
Chopin, Frederic - Werke für Klavier & Orchester
Live
Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ergänzend zu der CD-Reihe des Chopin-Instituts Warschau liegt nun auch eine Doppel-DVD mit dem Mitschnitt des großen Geburtstagskonzerts vom 26. Februar 2010 in der Warschauer Philharmonie vor.
Die Zahl der Veranstaltungen zu Fryderyk Chopins 200. Geburtstag in Polen war gewiss beträchtlich, ebenso wie die Zahl der Veröffentlichungen und Wiederveröffentlichungen auf dem Noten- und Tonträgermarkt. Ergänzend zu der CD-Reihe des Chopin-Instituts Warschau liegt nun auch eine Doppel-DVD mit dem Mitschnitt des großen Geburtstagskonzerts vom 26. Februar 2010 in der Warschauer Philharmonie vor, bei dem sämtliche Werke des polnischen Meisters für Klavier und Orchester aufgeführt wurden. Mit dem Orchestra of the Eighteenth Century unter seinem damals 75-jährigen Leiter Frans Brüggen stand ein herausragender historisch informiert musizierender Klangkörper zur Verfügung, der aber – das sei hier vorweg gesagt – von der Tontechnik denkbar ungünstig eingefangen wurde. Es handelt sich meines Wissens um die erst zweite kommerziell verfügbare Gesamteinspielung von Chopins Werken für Klavier und Orchester; das Vorgängerprojekt wurde 1998 mit Emanuel Ax und dem Orchestra of the Age of Enlightenment unter Sir Charles Mackerras realisiert, rechtzeitig zu Chopins 150. Todestag (leider ohne den 'Krakowiak' op. 14).
Mit Nelson Goerner, Kevin Kenner und Janusz Olejniczak haben wir drei Pianisten, die sich nicht erst in der Reihe des Chopin-Instituts als Chopin-Interpreten profiliert haben. Weder der Argentinier Goerner noch der Amerikaner Kenner scheint zuvor umfangreiche Erfahrung auf einem zeitgenössischen Instrument gesammelt zu haben (alle drei spielen auf dem aus Chopins Todesjahr stammenden Érard-Flügel des Chopin-Institut), während Olejniczak nicht nur als Pole Chopins Musik quasi mit der Muttermilch aufgesogen, sondern auch schon zahlreiche CDs auf historischen Instrumenten vorgelegt hat. Gleichwohl ist in allen drei Fällen offenkundig, dass die Pianisten die Klangnuancen des Instruments nur teilweise in all ihrem Reichtum erkunden.
Goerner spielt (wie auf einer bereits 2009 erschienenen CD mit demselben Orchester) die vier ‚freien‘ Werke für Klavier und Orchester, die Fantasie über polnische Melodien A-Dur op. 13, 'Andante spianato et Grande Polonaise brillante' Es-Dur op. 22, das 'Rondo à la krakowiak' F-Dur op. 14 und die Variationen B-Dur über ‚Là ci darem la mano‘ (sowie als Zugabe das Nocturne c-Moll op. 48 Nr. 1). Ein paar kleine Patzer sind bei einem derart anstrengenden Live-Erlebnis zu verschmerzen, und gerade bei der finalen Steigerung der Polonaise aus op. 22 lässt er sowohl was die Farbkraft als auch die Energie angeht die Vergleichseinspielung mit Emanuel Ax hinter sich. Das 'Rondo à la krakowiak' ist von erfreulicher formaler wie musikalischer Klarheit, die Mozart-Variationen leider ohne die Noblesse, die Goerner selbst im Interview dem Werk attestierte, dafür aber voller starker Energie, die dem Werk eine zutiefst emotionale Komponente gibt, die Mackerras und Ax eher zurückgehalten hatten.
Die Rolle des Orchesters im Klavierkonzerts e-Moll op. 11 ist eine weitaus größere, und es ist schön zu hören, wie das Orchestra of the Eighteenth Century die harmonischen Schärfen der Musik besonders hervorhebt und wie das vibratoarme Spiel dem langsamen Satz ganz eigenen Charakter verleiht. Kevin Kenners frische Interpretation nutzt von den drei Interpreten vielleicht am stärksten die Raffinessen, die ein Érard bieten kann. Die Phrasenformung ist ausgesprochen durchdacht und gleichzeitig lebendig frei. Wollen wir hoffen, dass Kenner noch mehr Chopin einspielt, auch auf historischen Instrumenten. Als Zugabe spielt er die Mazurka a-Moll op. 7 Nr. 2.
Janusz Olejniczak hatte das Klavierkonzert f-Moll op. 21 schon 2003 mit dem Neuen Orchester unter Andreas Spering auf Opus 111 vorgelegt (zusammen mit der Fantasie über polnische Melodien op. 13) – sieben Jahre ist sein Spiel live vielleicht noch freier, emotional gelöster. Für ihn hat das Werk eine besondere Bedeutung, war es doch das erste Konzert, das er je spielte. So bietet er, zusammen mit dem Orchester, einen hochdramatischen Mittelsatz und einem tänzerisch-eleganten Finale, insgesamt eine Leistung aus einem Guss, offenkundig basierend auf langer Erfahrung und intimster Kenntnis.
Bekanntlich sind Chopins Werke für Klavier und Orchester für das Orchester selbst häufig relativ anspruchslos, so kann (oder muss) sich Frans Brüggen (sichtlich gealtert und längst nicht mehr so frisch wie der 1998 kaum jüngere Mackerras) meistenteils aufs Taktschlagen beschränken (in den Mozart-Variationen stellenweise zu sehr); gleichwohl ist offenkundig, dass das Orchester die Musik intensiv studiert hat und so Brüggen nur mehr als spiritus rector, nicht als rector docens benötigt. Leider wird der farbenreiche Orchesterklang immer wieder durch kiksige Hörner beeinträchtigt. Vor allem aber scheint das Live-Erlebnis die polnischen Techniker in mehrfacher Hinsicht überfordert zu haben – nicht nur ist die Klangbalance ausgesprochen unausgewogen (viele Orchesterdetails gehen verloren), auch scheint der Hammerflügel nicht ganz in Abstimmung mit der Stimmung des Orchesters gestimmt worden zu sein. Ein paar Töne haben nicht die Rundung, die das Instrument in Studioaufnahmen aufweist, manche sind schlichtweg unsauber intoniert. Gerade mit Blick auf die Holzbläser und Hörner ergeben sich dadurch unakzeptable Schärfen, die die betreffenden Interpretationen beeinträchtigen. Außerdem gibt es allzu viele Störgeräusche aus dem Publikum, die die heutige Rundfunktechnik (und die Aufnahmen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Polnischen Rundfunk) eigentlich beherrschen sollte.
Das 40-seitige viersprachige Booklet (mit einem kurzen Statement Frans Brüggens) ist ähnlich opulent wie die Extras, Interviews mit den Pianisten des Abends (am eindrucksvollsten sprechen Olejniczak und Kenner) sowie mit Marc Destrubé, dem Konzertmeister des Orchesters (der Erhellendes über Chopins Orchestrierungstechnik beisteuert) mit fünfsprachiger Untertitelung.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Chopin, Frederic: Werke für Klavier & Orchester |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Glossa 2 01.01.2012 |
Medium:
EAN: |
DVD
8424562211148 |
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Glossa Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster. Mehr Info... |
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