
Eulenburg, Botho Sigwart Graf zu - Streichquartett in H-Dur op. 13
Viel Handwerk, wenig Genius
Label/Verlag: Stieglitz
Detailinformationen zum besprochenen Titel
In fast jeder Beziehung enttäuschende CD mit zu Recht unbekannten Werken des Komponisten Botho Sigwart Graf zu Eulenburg.
Botho Sigwart Graf zu Eulenburg (1884-1915) gehört zu den vielen Komponisten der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die heute vollkommen in Vergessenheit geraten sind und deren Musik nach und nach wieder ausgegraben und aufgenommen wird.
Botho Sigwart Graf zu Eulenburg wurde 1884 in München geboren, sein Vater war Diplomat in preußischen Diensten, selbst Komponist und begeisterter Musiker, so dass er das Talent seines Sohnes früh förderte. Nach seiner Schulausbildung im schlesischen Bunzlau begann Botho Sigwart 1902 neben einem Geschichts- und Philologiestudium bei Ludwig Thuille auch Komposition zu studieren. Dieses Studium setze er 1908/09 bei Max Reger in Leipzig fort. Höhepunkte seiner musikalischen Laufbahn werden ein Besuch 1903 in Bayreuth auf Einladung Cosima Wagners, ein Treffen 1911 mit Albert Schweizer, für den er ein großes Orgelkonzert schreibt, und eine Reise nach Griechenland 1912, die ihn unter anderem zu seiner einzigen Oper ‘Die Lieder des Euripides’ inspiriert. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges wird er eingezogen und beim Sturm auf Leki in Gallizien so schwer verwundet, dass er kurze Zeit später seinen Verletzungen erliegt. Auch sein einziger Sohn mit der Sängerin Helene Staegemann stirbt 1936 als Soldat bei einer Wehrübung. Aufgrund seines frühen Todes ist das Werk Botho Sigwarts recht überschaubar. Die hier vorliegende Einspielung enthält sein einziges Streichquartett Op.13 und seine letzte Komposition, die Klaviersonate Op.19.
Streichquartett H-Dur op.13
Botho Sigwarts Musik ist fest in der romantischen Tradition verwurzelt und lebt hauptsächlich von den harmonischen Beziehungen, die er in seinen Sätzen knüpft. Das melodisch-motivische Potenzial ist sehr gering, die Bewegung erhält die Musik hauptsächlich durch die Verwendung unterschiedlicher rhythmischer Modelle. Man kann das entweder als modern bezeichnen, oder als kompositorisch limitiert. Aufgrund der motivischen Leere gelingt es ihm kaum, größere Formen überzeugend zu füllen. Am gelungensten ist hier noch der kurze zweite Satz des Streichquartetts, der mit einem liedhaften homophonen Satz beginnt, der stark mit dem kontrapunktischen Mittelteil kontrastiert und in einem dramatischen Ausbruch gipfelt. Der dritte Satz bringt zunächst ein sich über dem Bordun des Cellos ausbreitendes imitatorisch verflochtenes Scherzo, dem sich zwei walzerhaft stilisierte Trios anschließen, wobei sich das zweite mit seiner Gegenüberstellung von pizzicato und arco als Variante des ersten erweist. Auch der vierte Satz, ein Thema mit Variationen ist handwerklich solide gebaut, ohne mit überraschenden Einfällen glänzen zu können, teilweise fühlt man sich ein wenig an die Volkstümlichkeit Smetanas erinnert, teilweise an die Leichtigkeit Mendelssohns. Insgesamt erhält die Komposition aber viel zu viel einfaches Passagenwerk, das auf die Dauer ermüdend wirkt. Das Botho-Sigwart-Streichensemble, dessen Mitglieder uns das Booklet verschweigt, versucht engagiert und mit zum Teil hervorragendem Spiel, die vielen Schwächen des Werkes wettzumachen. Der Klang zählt allerdings auch zu den vielen Schwächen der Aufnahme. Zwar sind alle Details sehr gut hörbar und das Ensemble klingt zwar etwas dünn aber natürlich, allerdings hat man fast den Eindruck einer Monoaufnahme, so eng ist das Klangbild um die Mitte gruppiert und so weit weg klingen die Musiker.
Klaviersonate D-Dur op.19
Die Klaviersonate wird im Booklet als Botho Sigwarts Schwanengesang bezeichnet. Es fallen zunächst die vielen Tempoangaben zum ersten Satz auf. Allerdings weist die Komposition die gleichen Schwächen auf wie das Quartett, nämlich die Dürftigkeit des motivischen Materials. Harmonische Entwicklungen werden mit manchmal naiv wirkenden Klavierfloskeln gefüllt. Man mag die Entstehung im Schützengraben als Entschuldigung anführen können. In einer Umgebung so vielfältigen Leids mag die Komposition wirklich tief gehender Musik nicht möglich sein. So wirkt der ruhige dritte Satz wie eine gespenstische Ruhepause im Gefecht, bei der sich nicht einmal mehr die Vögel zum Singen aufraffen können. Der motorische Anfang des letzten Satzes weckt große Erwartungen, die aber auch ins Leere laufen, vielleicht ein Zeugnis für Botho Sigwarts hoffnungslose Lage an der Front. Der Pianist Martin Pillwein hat nicht nur mit den Schwächen des Stückes zu kämpfen. Der zunächst sehr direkt Klang legt seine spieltechnischen Probleme z.B. bei Trillern schonungslos frei. Das Klangbild insgesamt ist sehr gewöhnungsbedürftig: links liegen die hohen und mittleren Register, rechts die tiefen Saiten des Klaviers, wodurch der Klang überwiegend links hängt. Dazu kommen zahlreiche analoge und digitale Verzerrungen und sogar digitale Klicks, die auf einer CD heutzutage nichts mehr zu suchen haben sollten. Und der Übergang zum vierten Satz setzt dem Ganzen die Krone auf. Ab hier ist der Klang quasi mono mit ein wenig Hall drum herum.
Auch das Booklet besticht vor allem durch seine Desinformation. So hätte ich mir bei der Ersteinspielung etwas mehr Informationen über Leben und Werk des Komponisten gewünscht. Informationen über die Musiker der Aufnahme fehlen gänzlich. Kaum erwähnenswert, dass der Text natürlich nur in deutscher Sprache zu finden ist.
Insgesamt also in fast allen Belangen ein sehr enttäuschendes Produkt, das ich nicht einmal enthusiastischen Sammlern von unbekannten Werken empfehlen kann.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Eulenburg, Botho Sigwart Graf zu: Streichquartett in H-Dur op. 13 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Stieglitz 1 31.07.1999 |
Medium:
EAN: |
CD
4002716182991 |
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"Botho Sigwart studierte ab 1902 in München neben Geschichte und Philosophie auch Musik bei Ludwig Thuille und später in Leipzig bei Max Reger. Sigwart promovierte mit einer Arbeit über Erasmus Widmann zum Dr. phil. Er heiratet die Konzertsängerin Helene Staegemann (1877-1923). Ihr gemeinsamer, ebenfalls hochmusikalischer Sohn Friedrich wird 1914 geboren, stirbt jedoch - erst 22-jährig - bei einer Wehrübung. Botho Sigwart lernte in Straßburg Albert Schweitzer als Organisten kennen und bereiste anschließend Griechenland. Er starb im 1. Weltkrieg nach einer Verwundung, die er sich bei der Erstürmung der Schanzen von Leki in Galizien zugezogen hatte. Seine letzte Ruhestätte fand er im Park des väterlichen Schlosses Liebenberg nördlich von Berlin. Sein mehrere Gattungen umfassendes Werk ist vom spätromantischen Geist seiner Zeit geprägt, eifert aber den Größen dieser Zeit - von Brahms bis Reger - auf eine durchaus selbständige und nicht unoriginelle Weise nach. So klingt vieles bei ihm leichter und durchsichtiger als bei einem der Spätromantik zuzurechnenden Komponisten eigentlich zu erwarten wäre." |
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Stieglitz Das Label wurde 1989 in Berlin gegründet.
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