
Legenden des Gesanges vol. 11. Elisabeth Grümmer - Arien und Szenen von Weber, Verdi, Strauss u.a
Singende Seele
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Elisabeth Grümmer zeigt sich in dieser Retrospektive als herausragende Sängerin. Leider ist die klangliche Aufbereitung nicht ganz glücklich, und auch die Werkauswahl hätte sich von anderen Grümmer-Porträts stärker abheben können.
Elisabeth Grümmer (1911–1986) ist eine Legende des Gesanges. Vollkommen zu Recht wird ihr eine Folge der gleichnamigen Reihe des Labels Ars gewidmet. Einspielungen aus den Jahren 1953 bis 1958 hat Jens-Uwe Völmecke zusammengetragen, allesamt bei Electrola und ihrer englischen Schwester Columbia eingespielt. Schallplattenaufnahmen, die teilweise aus berühmten Gesamtaufnahmen stammen, teilweise aus heute vergessenen Schellackschätzen. Da nach Ablauf der fünfzigjährigen Schutzfrist die Originalfirmen nicht mehr das Exklusivrecht an diesen Einspielungen haben, sind es nunmehr kleinere Firmen mit diskophilem Anspruch, die vielfach die Weiterverwertung übernehmen. Ihnen stehen nur selten die Originalbänder zur Verfügung, die Eigentum der Originalfirmen bleiben, aber die industriell gefertigten Tonträger, Schelleck- wie Vinylplatten, können als ‚Premaster‘ für solche Produktionen herangezogen werden.
Die Auswahl der Tracks ist naturgemäß immer Geschmackssache. Der enzyklopädisch Interessierte würde zunächst in Sängerlexika nachschlagen, was an Einspielungen nachgewiesen ist, der Pragmatische bemüht seinen alten Plattenschrank. Das führt manchmal zu merkwürdigen Zusammenstellungen – auf der vorliegenden CD ist der Ausschnitt 'Ihr habt nun Traurigkeit' aus Brahms’ 'Deutschem Requiem' ein Fremdkörper – ein Fremdkörper, der nicht nötig gewesen wäre, da der Backkatalog der EMI genügend rechtefreies Material bietet. Doch sobald die Grümmer zu singen anhebt, vergisst man jeden Zweifel. Trotz des mulmigen Chorklanges und eines uneinheitlichen Hintergrundrauschens überzeugt die Einspielung vollständig. Vorbildliche Textauslegung ist man von Elisabeth Grümmer in allen ihren Einspielungen gewohnt, sorgfältige Phrasierung und dynamische Abschattierung ebenso. Solch differenzierter, gleichzeitig natürlicher und innig-menschlicher Gesang ist heute kaum mehr vorstellbar. Die Berliner Philharmoniker und der Chor der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale unter der Leitung von Rudolf Kempe bieten die perfekte Folie für eine perfekte Interpretation.
Ausschnitte aus Mozart-Opern nehmen die Hälfte der gesamten CD ein, Ausschnitte aus 'Die Zauberflöte', 'Le nozze di Figaro' und 'Così fan tutte'. Grümmers Exklusivertrag mit den EMI erwies sich in mancher Hinsicht als fatal – andere Sängerinnen übernahmen in den zu jener Zeit bei der Deutschen Grammophon, bei Philips oder Decca in den Gesamtaufnahmen die Partien der Contessa Almaviva, der Fiordiligi, selbst der Pamina. Dabei ist gerade letztere Rolle der Sängerin nahezu auf den Leib geschrieben, sie ist die personifizierte, singende Seele (ohne jeden Hauch von ‚Seelchen‘ oder Larmoyanz). Ihre natürliche Schlichtheit kommt gerade in lyrischen Rollen bestens zur Geltung, ihre große Pamina-Arie ist ein Musterbeispiel vollendeter Interpretation. Die Szene ihres Selbstmordversuches im zweiten Akt leidet ein wenig an heutigen Ansprüchen nicht mehr ganz genügenden drei Knaben (drei ungenannten Regensburger Domspatzen) wie auch an ein wenig problematischer Klangtechnik – hier gelangt das Remastering an seine Grenzen.
Grümmers Italienisch ist eine ganz eigene Sache. Heute ist es offenkundig, warum bis in die 1960er-Jahre (seltener noch bis deutlich länger) Oper auf Deutsch gesungen wurde: nicht nur weil das Publikum die Sänger verstehen sollte, sondern auch weil die Sänger die Fremdsprachen nicht beherrschten. Berühmte Beispiele sind Fritz Wunderlich oder Peter Schreier, deren Italienisch gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig ist, was ihren sängerischen Fähigkeiten natürlich keinerlei Abbruch tut. Erwartet man aber in den Tracks 3 bis 6 kein völlig idiomatisches Singen (und nicht den aktuellen Stand der Mozart-Forschung), erlebt man auch hier bewegende Interpretationen, die andere, berühmtere (Schwarzkopf) in den Schatten stellen. Besonders gelungen erscheint dem Rezensenten das Rezitativ 'E Susanna non vien', in dem Grümmer ihre Kunst der Textausdeutung auch dieser kleinen Preziose angedeihen lässt. Es fällt schwer, sich zu entscheiden, ob Grümmer, Jurinac oder della Casa die bessere Contessa ist. Dahingegen steht der Sängerin die Rolle der Fiordiligi innerlich eher fern. Sie singt die Noten, manche mirakulös schön, aber sie scheint unbeteiligt zu bleiben – da ist keine Verzweiflung, kein Aufbegehren gegen das Schicksal. Das ist schade, ist doch Wilhelm Schüchters Dirigat (er dirigiert den kompletten Mozart-Block) gerade in dieser Arie mit am besten, nahe an Mozarts natürlichem Puls.
Aus der berühmten Gesamtaufnahme von Webers 'Freischütz' wurde Agathes Kavatine aus dem dritten Akt 'Und ob die Wolke sie verhülle' ausgewählt – ein wunderbarer Teaser für die Gesamtaufnahme, die immer noch das Maß aller anderen 'Freischütz'-Aufnahmen ist, allem voran wegen Grümmers schlichter Inbrunst. In einer anderen Gesamtaufnahme kommt Grümmers Schlichtheit auf ganz andere Weise zur Geltung, nämlich im direkten Vergleich mit jener anderen Elisabeth, die bei den EMI Grümmers größte Konkurrentin war: Zusammen mit Elisabeth Schwarzkopf als Gretel gibt Grümmer einen beherzten Hänsel in einer Einspielung, die Kultstatus erlangt hat. In beiden genannten Gesamtaufnahmen sind natürlich eigentlich die Dirigenten die Stars. Und auch wenn Schwarzkopf-Fans das nicht gern hören: Schwarzkopf ist eine Gretel mit schlecht sitzender Zopf-Perücke, während man Grümmer die Lederhose weitaus eher abnimmt.
Aus einem Querschnitt des 'Rosenkavaliers', abermals unter Schüchter, hören wir die Überreichung der Rose. Ich hatte das Glück, den direkten Vergleich mit der EMI-Überspielung vornehmen zu können, die Ars-Überspielung ist leider sehr viel ‚umwölkter‘ – die im Original vorhandene klangliche Brillanz ging durch das Remastering leider in hohem Maße verloren. Dies stört nicht die geniale Leistung Grümmers, und es muss als höchst betrüblich bezeichnet werden, dass nie eine Gesamtaufnahme des 'Rosenkavaliers' mit der Grümmer entstand. Erika Köth ist eine verlässliche, unaristokratische Sophie, der man aber nicht abnehmen kann, dass sie ‚frischweg aus dem Kloster‘ kommt.
Den Höhepunkt dieser CD erleben wir mit der großen Szene der Desdemona aus dem vierten Akt von Verdis 'Otello', auf Deutsch gesungen – doch zu was für einem Effekt! Unterstützt von Sieglinde Wagner und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin unter dem unterschätzten Richard Kraus zeigt sich Grümmer als genuine, zutiefst berührende, wenn auch ‚deutsche‘ Desdemona. Es wird vor allem dieser Track sein, zu dem ich immer wieder zurückkehren werde, auch weil er klangtechnisch am glücklichsten aufgearbeitet worden ist.
Ein gutes Booklet rettet aber leider den Gesamteindruck des Zusammengewürfelten nicht. Hätte sich die Ars-Produktion klarer gegen die Grümmer-CD der Preiser-Reihe ‚Lebendige Vergangenheit‘ abgesetzt, auf der sich viele andere Grümmer-Raritäten finden, Arien von Gounod, Thomas, Tschaikowsky, Grieg und Beethoven, so wäre ihr jetziger Wert umso höher einzuschätzen. So leider gibt es eine ganze Menge Duplizierungen (nämlich den ganzen Mozart-Block und Brahms), die auf Preiser aber deutlich klangreicher aufgearbeitet sind.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Legenden des Gesanges vol. 11. Elisabeth Grümmer: Arien und Szenen von Weber, Verdi, Strauss u.a |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS Produktion 1 01.06.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
4260052387115 |
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Brahms, Johannes |
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