
Telemann, Georg Philipp - Orchestersuiten in g - Moll & C - Dur
Von Börsencrashs und ausgelassenenen Studenten
Label/Verlag: Passacaille
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dass sich die Suite als betont unakademische Musikgattung gegenüber der Sinfonie besonderer Beliebtheit erfreute, leuchtet einem bei dieser engagierten Einspielung durch das Ensemble Il fondamento sofort ein.
Das tägliche Leben eines Börsenspekulanten musikalisch darzustellen, klingt nach einem äußerst avantgardistischen Unterfangen. In Zeiten von Weltwirtschaftskrisen und Rezession vergisst man manchmal, dass es an der Börse schon immer Hochs und Tiefs gab wie heute. Auch damals wurden Vermögen durch falsche Anlagen vernichtet, musste so manch einer feststellen, dass sich die sichere Investition in einer Blase verschwand. Im 18.Jahrhundert lösten die Tulpenkrise in Holland und die ‚South Sea Bubble‘ in England große wirtschaftliche Erschütterungen aus, die den Ruin einiger Familie bedeuteten. Auch Telemann war durch seine Zeit in Frankfurt, wo er im selben Hause lebte, in dem die Frankfurter Börse untergebracht war, bestens mit den Freuden und Leiden des Wertpapierhandels bekannt.
In seiner Orchestersuite 'La bourse‘ stellt er eben dieses wechselhafte Schicksal des Aktienhandels plastisch und mit einem gewissen Augenzwinkern dar. So hört man von 'Unterbrochener Erholung‘, 'Bezwungenen Gewinnern‘, 'Krieg im Frieden‘, 'Gemeinsamer Einsamkeit‘ und der 'Hoffnung auf Mississippi-Aktien‘, wenn man die Titel der Sätze frei übersetzt. Die Suite ist der Nachwelt nur in einer Partiturabschrift durch Telemanns Kollegen Christoph Graupner überliefert.
Passend zur aktuellen wirtschaftlichen Lage veröffentlicht das Label Passacaille dieses Werk in einer 1996 entstandenen Einspielung durch das flämische Ensemble Il fondamento. Geleitet wird das Instrumentalkollektiv vom Oboisten Paul Dombrecht, der in vielen Sätzen der Suiten die führende Stimme spielt. In der 'Gemeinsamen Einsamkeit‘ findet er einen herrlich klagenden Lamento-Ton, mit dem sich die Komposition immer wieder im Kreis dreht. Die finale Hoffnung auf den Mississippi klingt in seiner Interpretation überschäumend und mitreißend, ganz so, wie es ein schnell erhoffter Gewinn zu sein vermag.
Die Suite in g-Moll für zwei Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo hat zwar kein tonmalerisches Programm wie 'La Bourse‘, doch ist auch diese Telemann-Suite von großer Lebhaftigkeit und Finesse. Hier werden ebenfalls die unterschiedlichsten Affekte in reizvoller Folge nacheinander dargestellt. Den Abschluss der CD bildet die Suite in C-Dur für zwei Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo, von der leider – wie bei den anderen beiden Kompositionen – kein Entstehungsdatum bekannt ist. Il fondamento spielen unter ihrem Leiter Dombrecht energiegeladen und schwungvoll. Artikulation und Phrasierung lassen in puncto Feinsinn keine Wünsche offen. Alles klingt anmutig und voller tänzerischer Eleganz. Fünf Violinen, zwei Bratschen, zwei Celli, ein Violone sowie zwei Oboen, ein Fagott und ein Cembalo liefern sich einen musikalischen Wettstreit um Ausdruck und Brillanz. Dabei stehen die drei Holzbläser meist im Vordergrund, ohne aber den warm klingenden Streichersatz negativ zu dominieren. Das Cembalo, welches von Ewald Demeyere gespielt wird, sorgt für ein solides, immer klangfarbenreiches Fundament.
Besonders erwähnenswert ist der dritte Satz der Suite in C-Dur, der mit 'Die ausgelassenen Studenten‘ überschrieben ist. Hier bekommt der Hörer eine rustikale Wirtshausszene geboten, die an Plastizität ihresgleichen sucht. Dudelsackbläser und Trommler laden die feierwütigen Studenten zu wilden Tänzen ein, so verblüffend geschickt imitieren Dombrecht und seine Musiker mit ihren Instrumenten die ländlichen Instrumente fahrender Spielleute.
Dass sich die Suite als betont unakademische Musikgattung gegenüber der Sinfonie besonderer Beliebtheit erfreute, leuchtet einem bei dieser engagierten Einspielung durch Il fondamento sofort ein, denn die CD bietet mitreißende, geistreiche Tanzsätze in musikalischer Vollendung.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Telemann, Georg Philipp: Orchestersuiten in g - Moll & C - Dur |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Passacaille 1 01.12.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
5425004849106 |
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Passacaille Das belgische Label PASSACAILLE wurde 1995 gegründet und sollte von Anfang an eine Plattform für hochrangige belgische Künstler der historischen Aufführungspraxis sein. Das Barockorchester il Fondamento mit seinem Leiter Paul Dombrecht und der Hammerklavierspezialist Jan Vermeulen gehörten zu den ersten, die für das Label aufnahmen. Später erweiterte sich der Künstlerkreis um weitere prominente Namen wie Wieland Kuijken oder das Ensemble Octophorus. Bald erhielten die Aufnahme internationale Preise, was als zusätzlicher Anreiz gesehen wurde, sich im künstlerischen Bereich auch internationalen Künstlern und Ensembles zu öffnen. Ab 2000 begann die Zusammenarbeit mit Künstlern aus verschiedenen europäischen und transatlantischen Ländern. 2006 übernahm der belgische Traversflötist und Musikwissenschaftler Jan de Winne das Label und erweiterte den Künstlerkreis des Labels erneut um international renommierte Künstler wie zum Beispiel Graham O'Reillys Ensemble Européen William Byrd und Lorenzo Ghielmis Ensemble La Divina armonia, das hier erst kürzlich eine fulminante Aufnahme von Händels Orgelkonzerte Op.4 vorgelegt hat. Als weitere Neuzugänge seien noch der brasilianische Cembalist Nicolau de Figueiredo, der Cellist Sergei Istomin und der Fortepianist Alexei Lubimov zu nennen. Im Rahmen der Neuorganisation des Labels möchte Jan de Winne den bewährten ursprünglichen Schwerpunkt Alter Musik in historischer Aufführungspraxis beibehalten, aber auch nach und nach Musik späterer Epochen in das Programm integrieren. Mehr Info... |
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