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Mittwoch, 27. September 2023

Walter Berry singt - Arien von Mozart, Beethoven, Strauss u.a

Ein Kessel Buntes – Walter Berry in Wien


Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die Arien-Zusammenstellung bietet manches, was auch auf Gesamtaufnahmen greifbar ist. Aber sie liefert gleichzeitig einen glänzenden Überblick der umfangreichen Rollen, in die Walter Berry kongenial zu schlüpfen verstand.

Wenn Orfeo d’Or in seiner Reihe ‚Wiener Staatsoper Live’ Recital-CDs vorliegt, begibt sich Gottfried Kraus, Musikpublizist und zentrale Figur im Bereich Dokumentation aus österreichischen Klangarchiven, fast naturgemäß auf etwas glatteres Parkett als mit Gesamtaufnahmen, die ganz ohne Frage fast immer bleibenden Wert besitzen. Hier wurden Einspielungen des Wiener Bassbaritons Walter Berry (1929–2000) aus den Jahren 1955–1993 zusammengetragen, vielfach zentrale Partien des Sängers betreffend. Da haben wir Leporello und Masetto, Wozzeck und Barak, Ochs auf Lerchenau und Figaro, selbst Beethovens Pizarro, alles Rollen, die auch in Gesamtaufnahmen (häufig als Studioproduktionen) vorliegen. Und ein wenig fragt man sich: Und warum dann auch hier? Ganz ohne Frage weil Berry in diesen Partien Interpretationsgeschichte geschrieben hat.

Wir haben hier einen ganz großen Singschauspieler, wobei wir allerdings auf dieser CD das Gewicht auf „Schauspieler“ legen müssen, den großartigen Akteur, der seine Rollen psychologisch tief durchdrang und nicht selten Referenzinterpretationen vorlegte. Wie bedauerlich ist es doch, dass es in den 1960er-Jahren seine als kongenial zu bezeichnende Interpretation des Barak in Strauss’ 'Frau ohne Schatten’ (zusammen mit seiner damaligen Frau Christa Ludwig) nur mit einer Szene ins Studio geschafft hat (unter Heinrich Hollreiser für Eurodisc/BMG). Karajans Live-Produktion von 1964, zurzeit bei der DG lieferbar, krankt leider sowohl an Karajans Freiheiten mit der Partitur als auch an der minderwertigen Tontechnik des ORF, die sich bedauerlicherweise auf dieser CD viel zu häufig bemerkbar macht. Natürlich gibt es auch Berrys Live-Mitschnitt von 1977 aus Wien unter Böhm mit Birgit Nilsson (ebenfalls DG), doch wer einmal Berry und Ludwig in den Rollen gehört hat, wird hierher immer wieder zurückkehren wollen.

Als Ochs auf Lerchenau ist Berry in einem Live-Mitschnitt unter Leonard Bernstein von 1968 zu hören, jenem Dirigenten, der auch die Wiener CBS-Studioproduktion mit Berry, Ludwig (als Marschallin) und Gwyneth Jones (als Octavian) leitete. Der Schluss des zweiten Akts (in beiden Fällen mit einer grandiosen Margarita Lilowa) gerät in diesem Live-Mitschnitt von den Tempi her noch merkwürdiger als die Studioproduktion – die Tempi mögen im Live-Erlebnis schlüssig gewesen sein, hier, ohne die optische Komponente, wirken sie merkwürdig, gedehnt, nachgerade zerdehnt und verschoben.

Überhaupt wünscht man sich die optische Komponente, ob in der merkwürdigen Akustik von Pizarros 'Ha, welch ein Augenblick’1962 unter Karajan oder der viel zu kurzen Szene aus 'Wozzeck’unter Böhm (Mitschnitt von 1955 – herrlich die beiden Komprimarii Peter Klein und Karl Dönch). In beiden Fällen hat Berry im Studio (unter Klemperer bzw. Boulez für EMI bzw. CBS) mehr „Stimme“, mehr Farbvaleurs, dadurch irgendwie auch mehr Charaktervaleurs, auch wenn man seine immense Bühnenpräsenz auch auf dieser CD durchaus hören kann. Leider steht es in diesem Recital ebenso mit seinem Leporello und Figaro (kongenial im Studio 1965 unter Klemperer bzw. 1956 unter Böhm und 1964 auf Deutsch unter Suitner). Böhms wie Karajans 'Don Giovanni’Livemitschnitte von 1955 bzw. 1963, aus denen die kurzen Ausschnitte stammen, waren zwischenzeitlich beide lieferbar (letztere in der verdienstvollen Reihe der Wiener Staatsoper bei der RCA), ein Salzburger 'Figaro’Mitschnitt unter Böhm von 1966 (also knapp vor dem hier vorgelegten Ausschnitt aus Wien von 1967) wurde von TDK auf DVD vorgelegt. Berrys Guglielmo in 'Così fan tutte’ hier unter Böhm 1966) ist auf Platte ausführlich dokumentiert mit der italienischsprachigen Gesamtaufnahme unter Rudolf Moralt von 1955 – hier, elf Jahre später wird Deutsch gesungen, wodurch der Witz der gewählten Szene (weit mehr als nur die Arie 'Non siate ritrosi’wie im Booklet genannt, sondern auch das folgende Terzett 'E voi ridete?’ noch besser zur Geltung kommt. Selbst Berrys Klingsor liegt als Livemitschnitt einer vollständigen Aufführung vor, abermals in der RCA-Reihe der Wiener Staatsoper, unter Karajan 1961 mit Christa Ludwig und Elisabeth Höngen (jawohl, zwei Sängerinnen) als Kundry. Hier haben wir nun einen deutlich späteren Ausschnitt von 1979 mit der unvergleichlichen Leonie Rysanek, unter Horst Stein. Stein war ein 'Parsifall’-Dirigent von Bayreuths Gnaden (eine DVD mit Siegfried Jerusalem und Eva Randova wurde vor zwei Jahren bei DG vorgelegt) und die Beschwörungsszene aus dem zweiten Akt enttäuscht nicht. Berrys Eloquenz lässt leicht den Wotan und auch den Alberich durchblicken, beides Rollen, die Berry in den USA höchst erfolgreich sang. Die Intensität der Szene, diesmal auch verbunden mit tadelloser Tonqualität und vokaler Präsenz beider Solisten, macht diese zu einem der wichtigsten Stücke auf dieser CD.

1984 hatte ich das Glück, Berry als Verdis Falstaff (in Köln) auf der Bühne sehen zu können, sprachlich nicht wirklich idiomatisch, aber sehr präsent und charakterstark. Sicher nicht seine beste Rolle, doch voll Charme und mit dem so wichtigen Witz in der Stimme, der in der jüngsten Zeit immer wieder den Sängern der Rolle abgeht. Das CD-Booklet kündigt den Wiener Mitschnitt des 'Falstaff’ unter Lorin Maazel von 1983 bereits an, so fragt man sich auch hier nach dem tieferen Sinn der „Vorabveröffentlichung“ des Endes des 3. Bildes.

Bleiben zwei Rollen, in denen Berry ansonsten nicht dokumentiert ist. Den Theaterdirektor La Roche in Strauss’ 'Capriccio’ nahm Berry erst 1992 in sein Repertoire, zuvor war er lange (auch in einem bei Orfeo d’Or greifbaren Wiener Mitschnitt unter Georges Prêtre) in der Rolle des Dichters Olivier zu hören gewesen. In dem Mitschnitt von 1993 unter Peter Schneider merkt man, wie Berry stimmlich nicht mehr ganz bei Stimme ist (ähnlich wie er unter Christoph Eschenbach 1999 für Decca den Haushofmeister im Finale derselben Oper mit Renée Fleming übernommen hat) – doch hier wie dort erlebt man einen Musiker, der Vollblutakteur reinsten Wassers war.

Walter Berry als Telramund? Eine kleine Überraschung war das für mich, weil ich ihn mir nie in der Rolle des teilweise doch etwas verklemmten Edelmanns, der sich von seiner Frau für ihre Zwecke einspannen ließ, vorgestellt hätte. In Wien spielte Berry diese Rolle zusammen mit seiner damaligen Frau Christa Ludwig, der Ausschnitt von 1965 unter Böhm bietet jedoch leider nicht das zentrale Duett des zweiten Akts, sondern die Anklage aus dem ersten Akt (mit Eberhard Waechter als Heerrufer und dem herrlichen Martti Talvela als König Heinrich). Man glaubt Berry gänzlich, was er Elsa vorwirft, weitaus mehr als Fischer-Dieskau in der Kempe-Referenzaufnahme. Hätte Kempe doch Berry statt seiner für die Rolle gewählt – was für ein Kampf der Giganten wäre der zweite Akt geworden! Doch lieber dieser kurze Ausschnitt als gar nichts. Und wer weiß, vielleicht ist es irgendwann einmal möglich, die vollständige Aufführung zu veröffentlichen.

Gutes und weniger Gutes also findet sich in gemischter Folge auf dieser CD, vieles, das nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Warum andere Rollen, für die Berry (auch in Wien) zu Recht berühmt war, fehlen, bleibt unklar, allen voran der Papageno, für mehrere Jahrzehnte Berrys Paraderolle. Doch wurde er vermutlich ebenso wie der Musiklehrer in 'Ariadne auf Naxos’ weggelassen, weil beide Rollen bestens dokumentiert sind, der Papageno in zwei berühmten Studioproduktionen (Klemperer und Sawallisch, EMI 1963 und 1972) und diversen Live-Mitschnitten, der Musiklehrer in Leinsdorfs und Soltis Studioproduktionen 1958 und 1977 und der Fernsehfassung unter Böhm (auf DVD bei DG). Warum aber die zeitgenössische Musik fehlt (1976 sang Berry u.a. in der Uraufführung von Gottfried von Einems 'Kabale und Liebe’), bleibt ebenso unverständlich wie Gottfried Kraus’ nicht nachvollziehbare Mitteilung in dem ansonsten exzellenten Booklet, die Gesamtaufnahme von Puccinis 'Gianni Schicchi’ sei auf CD greifbar.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Walter Berry singt: Arien von Mozart, Beethoven, Strauss u.a

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
ORFEO
1
24.07.2009
Medium:
EAN:

CD
4011790769127


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ORFEO

Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
Der Musik der Moderne wird mit den gleichen Qualitätsstandards Beachtung geschenkt - in exemplarischen Neuaufnahmen wie in Mitschnitten bedeutender Uraufführungen. Wichtige Akzente setzen dabei die Serien Edition zeitgenössisches Lied, die bis in die unmittelbare Gegenwart vorstößt, und Musica Rediviva mit Werken verbotener oder zu Unrecht vergessener Komponisten.
Zu den Künstlern zählen die besten Sängerinnen und Sänger, Instrumentalisten, Orchester und Dirigenten der letzten drei Jahrzehnte. Die Förderung aufstrebender Künstler der jüngeren Generation war und ist ORFEO stets ein Anliegen. Viele, die heute zu den Großen der Musikszene zählen, errangen bei uns ihre ersten Schallplattenerfolge.
Mit der Serie ORFEO D'OR wird auf die große interpretatorische Vergangenheit zurückgegriffen; legendäre Aufführungen u.a. aus Bayreuth, München, Wien und Salzburg werden dokumentiert. Hierbei wurde von Anfang an besonderer Wert auf sorgfältige Edition gelegt; durch - das dürfte auf dem Markt für historische Aufnahmen heute sehr selten sein - offizielle Zusammenarbeit mit den Künstlern, Erben und Institutionen hat ORFEO D'OR jeweils exklusiven Zugriff auf die besten erhaltenen Originalquellen.
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