
Werke von Mahler & Dukas - Sinfonie Nr. 4
Jenseits der Schönberg-Schule
Label/Verlag: Guild
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Karl Rankl gehört zu der Menge vergessener Dirigenten, deren Werkdeutungen allerdings auch in der Gegenwart zu faszinieren vermögen. Hier steht Mahlers Vierte in einer idiomatischen Wiedergabe im Zentrum.
Im Oktober 2012 veranstaltete das Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg in Zusammenarbeit mit dem Arnold Schönberg Center Wien ein Symposium zu dem Thema ‚Arnold Schönberg, Max Reger und der Verein für musikalische Privataufführungen‘. Die Erkundung des Schönberg-Kreises erfolgte in schöner Ausweitung, ein Kongressbeitrag (von Matthias Wurz) trug den Titel ‚Von ‚schlechten Gewohnheiten‘ mahlerischer Dimension: Der Dirigent und Komponist Karl Rankl (1898–1968), seine Mitwirkung im Verein für musikalische Privataufführungen und die künstlerischen Folgen‘. Rankl migrierte als Jude nach England und wurde dort 1946 musikalischer Leiter des Royal Opera House Covent Garden. Die fünf Wiederaufbaujahre Rankls gelten als legendär, doch gebärdete sich Rankl offenbar zunehmend schwierig nahezu allen anderen Mitwirkenden gegenüber, nicht zuletzt weil auch berühmte Gaststars eingeladen wurden und ihre Fähigkeiten zuungunsten des Chefs des Hauses präsentieren konnten; die Situation kulminierte darin, dass Rankl seinen Posten niederlegte (sein Nachfolger wurde Rafael Kubelík). In den folgenden Jahren, spätestens nach seinem Tod 1968 fiel Rankl, der noch Posten in Glasgow und Australien bekleidet hatte, mehr und mehr der Vergessenheit anheim. So kam Matthias Wurz‘ Beitrag gerade recht, hatte er doch im Archiv der Wiener Symphoniker den Mitschnitt eines Konzerts des Vorgängers des ORF, des Radio Rot-Weiß-Rot entdeckt, das dort unbeachtet schlummerte, bis es nun zunächst in diesem Vortrag und nun auf der vorliegenden Veröffentlichung einer weiteren Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Wir hören einen (vollständigen!) Konzertmitschnitt aus dem Goldenen Musikvereinssaal Wien vom 23. Januar 1954 mit den Wiener Symphonikern und der Solistin Sena Jurinac, in einem Programm, das zumindest in dem einen Programmpunkt ausgesprochen wienerisch war. Im ‚Verein für musikalische Privataufführungen‘ hatte Rankl nicht nur Bruckners Siebte Sinfonie für Kammerensemble eingerichtet, sondern auch Mahlers Wunderhorn-Lieder – und so passt es bestens, dass wir hier Mahlers Vierte zu Gehör bekommen.
Die Wiener Symphoniker standen seinerzeit unter der künstlerischen Gesamtleitung Herbert von Karajans, und bekanntlich kann man an Karajans Klangideal der 1950er-Jahre noch nicht dieselben Maßstäbe anlegen wie an jenes der 1980er-Jahre. Das bedeutet in diesem Fall aber auch, dass wir hier eine überaus lebensvolle, warmherzige, musikantisch-musikalische Darbietung der Sinfonie bekommen, sorgfältig austariert, mit bestens abgemessenen Tempi, dabei einem eher flotten Kopfsatz, ohne zu eilen. Die Vorkriegstradition ist 1954 noch zu spüren, die gewachsene Mahler-Tradition resultiert in einem natürlichen Mahler-Klang, der orchestral nicht weniger überzeugender ist als etwa in Bruno Walters New Yorker legendäre Aufnahme. Vielleicht ein wenig zu sehr herausgestellt werden die Soloparts – fraglos ein Ergebnis der für die damalige Zeit ansonsten vorbildlichen Aufnahmetechnik, deren Einstellung sich auch im zweiten Werk des Programms erklärt. Für den langsamen Satz findet Rankl ein Tempo, das Mahler unmittelbar mit Beethoven verbindet und so die Wiener sinfonische Tradition von fast hundert Jahren wiederaufleben lässt. Die höchste Beglückung erfährt der Hörer sodann in Sena Jurinac – auch wenn Jurinac nicht ganz wie ein unschuldiges Kind klingt. Aber welche Klangfarben, welche Phrasierungskunst, welche Textverständlichkeit! Eine rundum überzeugende, eine äußerst erfreuliche Produktion.
Warum Rankl Mahler und Paul Dukas‘ 'L’apprenti sorcier' koppelte (außer der Werkdauer, die für das gut einstündige Konzert passen sollte), ist nicht bekannt, doch funktionieren die beiden Werke, auch ohne Pause dazwischen, überraschend gut zusammen. Die Raffinesse der Wiener Symphoniker zu jener Zeit erreicht in dieser Aufführung ihre Grenzen, doch bietet Rankl eine dramaturgisch gut konturierte, sich herrlich steigernde, an den passenden Stellen ausgesprochen tänzerische Wiedergabe, die auch in ihrer dynamischen Expansion bestens eingefangen ist (hier zeigt sich, dass die Mikrofonierung durchaus ihren Sinn hat).
Die Rundfunkbänder sind vorbildlich remastered, der Booklettext weckt Interesse auf mehr. Vielleicht liegen bei der BBC oder in Australien ja noch mehr Rankl-Aufnahmen, die diesen Dirigenten wieder auf die musikalische Landkarte zurückbringen könnten (1999 veröffentlichten Dutton ein Dvorák-Violinkonzert mit Ida Haendel unter ihm). Auch als Komponist ist Karl Rankl noch wiederzuentdecken. Wir sind gespannt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Werke von Mahler & Dukas: Sinfonie Nr. 4 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Guild 1 08.01.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
795754239720 |
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Guild Guild entstand in den frühen Achtzigerjahren auf Initiative des berühmten englischen Chorleiters Barry Rose, der den St Paul's Cathedral Choir in London leitete. Der Name hat nichts mit der nahe gelegenen Londoner Guild Hall zu tun, sondern kommt von Barry Roses erstem Chor, dem Guildford Cathedral Choir. Das frühere Logo (ein grosses G) entstand indem Barry Rose kurzerhand eine Teetasse umstülpte und mit einem Bleistift ihrem Rand bis zum Henkel entlang fuhr. Seit 2002 hat die Firma als Guild GmbH ihren Sitz in der Schweiz, in Ramsen bei Stein am Rhein. Mehr Info... |
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