
Strauss, Richard - Kammermusik
Auf dem Wege
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Wiederauflage von Strauss' Kammermusikwerken bei Brilliant Classics macht mit weitgehend unbekannten Werken vertraut.
Als Komponist von Klavier- oder Kammermusik ist Richard Strauss kaum bekannt, konzentrierte er sich doch selbst schon bald auf im Grunde drei Gattungen, das Lied, die Oper und die Orchestermusik. Es kann nicht überraschen, dass die meisten Werke in dieser Richtung aus den frühen Jahren vor 1900 stammen. Gleichwohl schuf Strauss deutlich mehr, als in der hier vorliegenden Edition eingespielt. Es wird nicht immer erforderlich sein, all diese Jugendwerke zu kennen. Dennoch präsentiert die 9 CDs umfassende Edition (eine Lizenzausgabe des bayerischen Labels Arts Music), die in Kooperation mit dem Richard-Strauss-Institut München entstand (einer Institution, die in der Folge mit spektakulärer Presse geschlossen wurde) interessante Einblicke in die Werkstatt eines Komponisten, der ‚noch auf dem Wege‘ zu seiner eigenen Musiksprache ist.
Klavierquartett
Gleich die erste CD, 1985 im Münchner Gasteig live mitgeschnitten und Werke für Klavierquartett enthaltend, präsentiert Musik, die man dem reifen Richard Strauss nie und nimmer zuordnen könnte. Das Ständchen TrV 114 (die Nummern des zurzeit gültigen Strauss-Werkverzeichnisses, des so genannten Trenner-Verzeichnisses wurden leider nicht ergänzt) entstand 1881 oder 1882, ein elegantes Salonstück, das ebenso gut eine Schöpfung eines Zeitgenossen hätte sein können. Der Festmarsch D-Dur TrV 136 (von 1884?) zur silbernen Hochzeit seiner Großeltern (mit einem dem Ständchen eng verwandten Trio) ist ein frischer Vorbote der späteren Märsche aus den 1920er-Jahren. Die Zwei Stücke TrV 169 wurden 1893 kurz nach dem 'Guntram' in Weimar komponiert und zeigen einen gänzlich anderen Komponisten, insbesondere die Nummer 1, 'Arabischer Tanz'. Wir haben das Gefühl, hier beweist uns einer schon vor 120 Jahren, was Multi-Kulti, was Crossover bedeutet – hier fühlen sich die Streicher auch weitaus wohler. Egal wem Sie diese Miniatur vorlegen – niemand wird auf den Namen des Komponisten kommen. Im Vergleich dazu ist das zweite der Stücke, mit dem Titel 'Liebesliedchen', wieder stärker der Salonmusik verbunden.
Das substanziellste Werk der ersten CD ist das Klavierquartett c-Moll op. 13 von 1884, eine Komposition in der Brahms-Herzogenberg-Nachfolge und ein würdiger Partner etwa für Regers spätere Klavierquartette op. 113 und 133. Die Komposition des zwar erst zwanzigjährigen, aber schon voll ausgebildeten Tonkünstlers mag noch nicht nach Richard Strauss klingen, doch steht ganz außer Frage, dass hier ein Komponist sein Handwerk von der Pieke auf gelernt hat.
Wolfgang Sawallisch, langjähriger Generalmusikdirektor der Bayerischer Staatsoper und spiritus rector der gesamten Edition, ist der besondere ‚Aktivposten‘ dieser CD – die Musiker des Sinnhoffer-Quartetts fallen neben seinem weichen, farbenreichen Anschlag ein wenig ab, gerade der Primarius Ingo Sinnhoffer klingt an manchen Stellen fast wie ein schlechter Synthesizer. Mittlerweile gibt es Konkurrenzeinspielungen (etwa mit dem Mozart Piano Quartet von 2005), daher kann man hier nicht mehr leichtfertig von Referenzeinspielungen sprechen.
Melodram
Die Gattung des Melodrams mit Klavier hatte im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit. In der Zeit der sogenannten Nachromantik nach 1900 wurde sie teilweise durch das Orchestermelodram abgelöst. Die klavierbegleitete Rezitation steht naturgemäß dem Theater besonders nah, und in Zeiten des Regietheaters fehlen heute oft die rechten Sprecherstimmen, die vollständig überzeugende Leistungen erbringen könnten (Ausnahmen wie Brigitte Fassbaender bestätigen die Regel). 1896/7 entstand Strauss’ großes, fast einstündiges Melodram 'Enoch Arden' op. 38 nach Alfred Lord Tennyson, die Uraufführung fand am 24. März 1897 durch Strauss und den Bayerischen Hofschauspieler Ernst von Possart statt. Seither haben unter anderen Claude Rains (mit Glenn Gould), Jon Vickers (mit Marc-André Hamelin), Benjamin Luxon (mit Frederick Moyer), Michael York (mit John Bell Young) und Patrick Stewart (mit Emanuel Ax, auf Englisch), sowie Jean-Paul Fouchécourt (mit Christian Ivaldi), Ulrich Wildgruber (mit Peter Stamm), Hans-Reinhard Müller (mit Carl Seemann), Gert Westphal (mit John Buttrick) und Dietrich Fischer-Dieskau (mit Burkhard Kehring, auf Deutsch) das Werk auf Schallplatte vorgelegt. Die österreichische Sprecherin Elisabet Woska (die unter Sawallisch schon 1980 eine kleine Nebenrolle in 'Intermezzo' übernommen hatte) hat sich als bislang einzige Frau des Werks angenommen; Begona Uriarte sitzt am Flügel. Woran es liegt, dass die Arts-Einspielung nicht ganz so evokativ ist wie manch andere, ist schwierig festzumachen. Liegt es an Woskas Stimme, die nicht ganz so evokativ ist wie manch eine Männerstimme und die vielleicht sogar mit den Klavierklängen gewissermaßen ‚kollidiert‘, oder ist es Uriartes differenziertem, vielleicht zu differenziertem Spiel? Vermutlich kommt beides zusammen; auch scheint Adolf Strodtmanns Übersetzung des englischen Gedichts der deutschen Sprache nicht optimal zu liegen. Wie viel besser da harmonieren Woska und Karl-Hermann Mrongovius in dem kurzen Melodram 'Das Schloß am Meere' nach Ludwig Uhland, unmittelbar nach dem 'Heldenleben' 1899 entstanden. Hier scheint sich Woska wohler zu fühlen, und auch Mrongovius erfasst leichter den Charakter dieser heute so ganz ungewohnten Komposition.
Klavierduo
Die dritte Komposition auf der zweiten CD, die beiden Melodrame verbindend, ist Strauss’ Hochzeitspräludium TrV 247 für zwei Harmoniuminstrumente, zur Hochzeit seines Sohnes Franz am 15. Januar 1924. Hier agieren Uriarte und Mrongovius, das große Klavierduo, um das es leider stiller geworden ist, gemeinsam. Musik für Harmonium ist ja heute fast vollständig aus dem Konzertleben verschwunden, und so fällt auch dem ansonsten so kongenial aufeinander bezogenen Duo immer wieder einmal die Koordination zwischen den beiden ungewohnten Instrumenten schwer. Man hat den Eindruck, dass es sich in diesem Live-Mitschnitt von 1986 um eine eher tentative Interpretation handelt, die dem ganz typischen Strauss’schen Konzept nicht voll gerecht wird.
Wir werden dem Duo noch vielfach wieder begegnen. CD 4 und ein Teil von CD 8 werden ganz allein von ihm bestritten – obwohl Strauss gar keine selbstständige Komposition für Klavierduo geschaffen hat. Im Dezember 1985 spielten Uriarte/Mrongovius vier Bearbeitungen ein, die Strauss von Orchester- und Bläserkompositionen geschaffen hat, um dem interessierten hausmusikalischen Publikum eine Bekanntschaft mit Partituren, die damals natürlich noch nicht auf Schallplatte konsumiert werden konnten, zu ermöglichen. So haben wir in dieser Box immerhin 'Aus Italien' op. 16 von 1886, die Sinfonie f-Moll op. 12 von 1883/4 (Klavierfassung 1885) sowie die Bläsersuite B-Dur op. 4 von 1884 und die Bläserserenade Es-Dur op. 7 von 1881 vertreten. Gerade die Bläsersuite gewinnt eine ganz neue Komponente; die 13 Blasinstrumente werden in eine dem Hörer vielleicht vertrautere Klangwelt ‚konvertiert‘. Was Uriarte-Mrongovius aus allen vier Werken herausholen, ist beeindruckend. Sie erheben die Bearbeitungen fast über den Status der Originalwerke. 'Aus Italien' etwa, teilweise durchaus noch instrumentatorisch mit Schwächen behaftet, hat diese Beeinträchtigungen in der vierhändigen Fassung nicht. Natürlich ist es ‚noch nicht ganz Richard Strauss‘, doch ein Werk, das durchaus auch im Konzertsaal (insbesondere in dieser Form) sehr erfolgreich sein könnte. Im Gegensatz dazu erweist sich die Sinfonie f-Moll in der vierhändigen Fassung, trotz der ungemein fein abgestuften, poetischen Interpretation, als im Grunde noch sehr traditionelle Komposition. Ganz anders da die Bläserserenade op. 7. Es war diese Komposition, mit der Richard Strauss die Aufmerksamkeit Hans von Bülows erlangte, und zu Recht.
Klavier solo
Gitti Pirner, eine zu Unrecht nicht genügend bekannte Pianistin, nahm sich der Klaviersolomusik an, genauer gesagt eines Teils von dieser. Mehrere Klaviersonatinen und -sonaten sowie vieles andere harren noch immer der Weltersteinspielung. Die drei Werke mit Opuszahl, die schon vielfach auf CD vorgelegt worden sind (zwei von ihnen gar von Glenn Gould), zeigen Strauss abermals vollständig auf dem Weg zum eigenen Stil. Die Fünf Stücke op. 3 von 1881 und die Stimmungsbilder op. 9 von 1883-4 sind lyrische Stücke à la Schumann oder Grieg. Die bereits 1880-1 entstandene Klaviersonate h-Moll op. 5 ist ein Werk im Fahrwasser Beethovens: kraftvoll, lyrisch, aber auch extrem stark noch der Tradition verhaftet, die Strauss schon so bald hinter sich lassen wird.
Pirner ist eine überzeugende Anwältin all dieser Kompositionen. Obwohl sie sich und der Musik Zeit lässt, besitzen ihre Interpretationen aus dem Jahre 1995 eine Innenspannung und Klarheit, die etwa den Einspielungen Stefan Vladars in der Koch-Reihe „Der unbekannte Richard Strauss“ deutlich überlegen ist. Neben diesen drei Werken hat Pirner 1985-6 vier Märsche, die Märsche TrV 213, 214, 217 und 222 entstanden 1905-7 zwischen der 'Symphonia Domestica' und 'Salome', eingespielt. Wer den ersten Parade-Marsch und den Militärischen Festmarsch allein vom Hören her hätte korrekt datieren können, müsste ein Genie sein. Nur der Präsentiermarsch 'De Brandenburgsche Mars' (und im geringeren Maße der umfangreiche zweite Parade-Marsch) ist von ganz anderem Kaliber und zeigt den wahren Strauss, der nicht mehr auf dem Weg ist, der in seiner musikalischen und künstlerischen Identität angekommen ist.
Außerdem bietet Gitti Pirner (1987 eingespielt) eine Fuge für Klavierduo, Teil von '14 Improvisationen und Fuge über ein Originalthema' TrV 130 aus dem Jahre 1884; hier zeigt sich Strauss schon als genuiner Kontrapunktiker, der auch vor der Entfernung aus der Tonalität nicht zurückschreckt – wieder einmal ein ganz untypischer Strauss. Wolfgang Sawallisch ergänzt Pirners Beiträge um zwei weitere Stücke, unter anderen um die bereits erwähnte Bläserserenade op. 7, in der Fassung für Klavier solo noch klarer in der musikalischen Struktur als in der vierhändigen Fassung (auch gerade durch Sawallischs unprätentiösen Zugriff). Wie eklektisch Strauss (bewusst) sein konnte, zeigt auf das Deutlichste die Gavotte 'Aus alter Zeit' TrV 72 von 1879. Die Einspielungen von Strauss Klaviermusik gehören ohne Frage zu den Glanzpunkten der gesamten Edition, es wäre schön gewesen, hätte man sie alle für die Lizenzausgabe sinnvoll zusammengeführt und vielleicht um weitere Aufnahmen vermehrt.
Horn und mehr
Von Richard Strauss sind zurzeit vor allem drei Kompositionen für Horn bekannt: die beiden Konzerte und das 'Andante' C-Dur TrV 155 von 1888. Dabei legte der gerade erst Vierzehnjährige schon 1878 mit 'Introduction, Thema und Variationen' TrV 70 ein substanzielles, anspruchsvolles Werk vor, das deutlich mehr ist als eine Vorstudie zum ersten Hornkonzert op. 11 von 1882-3. Wir haben hier (auf CD 9), wie bei dem 'Andante', ein genuines Kammermusikwerk, dem man viele weitere Aufführungen (und Einspielungen) wünschen darf. Johannes Ritzkowsky und Wolfgang Sawallisch bieten die beiden Originalkompositionen mustergültig dar. Dies ist beim Hornkonzert op. 11 weitaus schwieriger, handelt es sich doch um einen echten Klavierauszug, der vor allem bei der Einstudierung des Werks behilflich sein soll. Vielleicht ist eine Kopplung wie jene unter und mit Vladimir Ashkenazy mit dem Solisten Barry Tuckwell (Decca) die klügere, die die Orchesterfassungen der Hornkonzerte mit den beiden Kammermusikstücken – und dem Lied 'Alphorn' für Singstimme, Horn und Klavier – koppelt. Mich jedenfalls überzeugt die Aufführung eines Klavierauszuges prinzipiell nicht – so herrlich Sawallisch spielt. Im langsamen Satz des Konzertes gelingen den beiden Musiker Wunderwerke der musikalischen Intimität, die in der Orchesterfassung gleich eine andere Dimensionierung erfahren. Ganz anders steht es da mit dem zweiten Hornkonzert Es-Dur TrV 283 von 1942 – von dieser, dem Andenken seines Vaters gewidmeten Komposition nutzt Strauss neben dem Horn zwei Klaviere und signalisiert damit, dass das Werk zum Konzertgebrauch gedacht ist. Ritzkowsky und Sawallisch lassen sich hier unterstützen durch Barton Weber: Das Ergebnis ist ein musikalisch voll ausbalanciertes, neues genuines Kammermusikwerk, dem man weitere Verbreitung wünschen würde.
Violine und Klavier
Ernö Sebestyen ist Sawallischs Partner auf CD 5, die vollständig der Paarung Violine/Klavier gewidmet ist. Es ist wirklich überraschend, dass Strauss nicht mehr Werke für Violine und Klavier komponierte als die hier vorgelegten. Und dabei wurde schon der Klavierauszug des Violinkonzerts d-Moll op. 8 eingespielt. Auf ihn trifft ähnliches zu wie auf den Klavierauszug des ersten Hornkonzertes. Natürlich gibt es herrliche intime und expressive Momente, doch reduziert die Reduktion auf die kleineren Kräfte das Werk an verschiedenen Stellen in Richtung gehobener Unterhaltungsmusik. Die musikalische Substanz bedarf des Orchesters. So überrascht es nicht, dass zwei CD-Produktionen (darunter Sarah Chang und Wolfgang Sawallisch für EMI) Violinkonzert und Violinsonate jeweils in ihrer Originalform gekoppelt haben. Besonders wohl fühlen sich beide Musiker hörbar in der Violinsonate Es-Dur op. 18. Das beliebte Werk, voll von wunderbaren Melodien, die den reifen Strauss schon erahnen lassen, ist musikalisch weitaus gehaltvoller als das Violinkonzert. In gewisser Weise gewinnt die Interpretation von Sebestyen und Sawallisch durch die größere Bekanntheit des Werks. Beide agieren deutlich sicherer, da klingt alles logisch durchdrungen und musikalisch überzeugend – im Ganzen nahe einer Referenzeinspielung.
Ein kurzes Stückchen, ein 'Allegretto' E-Dur TrV 295 von 1948 gehört im Grunde zu Strauss’ letzten drei Kompositionen, auch wenn es musikalische nicht erkennbar ist. Die herrliche, viel zu unbekannte Daphne-Etüde erfüllt Sebestyen mit wunderbaren Farben – es ist höchst bedauerlich, dass dieses kurze, keine zwei Minuten lange Stück nicht häufiger aufs Programm gesetzt und eingespielt wird.
Cello und Klavier
Peter Wöpke ist auf CD 6 Sawallischs Partner in der Cellosonate F-Dur op. 6 von 1881-3 und der Romanze F-Dur TrV 118 von 1883. In beiden Fällen haben wir es hier nicht mit Werken zu tun, die etwa an das Klavierquartett oder die Violinsonate heranreichen. Die Sonate ist ein eher leichtgewichtiges dreisätziges Werk, die Romanze gleichermaßen in einer Fassung mit Orchester gültig und im Grunde das schwergewichtigere Pendant zum langsamen Satz der Sonate (und immerhin mehr als ein Dutzend Male eingespielt, darunter auch mehrfach unsinnigerweise gekoppelt mit dem 'Don Quixote' op. 35). Hier macht sich das Live-Erlebnis insofern negativ bemerkbar, als gelegentlich der Celloton nicht in all seiner Schönheit eingefangen wurde, die er im Studio sogleich erlangt hätte. Merkwürdigerweise findet sich auf CD 9 eine weitere Einspielung der Romanze (diesmal mit dem Cellisten Wen-Sinn Yang), eine unverständliche, überflüssige Lösung, gerade da so viele andere Kompositionen in der Edition fehlen, etwa 'Introduction, Thema und Variationen' für Flöte und Klavier TrV 76. Zwar hat sich Sawallischs Sichtweise 1997, elfeinhalb Jahre nach der früheren Aufnahme, deutlich gewandelt, sie ist entspannter geworden, raffinierter (und natürlich interessant zu vergleichen), doch hat sie dennoch bei einem Editionsprojekt dieser Ambition leider nichts zu suchen.
Klaviertrio
1877 bzw. 1878 komponierte Richard Strauss unmittelbar hintereinander zwei kurze Klaviertrios (TrV 53 und 71). Diese musikalisch äußerst reizvollen Jugendkompositionen haben noch nichts mit dem reifen Strauss gemein und könnten ebenso gut Generationen früher entstanden sein. Das zweite Trio zeigt bereits einen deutlichen Fortschritt im Vergleich zum ersten, ist klanglich reicher und auch von den Stimmungen her ergiebiger. Anny Kandinskaya, Sebastian Hess und Wolfgang Sawallisch haben hörbar Freude an diesen Entdeckungen, die viel gutes musikalisches Handwerk enthalten und bestens als kleine Überraschung in einen Klaviertrioabend mit Hummel, Haydn, Schubert oder Schumann passen würden. Ganz reizend ist die Entscheidung, die drei Tänze aus 'Capriccio' op. 85 mit Klavier einzuspielen – dies nimmt den Stücken etwas den neobarocken Touch und lässt sie viel stärker nach genuinem Richard Strauss klingen.
Streichtrio, Streichquartett, Klarinette und Klavier
Neben den Cellowerken finden sich auf CD 6 auch die einzigen eingespielten Kompositionen für Streichquartett bzw. Streichtrio. Das Wiener Streichtrio bietet die Kuriosität Variationen über (das bayerische Volkslied) 'Das Dirndl is harb auf mi' TrV 109 von 1882 – ein effektvolles Werk in der Postbrahmstradition, das durch seine Kürze entsprechenden Ensembles bestens als Zugabe geeignet wäre. Aus den Jahren 1879 bzw. 1880 stammen der (unvollendete und unkorrigiert, also auch mit offenkundigen Fehlern in der Aufführung) Streichquartettsatz Es-Dur TrV 85 und das Streichquartett A-Dur op. 2. Wo der Quartettsatz bereits den späteren Strauss’schen Reifestil erahnen lässt, ist das mit einer Opuszahl versehene Werke im Grunde stilistisch noch einmal ein Rückschritt, der erst mit der Bläserserenade op. 7 zum vollen Durchschlag kam. Das Sinnhoffer-Quartett scheint sich hier wohl zu fühlen, die Interpretationen sind rund, lebendig, ohne ‚zwirnsfadenen‘ Ton wie er gelegentlich auf CD 1 zu hören war. Leider spielte das Ensemble nicht die Variationen über eine Tanzweise von Cesare Negri TrV 123 (1883) für Streichquartett ein, und auch das berühmte Streichsextett aus 'Capriccio' fehlt. Warum man diese wenigen Werke wegließ, obwohl ihre Existenz zur Zeit der Arts-Produktion bekannt gewesen sein muss, bleibt ein Rätsel. Schade, dass solche Chance auch bei der Lizenzausgabe nicht genutzt wurde.
Strauss’ einzige Klarinettenkomposition, die Romanze Es-Dur TrV 80 von 1879 ist dem ersten Klaviertrio nicht unähnlich; und so ist es auch ganz angemessen, das Stück auf CD 9 unmittelbar hinter dem Trio zu platzieren. Karl-Heinz Steffens ist Wolfgang Sawallisch ein ausgezeichneter Partner – auch wenn der Klavierpart immer wieder deutlich wie ein Klavierauszug klingt und somit die Fassung mit Orchester zu bevorzugen wäre.
Der Booklettext ist leider erschreckend kurz (und dennoch nur auf Englisch), die CD-Informationen auf den Einzelhüllen der CDs voller Fehler (insbesondere bezüglich der Kompositionsdaten, Besetzungsdetails und selbst der Interpretennamen). Natürlich wird auch nicht der Forschungsstand von 1999 berücksichtigt, geschweige denn die Erkenntnisse der Strauss-Forschung aus jüngster Zeit. Dass der vollmundige Titel der vollständigen Kammermusik nicht zutrifft, wurde bereits erwähnt. All dies zusammen kann nur deutlichen Punktabzug bedeuten. Die Aufnahmetechnik des BR ist tadellos, aber nicht überragend; am schlechtesten eingefangen wurde das Sinnhoffer-Quartett. Natürlich wird verschwiegen, wann es sich um Live-Mitschnitte handelt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Strauss, Richard: Kammermusik |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 9 29.04.2011 |
Medium:
EAN: |
CD
5029365923125 |
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