
Lehar, Franz - Orchesterwerke
Von leicht bis ein wenig seicht
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die von CPO veröffentlichte Lehár-Produktion kann klanglich überzeugen, und auch interpretatorisch gibt es nichts auszusetzen. Allerdings sind nicht alle Stücke von höchstem kompositorischem Rang
Franz Lehár (1870–1948) ist nicht unbedingt der Komponist, bei dem man an symphonische Konzepte denkt, an große Orchesterwerke, anspruchsvolle Klaviersonaten oder Ähnliches. Und in der Tat wäre Lehár nicht leicht als Komponist mancher der hier vorgelegten Werke identifizierbar. Wir haben in dieser Sammlung, die eher zufällig entstand und eine Zusammenstellung aller Nicht-Opern- bzw. Operettenproduktionen des Labels cpo der Jahre 1997 bis 2003 darstellt, eine Reihe von Werken, die in Lehárs Gesamtœuvre einzuordnen doch etwas schwerfällt – neben Jugendkompositionen und aus Operetten derivierten Werken Stücke, die in Lehárs reifer Phase entstanden, aber dem Bild, das man sich von ihm gemacht hat, kaum entsprechen zu können scheinen. Wie viele andere Komponisten wurde auch Lehár zunächst klassisch unterwiesen und war Schüler des Prager Konservatoriums (Hauptfächer Violine und Komposition).
Jgendwerke
Aus diesen frühen Jahren stammen vier Sonaten, zwei Scherzi und eine Fantasie für Klavier sowie ein Concertino für Violine und Orchester und die symphonische Dichtung 'Il Guado' für Klavier und Orchester. Es sind dies Werke eines noch nicht seine kompositorische Identität gefunden Habenden, eines jungen Komponisten noch vor Vollendung seines vierundzwanzigsten Lebensjahrs, der sich an ambitionierten Gattungen versucht. Von den vier Klaviersonaten hat Wolf Harden für cpo zwei eingespielt, dazu auch die Fantasie As-Dur von 1888. Letztere ist eine Hommage an Franz Schubert – das Modell ist offenkundig, und im Grunde kann man von kaum mehr als einer ‚Studie in Schubert‘ sprechen. In ganz unterschiedlicher Weise erkundet Lehár in den beiden eingespielten Klaviersonaten die musikalische Welt. Während die d-Moll-Sonate von 1887 einen ambitionierten Versuch in der ernsten Gattung bildet – es war dieses Werk, das Dvorák und Brahms zu positiven Urteilen zu Lehárs Kompositionsfähigkeiten brachte –, ist die ebenfalls 1887 vollendete Sonate F-Dur von deutlich lichterem Charakter und lässt einen ‚Light Music‘-Komponisten von Format erahnen. Harden spielt die Werke voller Wärme und Enthusiasmus, so dass man fast vergessen könnte, dass sie vor allem noch einen jungen Komponisten auf seinem Weg zu seiner musikalischen Persönlichkeit zeigen.
'An der grauen Donau'
‚Symphonisches‘ im gebräuchlichen Wortsinn ist bei Lehár naturgemäß nicht in hohem Maße zu finden; Klauspeter Seibel spielte 1996 und 1997 mit der Radio-Philharmonie Hannover des NDR eine Auswahl ein. Die symphonische Dichtung für Klavier und Orchester mit dem Titel 'Il Guado' (Die Furt) aus dem Jahr 1894 dankt ihre Entstehung einem Gedicht des italienischen Schriftstellers Olindo Guerrini (Pseudonym Lorenzo Stecchetti). Ein knappes Werk, das etwa eines Henri Litolff durchaus würdig wäre und in manchen Momenten bewusst ironisch auf Chopin und Liszt Bezug nimmt – kompositorisch sauber gearbeitet mit viel Inspiration und einigem Charme. In einigen wenigen Momenten erkennt man auch bereits spätere Stileigenheiten Lehárs, insofern kann man – etwa im Vergleich zum eher traditionell-virtuosen Concertino für Violine und Orchester (1888) – durchaus bereits von einem Fortschritt in Richtung einer eigenen Klangsprache sprechen. – 1907 entstand die Ouvertüre 'Eine Vision. Meine Jugendzeit'. Das eher konservativ angelegte Werk sprüht vor Farben, ist aber Lehárs Operetten-Klangsprache nicht allzu fern. Ganz eigen vom Konzept her und durchaus eine Wiederentdeckung wert ist die Tondichtung ‚Fieber‘ (1915) für Singstimme und Orchester – mehr als ein Orchesterlied, mehr auch als eine Tondichtung – im Grunde eine symphonisch-dramatische Szene, da nämlich der Orchesterpart als Spiegel des Zustandes des Kranken ganz wesentlicher Bedeutungsträger ist. Den schönen Untertitel 'An der grauen Donau' trägt der Walzer 'Donaulegenden' – im Grunde ein absolutes Muss für das Wiener Neujahrskonzert, fügt Lehár 1921 doch dem allzu affirmativen Bild Johann Strauß’ ein klangvolles, ironisch-charmantes Gegenbild hinzu. In der Oper 'Tatjana', einer Neufassung seines lyrischen Dramas 'Kukuska' von 1896, hören wir einen Komponisten, der sich nochmals in der ernsten Muse bemüht, der er aber in einer Zeit von Strauss’ 'Salome' und Janá eks 'Jenufa' schlicht nicht mehr gewachsen ist. cpo haben bereits 2004 das wichtige Bühnenwerk als Gesamtaufnahme (unter Michail Jurowski) auf den Markt gebracht, so dass die Aktvorspiele und die Russischen Tänze nun den ihnen gebührenden Platz haben einnehmen können. – Klauspeter Seibel und dem Hannoveraner Orchester gelingt in vielen Momenten eine Nobilitierung Lehárs. Der Tenor Robert Gambill (in 'Fieber'), der Pianist Volker Banfield (in 'Il Guado') und die Geigerin Latica Honda-Hosenberg (im Concertino), alle hochrenommierte Künstler, geben alles und verschaffen den Werken eine Ehrenrettung. Leider gibt es immer wieder Momente, wo Lehár ins Operettenhafte abgleitet, was auch Seibel nicht überdecken kann – sehr zum Schaden der Kompositionen.
Tänze, Ouvertüren, Intermezzi
2000 bis 2002 entstanden, quasi als Nebenprodukt zu der einen oder anderen Lehár-Großproduktion, in Berlin mit dem dortigen Rundfunk-Sinfonieorchester unter der Leitung Michail Jurowskis zwei CDs mit Suiten, Tänzen, Ouvertüren und Intermezzi. Hier erleben wir also den ‚leichteren Lehár‘ in all seiner Vielfalt und all seinem Charme. Hier erwartet keiner hehre Kunst, nur scheint die Beliebigkeit der ausgewählten Stücke ein wenig problematisch. Wichtige Stücke wie die fast nie gehörte Konzertouvertüre zur 'Lustigen Witwe' (entstanden 1940) und die Ballettmusik aus 'Peter und Paul im Schlaraffenland' (unmittelbar nach der 'Lustigen Witwe' entstanden) stehen neben der Konzert-Gavotte 'Fata Morgana' (1899, später revidiert) und 'Resignation' aus 'Das Fürstenkind' von 1909. Bei all diesen Preziosen, gewichtigen und winzigen, ist es nur schade, dass der einzige orchestrale Schlager Lehárs, der Walzer 'Gold und Silber' von 1902 nicht auch in die Edition aufgenommen wurde. Immer wieder überraschen Stücke, etwa das 'Preludium religioso' aus dem frühen Operneinakter 'Rodrigo' von 1893 oder die 'Chinesische Ballett-Suite' von 1937, die Lehár nachträglich in die Neuausgabe von 'Das Land des Lächelns' aufnahm, und vervollständigen das Bild des sonst allzu leicht allzu falsch eingeschätzten Musikers. Selbst den 'Grützner-Walzer', um 1896 entstanden, aber zu Lebzeiten nie veröffentlicht, finden wir hier – immer wieder also Schätze, die wir anderswo vergebens suchen würden.
Leider ist der Informationsgehalt der vier Booklets nicht von durchgängig höchster Qualität – immer wieder fehlen Querverweise und vor allem Entstehungsdaten, und es fällt schwer, die Musik richtig zu verorten. Auch scheint es merkwürdig, dass auf die Veröffentlichung von Guerrinis Gedicht im italienischen Original zugunsten der deutschen und der englischen Fassung verzichtet wurde. Klangtechnisch gibt es wie fast immer bei cpo nichts auszusetzen. Von Kleinigkeiten also abgesehen, haben wir hier eine willkommene Ergänzung zu unserer sonstigen Kenntnis des Schaffens Lehárs.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Lehar, Franz: Orchesterwerke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 4 15.11.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
761203763924 |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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