
Vaughan Williams, Ralph - Dona nobis pacem & Sancta Civitas
Vergebene Liebesmüh
Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Von diesen beiden Chorwerken von Vaughan Williams gibt es überzeugendere Einspielungen.
Ralph Vaughan Williams (1872-1958) hat sich in verschiedenerlei Hinsicht als Komponist profiliert, nicht zuletzt als Chorkomponist, war er doch von 1905 bis 1953 Leiter des Leith Festival Choir und von 1920 bis 1928 Dirigent des Bach Choir, der auch unter seiner Leitung am 9. Juni 1926 die Londoner Erstaufführung von 'Sancta Civitas' bestritt. Zusammen mit der rund zehn Jahre später entstandenen Anti-Kriegs-Kantate 'Dona nobis pacem' spiegelt das Oratorium zwei Seiten von Ralph Vaughan Williams’ spiritueller und philosophischer Welt. Beide Werke ergänzen einander und lassen einen Komponisten erkennen, der, trotz eigenem Bekenntnis, Agnostiker zu sein, eine tiefe innere Religiosität besaß. 'Sancta Civitas' (The Holy City) von 1923-5 ist starker Ausdruck dieser Religiosität; ähnlich wie seine zahlreichen Kompositionen zum Themengebiet von John Bunyans 'The Pilgrim’s Progress' geht es ihm immer wieder um die Perspektive zum Jenseits hin, den Tag des Jüngsten Gerichts, aber hier nicht die Wägung des Einzelnen, sondern die eher allgemeine Perspektive. 'Dona nobis pacem', 1936 vollendet, ist womöglich noch bekenntnishafter, persönlicher: Vaughan Williams verbindet Bibelworte, die lateinische Messliturgie, Gedichte von Walt Whitman und eine Parlamentsrede von John Bright aus der Zeit des Krimkrieges zu einem pazifistischen Manifest, das eindeutig Modell war für Benjamin Brittens 'War Requiem', in dessen Schatten es seit langem steht. Dabei ist Vaughan Williams’ Aussage mit Blick auf Nazideutschland unmissverständlich, unmittelbar und musikalisch prägnant.
Von beiden Werken gibt es eine ganze Reihe Einspielungen, viele gut, einige exzeptionell. Richard Hickox koppelte 1992 die beiden hier vorgelegten Werke auf einer CD für EMI, mit dem London Symphony Chorus, David Willcocks hatte 'Sancta Civitas' schon im Januar 1968 für EMI eingespielt, mit dem Bach Choir und dem King’s College Choir Cambridge. Außerdem hatten BBC Radio Classics eine Aufnahme aus dem Jahr 1979 unter Gennadi Rozhdestvensky vorgelegt. Von 'Dona nobis pacem' gibt es außerdem einen Mitschnitt unter Vaughan Williams selbst vom November 1936, eine Aufnahme unter Maurice Abravanel aus Utah von 1967, eine EMI-Aufnahme unter Adrian Boult aus dem Jahre 1974, eine Chandos-Aufnahme von 1988 unter Bryden Thomson und eine Hyperion-Produktion unter der Leitung von Matthew Best von 1993. Leider reicht die Neuaufnahme unter David Hill, dem Nachfolger von Willcocks als Leiter des Bach Choir, nicht ganz an die besten dieser Vorgängerproduktionen heran. Dies liegt vor allem an dem Chor, der im direkten Vergleich mit Willcocks’ 'Sancta Civitas' deutlich an Prägnanz verloren hat. Ich habe ein wenig den Verdacht, dass dies auch mit der Digitaltechnik zu tun hat – Vaughan Williams fordert großen Chor, Teilchor, Fernchor, Soli und Orchester. Besonders 'Sancta Civitas' ist ein Werk, das man live hören sollte oder das ein CD-Label heute wenigstens auf SACD vorlegen muss. Die große räumliche Weite (ausgefüllt durch den Bach Choir, Winchester Cathedral Choristers und Winchester College Quiristers) fangen Naxos zwar wunderbar ein, aber man wünscht sich das Dreidimensionale.
'Dona nobis pacem' lebt sehr viel stärker noch als 'Sancta Civitas' von den Gesangssolisten, die nicht nur stimmlich bestens aufgelegt sein müssen, sondern die gleichzeitig eine starke Eloquenz mitbringen müssen; am besten scheint – dies zeigt schon Renee Flynn unter Vaughan Williams, eine Sopranist, die gleichzeitig zerbrechlich klingt und doch auch in der Höhe ein gut ansprechendes Forte aufbieten kann. Die Amerikanerin Christina Pier überzeugt den Rezensenten ähnlich stark wie Judith Howarth unter Best, aber mehr als Sheila Armstrong unter Boult oder Yvonne Kenny unter Hickox, denen die Höhe nicht so strahlend gelingt wie ihren Kolleginnen. Nicht weniger wichtig ist die Eloquenz des Baritonsolisten. Eine besondere Herausforderung bereits sein erster Satz 'Word over all, beautiful as the sky' – wie arg scheitert Matthew Brook hier, kann er doch nicht ‚beautiful‘ singen, sondern vielmehr charaktervoll; doch hiermit kommt er Vaughan Williams’ Vision in dem Satz Reconciliation nicht nahe – wie anders, weit besser als fast alle seine Kollegen, ist hier Thomas Allen unter Matthew Best. Wie schade, dass die Solisten nicht ganz an die Konkurrenzproduktionen heranreichen – denn der Chor beherrscht sein Metier bestens und ist qua Zahl der Choristen umfassender als die Corydon Singers unter Best. Warum aber die Paukenschläge des Orchesters lauter sein müssen als das der Fortissimoausbruch des Chores, bleibt unverständlich.
Der Baritonsolist in 'Sancta Civitas' ist dem Evangelisten vergleichbar – Matthew Brook findet viele Farben für seinen Part, doch die essenziell spirituell-religiöse Komponente geht seiner Stimme ab (ähnlich wie sie auch schon Bryn Terfel unter Hickox eher fern lag), die manchem bei John Shirley-Quirk unter Willcocks vielleicht fast im Übermaß vorhanden sein mag. Andrew Staples hat nur ein kurzes Tenorsolo im Schlusssatz des Oratoriums, das unter Hickox luxuriös mit Philip Langridge besetzt ist, unter Willcocks nicht minder luxuriös mit Ian Partridge; in solch illustrer Gesellschaft kann Staples nicht ganz mithalten.
So bleibt zu sagen, dass es bessere Einspielungen als diese beiden gibt. Nicht unbedingt von den rein chorischen Leistungen, doch wenn Aufnahmetechnik oder Abstimmung mit dem Orchester und vor allem auch die Solisten den Gesamteindruck beeinträchtigen, ist letztendlich niemandem gedient. Das Booklet ist von der typischen Naxos-Bescheidenheit (nur auf Englisch), die Libretti sind downloadbar (ebenfalls nur auf Englisch).
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Vaughan Williams, Ralph: Dona nobis pacem & Sancta Civitas |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Naxos 1 05.04.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
747313242474 |
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Naxos Als der Unternehmer Klaus Heymann 1982 für seine Frau, die Geigerin Takako Nishizaki in Hongkong das Plattenlabel Marco Polo gründete, war dies der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Fünf Jahre später rief Heymann das Label NAXOS ins Leben, das in der Klassikwelt längst zur festen Größe geworden ist und es bis heute versteht, hohe Qualität zu günstigen Preisen anzubieten. Der einzigartige und sich ständig erweiternde Katalog des Labels umfasst mittlerweile über 8.000 CDs mit mehr als 130.000 Titeln - von Kostbarkeiten der Alten Musik über sämtliche berühmten "Klassiker" bis hin zu Schlüsselwerken des 21. Jahrhunderts. Dabei wird der Klassik-Neuling ebenso fündig wie der Klassikliebhaber oder -sammler. International bekannte Künstler wie das Kodály Quartet, die Geigerin Tianwa Yang, der Pianist Eldar Nebolsin und die Dirigenten Marin Alsop, Antoni Wit, Leonard Slatkin und Jun Märkl werden von NAXOS betreut. Darüber hinaus setzt NAXOS modernste Aufnahmetechniken ein, um höchste Klangqualität bei seinen Produktionen zu erreichen und ist Vorreiter in der Produktion von hochauflösenden Blu-ray Audios - Grund genug für das renommierte britische Fachmagazin "Gramophone", NAXOS zum "Label of the Year" 2005 zu küren. Auch im digitalen Bereich nimmt NAXOS eine Vorreiterrolle ein: Bereits seit 2004 bietet das Label mit der NAXOS MUSIC LIBRARY ein eigenes Streamingportal mit inzwischen über 1 Million Titel an und unterhält mit ClassicsOnline zudem einen eigenen Download-Shop. Mehr Info... |
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