
Zemlinsky, Alexander von - Sämtliche Streichquartette
Kompromisslos
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die neuerliche Wiederveröffentlichung von Zemlinskys Streichquartetten mit dem LaSalle Quartett ist zweifelsohne eine lohnende Anschaffung.
Alexander Zemlinskys (1871–1942) Streichquartette sind im Vergleich zu denen seines Schülers Schönberg weitaus seltener Objekt von Schallplattenproduktionen, und selbst die existierenden Einspielungen verschwinden immer wieder vom Markt. So ist die Initiative des Labels Brilliant Classics, die Deutsche Grammophon-Aufnahmen von 1982 (die Aufnahmen stammen vom Dezember 1980) wieder vorzulegen, sehr begrüßenswert.
Natürlich wurzelt Zemlinskys Musik zutiefst in der Musik des späten 19. Jahrhunderts – im ersten Quartett op. 4 von 1896 (nach einem Jugendwerk von 1893) finden sich Spuren von Brahms, Gernsheim, auch ein Hauch Richard Strauss und Gustav Mahler. Doch schon mit seinem zweiten Quartett op. 15 von 1913–15 finden wir uns in einer ganz anderen Welt: Mahler ist tot, Reger wird 1916 sterben, der grundlegende Stilwandel ist längst eingeläutet (woran Zemlinsky nicht unwesentlichen Anteil hatte). Die Zerrissenheit der Zeit, vielleicht auch die innere Zerrissenheit ihres Schöpfers spiegelt sich in jedem Takt der Komposition, die in Momenten Richard Strauss’ Kammermusikstil seiner späten Lebensjahre vorwegnimmt (Metamorphosen, Streichsextett in 'Capriccio'). So kommt eins zum anderen, die Musikgeschichte rundet sich. Doch geht Zemlinsky harmonisch viel weiter als Strauss selbst in 'Salome' und 'Elektra' – immer wieder nutzt er Atonalität, natürlich durch den Einfluss Schönbergs, doch kehrt er immer wieder in den Schoß der Tonalität zurück, doch mit einer Eigenart und Intensität, die Begriffe wie tonal-atonal nebensächlich werden lässt.
Etwas entspannter, doch nicht weniger tiefgründig und intensiv gibt sich das dritte Quartett op. 19 von 1924, das aus seine ganz eigene Weise dem Zeitstil huldigt (ich denke etwa an Frank Bridge oder Bernard van Dieren) und gleichzeitig Zemlinskys Bedeutung etwa für Karl Amadeus Hartmann erahnen lässt. Doch auch eine Art sarkastischer Humor kommt in diesem Werk nicht zu kurz – mehr Spiegel der Zeit denn etwaiger systematischer ästhetischer Richtungen. Noch konzentrierter auf Wesentliches ist das 1936 entstandene sechssätzige Streichquartett Nr. 4, eine Art Stele für den im Dezember des Vorjahrs verstorbenen Alban Berg, ein Werk, das erst nach Zemlinskys Tod veröffentlicht und uraufgeführt werden konnte und das ein Vorbild für viele Komponisten von tonal gebundener Kammermusik nach dem Zweiten Weltkrieg geworden sein mag.
Die Einspielungen der LaSalles sind bis heute Maßstab für jede weitere geblieben, und beim Wiederhören erweist sich, dass sie nichts von ihrer Frische, Intensität, Tiefe und klassischen Brillanz verloren haben. Schon bei dem ersten Quartett heben die LaSalles Zemlinskys Eigenart intensiv hervor, so dass wir die Musik keinen Moment als eklektisch empfinden. So wird durch kompromisslosen Einsatz aus Randrepertoire essential listening.
Wie schon damals ist die Produktion gekoppelt mit dem ersten Streichquartett von Schönbergs und Bergs Schüler Hans Erich Apostel (1901–1972) aus dem Jahre 1935, kurz vor Zemlinskys viertem Quartett. Da allerdings im erwartungsgemäß schwachen (äußerst schwachen diesmal sogar) Booklet jede Erwähnung von Apostel wegfällt (wer hätte gedacht, dass er auf der Infoseite auf der Brilliant-Website kurz erwähnt wird?), erschließt sich die Logik dieses Vorgehens nicht mehr (dem Interessierten sei die bei Cybele erschienene Box ‚Hans Erich Apostel und das Streichquartett‘ empfohlen). In dieser Hinsicht wäre es sicher sinnvoll gewesen, die Produktion mit der anderen großen Produktion der LaSalles, den Streichquartetten von Schönberg, Webern und Berg, auf insgesamt 6 CDs zu koppeln. Doch hat Brilliant diese Box ja bereits vor einiger Zeit vorgelegt. Eine wichtige Veröffentlichung, in immer noch exzellentem Stereosound, und bei dem Preis ist die offensichtliche Sparsamkeit bei der Bookletherstellung zu verschmerzen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Zemlinsky, Alexander von: Sämtliche Streichquartette |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 2 07.05.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
5029365918824 |
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