Dresden, ob Mozart-Sinfonien, -Divertimenti oder -Konzerte sowie Haydn-Sinfonien, aber auch Schönberg und Britten mit dem English Chamber Orchestra, ob Strauss-Orchesterwerke sowie Bruckner aus Rotterdam, Elgar mit dem London Symphony Orchestra, ein Noel Coward-Liederalbum mit Ian Bostridge oder, live, eine 'Elektra' mit Gwyneth Jones und Leonie Rysanek sowie Monteverdi/Henzes 'Il ritorno d’Ulisse in patria' von den Salzburger Festspielen – Tate ist kein Leichtgewicht.

Dass er dennoch im Bewusstsein des Publikums nicht so präsent ist wie andere seiner Generation, liegt sicher auch daran, dass er nicht dem heutigen Schönheitsdiktat der Tonträgerbranche dienen kann. Es wäre ungerecht, würde man Tate körperbehindert nennen, denn auch wenn er eine verwachsene Wirbelsäule hat, ist er hierdurch heute in seiner Leistungsfähigkeit nur vor allem was die Ausdauer angeht eingeschränkt – sein spätes Dirigierdebüt verdankt sich einer früheren Tätigkeit als Augenarzt. Gleichwohl fühlt er sich durch sein ‚Anderssein‘ in gewisser Weise ‚apart‘ von der normalen Welt, ein wenig wie ein Beobachter. Die fünfzigminütige Dokumentation ‚Aus eigener Kraft – Maestro Jeffrey Tate‘ (mit schöner Originalfootage) ist großzügiges, wichtiges, hilfreiches Bonusmaterial, das Tates Karriere und Persönlichkeit beleuchtet (wer hätte gedacht, dass er ein Sammler von Meißner Porzellan ist?). Ein besonderes Vorbild als ‚der perfekte Musiker‘ war für Tate Benjamin Britten, den er als Chorknabe kennenlernte und von dem er zutiefst beeindruckt war. Vielleicht rührt hierher auch Tates Überzeugung, dass Musik so zu interpretiert ist, wie sie geschrieben wurde, man sich also dem Werk gegenüber respektvoll zu verhalten hat.

Tate, der nie ein großer Reisedirigent geworden ist, liebt heute spannende Programmzusammenstellungen. Das vorliegende Konzert in der (nach Tates Aussage für das klassische Konzertrepertoire bestens geeigneten) Laeiszhalle (der früheren Musikhalle) Hamburg vom 12. Mai 2009 ist ein typisches Beispiel. Das Booklet der DVD unterstützt das Verständnis seiner Interpretationen, die durchaus eigen sind. Sein Zugang zu Musik des 19. und 20. Jahrhunderts ist nicht selten ein eher ‚rhapsodischer‘, nicht primär dramaturgisch-dramatischer, etwa in der Tradition Sir John Barbirollis oder Bryden Thomsons. Das heißt man darf mit stets beeindruckenden Konzerterlebnissen rechnen (in der Dokumentation hört man umfangreiche Ausschnitte aus einer Aufführung von Brittens 'Sinfonia da Requiem', die bislang noch in Tates Diskografie fehlt).

'The Walk to the Paradise Garden', ein Zwischenspiel aus Delius‘'A Village Romeo and Juliet', ist im deutschen Konzertleben selten zu hören, aber Tate ist keiner jener Dirigenten, die die eher unbekannte Musik seines Geburtslandes abwertend betrachten – auch hierin ähnelt er Benjamin Britten. Das stimmungsvolle Stück (eine Art illustrierten Waldspaziergang zu einer verrufenen Taverne, dem ‚Paradise Garden‘) dirigiert Tate vor allem poetisch, doch auch die erforderlichen dramatischen Effekte kommen nicht zu kurz. Die vielen Orchestersoli ermöglichen es den Hamburger Symphonikern, sich nicht nur als Klangkörper, sondern auch als bestens aufeinander eingespieltes Team von Solisten zu präsentieren.

Jeffrey Tate betont in der begleitenden Dokumentation, dass Richard Strauss ausgesprochen ökonomisch dirigierte, und so kommen die 'Vier letzten Lieder' durchaus auch insgesamt eher schlicht dirigiert daher. Er versucht die Lieder einfach so fließen zu lassen, mit gemäßigten Tempi. Strauss‘ Vorgaben sind eigentlich eindeutig: Strauss schreibt (außer bei 'Frühling', bei dem die Tempoangabe 'Allegretto' lautet), bei allen Liedern als Grundtempo 'Andante', und auch die heute übliche Aufführungsreihenfolge ist eine posthum festgelegte, sogar von der Uraufführung abweichende. Die heute übliche Interpretation (mit dem zuerst komponierten 'Im Abendrot' zum Schluss) ist also nicht unbedingt das, was der Komponist intendierte. Nun hat Tate in Nina Stemme eine Sängerin mit warmem, vielleicht für die Lieder etwas zu großen Sopran, vorbildlicher Phrasierung und herrlicher Atemtechnik, der es zumeist gelingt, die von Strauss vorgegebenen großen Melodiebögen ohne Hektik auf einem Atem zu singen. Nur in 'Beim Schlafengehen' dirigiert Tate gegen Strauss‘ Gesangsphrasierung; Stemme, eine Sängerin mit vorbildlicher Textverständlichkeit, aber schon etwas zu viel Vibrato bei gehaltenen Tönen, muss mehrfach unlogisch zwischenatmen.

Die zweite Programmhälfte wird eröffnet durch Peter Ruzickas 'Fünf Bruchstücke' für Orchester (1985-7), einer rund viertelstündigen anspruchsvollen, aber auch ungemein reizvollen Komposition, die abermals die Fähigkeiten des Orchesters in all ihrer Vielfalt zeigen kann. Beschlossen wird das Konzert mit Schuberts ‚Unvollendeter‘, in der Tate abermals die üblichen Interpretationszugänge konterkariert. Er hat seinen eigenen Kopf: Den mit 'Allegro moderato' überschriebenen eröffnenden Sonatensatz interpretiert er extrem langsam, quasi à la Klemperer oder Celibidache, auch ähnlich spannungsreich, das folgende 'Andante con moto' dann überraschend flott. Ein interessanter Zugang, doch nicht ganz dem entsprechend, was Tate in der Dokumentation selbst fordert.

Leider kann die Aufnahmetechnik (sowohl was die Bildregie angeht als auch bezüglich der Tontechnik) nur als mäßig bezeichnet werden. In den 'Vier letzten Liedern' werden beeindruckende Momente Stemmes durch Totalen oder sinnlose Kamerawechsel verschenkt, die Tontechnik klingt nicht so scharf, wie es bei vergleichbaren Produktionen heute Standard ist. Auch orchestrale Steigerungen werden in der Stereo PCM-Technik verschenkt. Hoffentlich folgen der Produktion noch weitere, und vielleicht wird bei einer Wiederveröffentlichung ja auch der problematische Klang behoben. Auch eine Mitteilung der Trackdauern wäre hilfreich.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:







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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Hamburger Symphoniker: Tate in Hamburg

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Rondeau
1
09.01.2012
Medium:
EAN:

DVD
4037408050029


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Rondeau

Rondeau Production – am kulturellen Puls!

Rondeau Production ist ein Synonym für künstlerisch wie technisch erstklassige Einspielungen von geistlicher Chor- und Vokalmusik. Seit Jahren verbindet das Unternehmen eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Spitzenensembles der Vokalszene: Der Thomanerchor Leipzig, der Windsbacher Knabenchor, der Knabenchor Hannover – gerade hier engagiert sich Rondeau mit Begeisterung für die jungen Talente und stellt ihre beeindruckende Leistungsfähigkeit mit mehrfach ausgezeichneten Aufnahmen unter Beweis. Erstklassige Künstler, deren hohe Ansprüche an sich selbst und der Fokus auf besondere Qualität bedingen die eigene Unternehmensphilosophie und sind der Grundstein für ein in dieser Ausprägung einzigartiges Portfolio an Tonträgern. Eine weitere Öffnung für Orgelmusik mit Künstlern wie Tobias Frank, Oliver Kluge oder Ullrich Böhme sorgt für weitere Klangvielfalt. Neben Labelmanager und Produzent Frank Hallmann garantiert ein kreatives Team musikbegeisterter Mitarbeiter den hohen Standard. Die Aufnahmen entstehen an interessanten und handverlesenen Konzertorten, während Mischung, Mastering und CD-Produktion im hauseigenen Tonstudio in der Leipziger Petersstraße erfolgen. Daher sorgt nicht nur der Sitz in der Bach-Stadt dafür, dass das Label stets am kulturellen Puls agiert.

Geschichte: Aus der Provinz in die weite Welt!

Rondeau Production – das sind über 25 Jahre begeistertes wie begeisterndes Engagement für die Chormusik in Deutschland auf höchstem Niveau. Karl-Friedrich Beringer, langjähriger Leiter des Windsbacher Knabenchores, gründete 1977 gemeinsam mit Herbert Lange das erfolgreiche CD-Label, um die eigenen Tonträger anbieten zu können, und noch immer gehört das Spitzenensemble aus Mittelfranken zu den Zugpferden des Unternehmens. Im Jahr 2005 entschloss sich die Rondeau Production zu einer Erweiterung ihres Angebots und nahm den traditionsreichen Thomanerchor sowie den Knabenchor Hannover als renommiertes Pendant in ihr Portfolio auf. Diesen vokalen Klangkörpern folgten immer mehr namhafte Chöre und Ensembles, so dass sich der Katalog von Rondeau Production mittlerweile wie ein „Who is who?“ der deutschen Vokalszene liest und anhört. Darüber hinaus ergänzte man das Angebot auch in Richtung Orgelmusik, wofür man Interpreten wie Tobias Frank, Oliver Kluge oder Ullrich Böhme gewinnen konnte. Seit 1996 ist Frank Hallmann als Journalist und Diplom-Kirchenmusiker Geschäftsführer von Rondeau Production und damit maßgeblich für das heutige breite wie tiefe Angebot des Unternehmens verantwortlich. Rondeau Production ermöglicht dabei nicht nur die Produktion, sondern auch den weltweiten Vertrieb ausgewählter CDs mit exzellenter Geistlicher Chormusik in hoher Qualität. Für den bundesweiten Vertrieb der Tonträger im Fachhandel sorgt Naxos Deutschland Musik & Video Vertriebs GmbH und fungiert so als wichtiger Partner der Rondeau Production.


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