
Panufnik, Andrzej - Sinfonia Rustica & Sinfonia Concertante für Flöte, Harfe & Streicher
Symphonisch und polnisch
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
CPO widmet sich der Musik des in den letzten Jahren auf dem Tonträgermarkt etwas präsenter gewordenen polnisch-englischen Komponisten Andrzej Panufniks. Das Ergebnis weiß in vielen Belangen zu überzeugen.
Die auffallende Wiederbelebung der Musik Andrzej Panufniks (1914–1991) in den vergangenen fünfzehn Jahren – teils durch die Wiederveröffentlichung lange vergriffener Einspielungen, teils durch Neuproduktionen – ist die schöne Konsequenz einer systematischen Erkundung der britischen Musikgeschichte. Jawohl, der britischen Musikgeschichte, denn Panufnik wanderte 1954 nach England aus und wurde 1991 gar zum Ritter geschlagen. Nun ist der seinerzeit politisch gegängelte Komponist auch in Polen wiederentdeckt worden.
Die Quellenlage zu Panufniks Kompositionen (am bekanntesten ist er für seine Orchesterwerke) ist kompliziert: Zahlreiche seiner früh entstandenen Werke wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, darunter zwei Sinfonien. Eine dieser Sinfonien rekonstruierte Panufnik 1945, zog sie dann aber wieder zurück. Auch viele seiner anderen Kompositionen wurden sorgfältigen Revisionen unterzogen, so dass von vielen Werken mehrere Fassungen existieren, dazu eine ganze Reihe an Stücken, die Panufnik später verwarf, etwa seine 'Symfonia Pokoju' (‚Symphony for Peace‘) aus dem Jahre 1951.
Die Orchestersuite 'Polonia' entstand 1959, nachdem Panufnik eine Aufführung von Edward Elgars Ouvertüre 'Polonia' dirigiert hatte. Er empfand die Komposition des Engländers inspirierend und beschloss eine Art lichteres, weniger dramatisches, stärker auf Volksgut basierendes Komplementärwerk zu schreiben. Mit fast einundzwanzig Minuten ist Panufniks 'Polonia' in der Tat ganz anderen Charakters – der erste Satz ist ein freudiger, heroischer Marsch, den man unverändert in einen Shakespeare-Film Sir Laurence Oliviers verwenden könnte. Auch in der folgenden Mazurek vermeint man immer wieder typisch Klänge britischer Filmmusik zu hören. Dass Panufnik die Musik seiner britischen Zeitgenossen William Walton, Arnold Bax und Malcolm Arnold kannte, ist unüberhörbar, auch wenn er ganz unmissverständlich seine eigene Sprache spricht. Der folgende Krakowiak hingegen ist nicht nur völlig eigenständig, sondern schäumt, wie das die Suite abschließende Finale, vor Energie auch nur so über, während der folgende langsame Satz ein für Panufnik typischer passacagliaartiger Satz folgt.
1949 gewann Panufnik mit seiner im Vorjahr entstandenen ersten gezählten Sinfonie, der 'Sinfonia rustica', den Chopin-Kompositionswettbewerb Warschau. Das viersätzige Werk wurde nach seiner Flucht nach England 1955 revidiert und erschien 1957 im Druck.1966 entstand ihre erste Schallplatteneinspielung, mit dem Orchester der Oper von Monte Carlo unter der Leitung des Komponisten (EMI 0946 3 52289 2 2). Den Kopfsatz beginnt Panufnik, trotz fast identischer Tempi, ein wenig ruhiger (mit weniger vorgeschriebener ‚tenerezza‘) – doch im Vergleich zu Borowicz mit deutlich runderem Gesamtergebnis. Wo Borowicz Klangfarben fast impressionistisch leuchten und symphonisch aufspielen lässt, betont Panufnik selbst deutlicher die kammermusikalische Faktur des Werkes, betont die abstrakte Seite seiner Musik, einen Punkt, der ihm auch in seinen Schriften besonders wichtig war. Im direkten Vergleich hat Panufnik selbst aus diesem Grund ganz knapp die Nase vorn – Borowicz ist geringfügig weniger ‚formalistisch‘, emotionaler, verfällt dadurch aber leichter auch der Gefahr, bei den Streicherglissandi im langsamen Satz in Schmalz zu verfallen. Außerdem sind hier die bei Panufnik ganz offenkundig intendierten antiphonalen Violinklänge nicht umgesetzt (dafür sind die antiphonalen tiefen Streicherklänge im Finale umso deutlicher). Dafür aber bietet das polnische Orchester quasi als Zugabe die Erstfassung des dritten Satzes.
Die 'Sinfonia concertante' für Flöte, Harfe und Streicher entstand 1973 und erlebte ihre Uraufführung im Mai 1974 in der Londoner Queen Elizabeth Hall mit dem Belgischen Kammerorchester unter der Leitung des Komponisten. Schon ein knappes Jahr später entstand in den Londoner Abbey Road Studios die erste Schallplatteneinspielung mit den berühmten Solisten Aurèle Nicolet und Osian Ellis und dem Menuhin Festival Orchestra, abermals unter Panufniks Leitung (heute ebenfalls auf der oben genannten CD vorliegend). Der überaus poetischen Komposition mangelt es in Borowicz’ Einspielung im Vergleich zu Panufniks eigener Einspielung (möglicherweise bedingt durch die Aufnahmetechnik) leider ein wenig an Innenspannung bei den Streichern, so dass der Effekt flächiger und geringfügig oberflächlicher wirkt. Erst im rhythmischeren zweiten Satz gewinnen die Streicher an Profil, gewinnen aber nicht wirklich an Kontur.
Schon 1947 entstand während eines frühen Aufenthalts in London das 'Lullaby' für 29 Streicher und zwei Harfen, das 1948 unter der Leitung des Komponisten in Krakau seine Uraufführung erlebte. Wie auch viele andere seiner Kompositionen überarbeitete Panufnik das Werk 1955. Die äußerst delikate Komposition, die Vierteltontechniken nutzt und gleichzeitig eine eingängige Melodie zum Zentrum hat, erlangt durch die chaconneartige Präsentation dieser Melodie schon bald eine bezwingende, vielleicht gar beängstigende Wirkung. Sie endet mit einer merkwürdig unorganisch angeschlossenen Schlussfloskel, die den Genuss der Gesamt-CD ein wenig beeinträchtigt.
Das Spiel des Polnischen Radio-Sinfonie-Orchesters unter der Leitung seines Chefdirigenten Lukasz Borowicz fängt beide Traditionslinien, die polnische und die englische, kongenial ein. Die Aufnahmetechnik ist angemessen durchhörbar, der Raumklang bestens eingefangen – nur die Piccoloflöte (in mehreren Werken) und die Soloinstrumente in der 'Sinfonia concertante' scheint einen Hauch zu laut aufgenommen zu sein. Am großzügigen (insgesamt viersprachigen) Booklet (merkwürdigerweise mit unterschiedlicher Schrifttype) lässt sich nur eine Kleinigkeit bemängeln, nämlich dass der Text durch seine Länge immer wieder von den Kompositionen ablenkt und umfangreich Panufniks bewegtes Leben thematisiert. Für meinen Geschmack etwas zu stark.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Panufnik, Andrzej: Sinfonia Rustica & Sinfonia Concertante für Flöte, Harfe & Streicher |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.06.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
761203749621 |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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Der Pianist und Organist Aurel Davidiuk im Gespräch mit klassik.com.
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