
Bolton, Anthony - Lieder
Music for Money
Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine ernst zu nehmende Alternative zu Benjamin Brittens 'Ceremony of Carols': Anthony Boltons 'Garland of Carols' in einer blitzsauberen Interpretation.
“My Beloved spake, and said unto me” – diese Zeilen aus dem Hohelied Salomo sind in der englischen Kirchenmusik sehr beliebt. Am bekanntesten ist wohl die nachromantisch-opulente Vertonung Patrick Hadleys (1899–1973), die auch in einer Orchesterfassung existiert. Hier liegt uns gänzlich Anderes vor – eine (harmonisch Hadley durchaus nicht fern stehende) chromatisch unterfütterte A-Cappella-Version. Ich fühle mich sogleich an George Dyson, vielleicht auch an Geoffrey Bush erinnert, bekannte englische Chorkomponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Wir haben es mit einem Komponisten zu tun, der durchaus ernst zu nehmen ist, einem Komponisten, der sich seiner musikalischen „Heritage“ durchaus bewusst zu sein scheint. Was Wunder, komponierte er die vorliegenden Werke für Winchester College, wo George Dyson Musikdirektor gewesen war.
Warum dann „Music for Money“? Anthony Bolton ist ein renommierter Investmentbanker, einer der renommiertesten ganz Großbritanniens. Die hier vorgelegten Kompositionen sind natürlich keine Auftragswerke, vielmehr hat Bolton die Produktion der vorliegenden CD selbst überwacht. Wenn ein Finanzier derart an Musik interessiert ist – vielleicht hat er dann ja auch Geld für die Musik anderer? Wäre es nicht schön, neben Sir Peter Moores einen weiteren Großmäzen von Musik in Großbritannien zu haben?
Bolton bezeichnet als einen der wichtigsten musikalischen Einflüsse Benjamin Britten, und der Duktus seiner 'Garland of Carols’ für Knaben- oder Frauenchor und Harfe ist auch ganz in Parallele zu Brittens 'Ceremony of Carols’ zu hören – sowohl in harmonischer als auch satztechnischer Hinsicht, u. a. auch mit Blick auf den Einsatz von Soli und Harfenzwischenspielen. Nun könnte man befürchten, hier schlicht einen Britten-Epigonen zu haben, doch Bolton scheint eine sorgfältige musikalische Unterweisung erhalten zu haben (im Booklet ist hierüber nichts zu finden), so dass hier durchaus von einer eigenständigen Leistung zu sprechen ist, wenn auch dem Geiste Brittens verpflichtet. Bolton erweist sich auch hier bezüglich der Textwahl traditionsbewusst – zumindest einige der zu Grunde liegenden Texte entstammen dem englische ‚Carol’-Kanon. Zwei Sätze aber entstand auf Texte nichtenglischer Herkunft – sie stammen aus Portugal und Spanien (ganz eigen 'A Kiss for the Baby’). Zu einem Satz, dem musikalisch vielleicht sogar interessantesten weil eigenständigsten der ganzen Komposition, verfasste Bolton den Text selbst.
In Folge der Zusammenarbeit an der 'Garland of Carols’ befreundete sich Bolton mit der berühmten Harfenistin Sioned Williams, für die er für die vorliegende CD eine gut achtminütiges Impromptu schuf – in der besten Tradition etwa Edmund Rubbras. Es ist interessant diese Traditionslinien zu verfolgen, die Bolton zutiefst in der britischen Musikgeschichte verorten. Entsprechend ist die Wahl der Interpreten nur angemessen. Die Oxford Voices unter ihrem Leiter Mark Shepherd und die Harfenistin Sioned Williams bieten kongeniale Interpretationen der genannten Werke. Williams ist nicht ohne Grund eine der berühmtesten Exponenten ihres Instruments weltweit und auch die Oxford Voices verkörpern die von Bolton intendierte Tradition – die Einspielungen klingen wie aus einem Guss, lebendig, lyrisch, stimmungsvoll, authentisch – wie Referenzeinspielungen halt.
Ergänzt werden diese Aufnahmen durch Boltons Liederzyklus 'Black Sea’ auf Texte des Kanadiers Mark Strand, die er in einem Kiosk an einem italienischen Urlaubsdomizil entdeckt hatte. Fünf Miniaturen, mit lyrischer ebenso wie dramatischer Projektion, in einer expressiven Wiedergabe durch Richard Edgar-Wilson und Fali Pavri. Edgar-Wilson hat bereits den Zenith seines Könnens überschritten (ein gefährliches Vibrato beeinträchtigt bereits die Direktheit des Ausdrucks), doch verstärkt sich hierdurch vielleicht gar noch die Ausdruckskraft der Gesänge. Der mir bislang unbekannte aus Indien stammende Fali Pavri erweist sich als Klavierpartner höchsten Kalibers, von dem man hoffentlich noch viel hören wird, und nicht nur in seiner Eigenschaft als Dozent an der Royal Scottish Academy of Music and Drama.
Wenn man Anthony Boltons Musik etwas vorwerfen kann, dann höchstens, dass er (noch?) nicht die Tugend der Knappheit beherrscht – gelegentlich verliert er sich in seinen Kompositionen – die 'Garland of Carols’ dauert fast 48 Minuten, doppelt so lang wie Brittens Werk. Nicht dass seine Musik „on the long run“ an Qualität verlieren würde – nur kennt man die 'Ceremony of Carols’ so gut, dass fast automatisch ein ähnlicher Umfang angenommen wird. Bolton vorzuwerfen, dass er sich von der Tonalität nicht abgewendet hat, wäre unbillig – versteht er sich doch einer Traditionslinie verbunden, die sich ihre Lebendigkeit in Großbritannien bis heute bewahrt hat.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bolton, Anthony: Lieder |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Guild 1 02.09.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
795754733525 |
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Guild Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein. Mehr Info... |
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