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Sonntag, 1. Oktober 2023

Chopin, Frédéric - Scherzi Nr. 1-4

Von den USA nach Tschechien


Label/Verlag: Supraphon
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Ivan Moravec zeigt sich einmal mehr als herausragender Chopin-Interpret, der mit differenziertem Anschlag ein feinsinniges Farbenspiel entfaltet.

Der tschechische Pianist Ivan Moravec, der im vergangenen Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, war nie allzu präsent, weder in europäischen Konzertsälen noch auf Tonträger. Doch wenn er zu hören ist, liegt das Schaffen Frédéric Chopins immer wieder im Zentrum von Moravecs Interesse. Schon zu den ersten Schallplattenaufnahmen 1962 in New York zählten Werke dieses Komponisten, und zwar die Ballade As-Dur op. 27 und das Scherzo h-Moll op. 20. Die Balladen spielte Moravec 1965 vollständig ein (die Aufnahmen wurden 2001 auf CD bei Supraphon erstveröffentlicht), außerdem die Préludes op. 28 und die Nocturnes. Die Gesamteinspielung der Scherzi folgte erst 1989 (1991 bei Dorian erschienen). Daneben befasste Moravec sich immer wieder mit Nocturnes, Études und Mazurken – und so ergänzte er seine Scherzi-Aufnahmen in der Troy Savings Bank Music Hall 1989 durch vier Mazurken und zwei Études. Leider wurde bei der Wiederveröffentlichung jenseits des großen Teiches nun versäumt, einen Fehler im Booklet zu korrigieren; weiterhin wird behauptet, Moravec spiele die Mazurka E-Dur op. 41 Nr. 1, obwohl es sich eindeutig (und auch als solche auf Moravecs Website http://www.ivanmoravec.net/ ausgewiesen) um die Mazurka e-Moll op. 41 Nr. 2 handelt.

Mit den Scherzi (wie mit den Balladen) eröffnet Chopin eine ganz eigene Welt, einen ganzen Kosmos an Stimmungen und Farben, in dem sich Moravec bestens entfalten kann. Er ist ein unprätentiöser Chopin-Interpret, der sich von der Melodik mitreißen lässt, für den technische Schwierigkeiten nicht bestehen. Sein eleganter Anschlag und sein feines Ohr prädestinieren ihn vor allem für alles Feinnervige. Harte Fortissimi oder ein echtes ‚con fuoco‘ gibt es bei ihm höchst selten, dafür herrliche Piano- und Mezzopianotöne, wunderbar duftige Klangfarben, lebendige poetische Stimmungen. Geradezu mirakulös die Gestaltung des dritten Scherzos cis-Moll op. 39 sowie des vierten in E-Dur op. 54. Das berühmte zweite Scherzo b-Moll op. 31 ist in manchen Momenten überraschend erdverbunden, Moravec erweitert den Raum des Erwarteten hin zu einer ‚dreidimensionalen Konzeption‘. Es ist zu spüren, dass Moravecs Lehrer kein Geringerer als Arturo Benedetti Michelangeli war. Gleichzeitig ist es überraschend, dass Moravec sich offenbar nie mit Alkan, nicht einmal mit Liszt befasst hat.

Die Étude cis-Moll op. 25 Nr. 7 erweitert Moravecs Chopin-Kosmos ganz natürlich. Dagegen ist die Étude As-Dur op. 25 Nr. 1 geradezu eine Erholung, ein Bad in Harmonie, nach dem reichen Stimmungsspektrum der vorhergehenden fünf Stücke. Und diese ‚Entspannung‘ ist auch nur von kurzer Dauer. Auch die vier Mazurken (e-Moll op. 41 Nr. 2, f-Moll op. 68 Nr. 4, C-Dur op. 7 Nr. 5 und C-Dur op. 56 Nr. 2) eröffnen gleich wieder ein reiches Farbspektrum. Selbst die scheinbar so schlichte frühe C-Dur-Mazurka aus op. 7 (1830-2) füllt er mit prägnanter Eigenart – um sie sogleich durch das späte Gegenstück (1843-4) gleichsam zu ‚kommentieren‘.

Moravecs herrlicher Klavierklang wurde klangtechnisch herrlich umgesetzt durch das Dorian-Aufnahmeteam und den Produzenten Randall Fostvedt; das neue Supraphon-Booklet fällt, auch durch den eher blumigen denn informativen Booklettext, eher ab. Dennoch insgesamt eine wichtige Wiederveröffentlichung, die ganz viele junge Interpreten extrem alt aussehen lässt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Chopin, Frédéric: Scherzi Nr. 1-4

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Supraphon
1
15.07.2011
Medium:
EAN:

CD
099925405922


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Supraphon

Supraphon Music ist das bedeutendste tschechische Musiklabel und besitzt bereits eine lange Geschichte. Der Name "Supraphon" (der ursprünglich ein elektrisches Grammophon bezeichnete, das zu seiner Zeit als Wunderwerk der Technik galt) wurde erstmals 1932 als Warenzeichen registriert. In den Nachkriegsjahren erschien bei diesem Label ein Großteil der für den Export bestimmten Aufnahmen, und Supraphon machte sich in den dreißiger und vierziger Jahren besonders um die Verbreitung von Schallplatten mit tschechischer klassischer Musik verdient. Die künstlerische Leitung des Labels baute allmählich einen umfangreichen Titelkatalog auf, der das Werk von BedYich Smetana, Antonín Dvorák und Leos Janácek in breiter Dimension erfasst, aber auch andere große Meister der tschechischen und der internationalen Musikszene nicht vernachlässigt. An der Entstehung dieses bemerkenswerten Katalogs, auf den Supraphon heute stolz zurückblickt, waren bedeutende in- und ausländische Solisten, Kammermusikensembles, Orchester und Dirigenten beteiligt.


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