
Wagner, Richard - Der Meistersinger - an orchestral tribute
Verzichtbare Wagner-Extrakte
Label/Verlag: Challenge Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die bei Challenge veröffentlichten orchestralen Wagner-Extrakte können wegen des fehlenden dramatischen Impulses kaum überzeugen. Besser gelungen sind dagegen Wagners frühe 'Deux entractes tragiques' in einer Aufführungsversion von Henk de Vlieger.
1998 brachte RCA drei CDs ‚Wagner ohne Worte‘ heraus: Arrangements von Vor- und Zwischenspielen sowie einzelnen Szenen zu Suiten aus 'Der Ring des Nibelungen', 'Tristan und Isolde' und 'Parsifal' (jetzt bei Challenge neu aufgelegt). Die Einrichtungen von Henk de Vlieger versuchten teilweise eine Art symphonischen Anspruch zu erheben – anders als viele Dirigenten und Arrangeure vor ihm, die Orchesterausschnitte für den Konzertgebrauch nutzbar machen wollten, unter ihnen George Szell und Leopold Stokowski. In diese Tradition gehören auch zwei neuere Produktionen: 1990 hat Lorin Maazel erstmals einen ‚Ring ohne Worte‘ (Telarc) vorgelegt, 2007 gefolgt von einem ‚Tannhäuser ohne Worte‘ (Sony).
Nun ist unbestritten, dass Wagner (und jeder andere Komponist) sich bei der Komposition einer Oper etwas gedacht hat, eine dramaturgische Struktur entwickelt und sorgsame Übergänge entwickelt hat; eine Umwandlung in eine Art ‚orchestrale Zusammenfassung‘ kann daher leicht problematisch werden. Henk de Vlieger nennt seine Bearbeitung der 'Meistersinger von Nürnberg' aus dem Jahr 2006 denn auch ‚an orchestral tribute‘, doch handelt es sich keineswegs um einen Tribut an die vollständige Oper. Der zweite Akt kommt deutlich zu kurz, und selbst der erste Akt ist nur durch das Vorspiel und einen ‚Versammlung der Meistersänger‘ überschriebenen Abschnitt. Die Weglassung von Singstimmen ist vornehmlich durch den Einsatz von Holzbläsern kompensiert, doch dem Opernkenner fehlt deutlich etwas.
Leider hat sich Vlieger auch nicht die Mühe gemacht, organische Übergänge zwischen den einzelnen Musikstücken zu entwickeln. So springt man munter zwischen Szenen der Oper, die musikalisch teilweise kaum zu vereinbaren sind. Ein groß angelegtes Potpourri also, das aber nicht einmal die Vorzüge eines regelrechten Opernquerschnittes aufweisen kann, mit exzeptionellen Sängern und dem Eindruck dramatischer Dringlichkeit.
Edo de Waart hatte sich schon 1998 für Henk de Vliegers Elaboraten zu Wagner-Opern eingesetzt, und auch hier treffen wir ihn wieder. Sein interpretatorischer Ansatz hat sich nicht verändert – er dirigiert das Netherlands Radio Philharmonic Orchestra sauber, nobel, doch wie schon vor einer Dekade gleichzeitig merkwürdig behäbig, ‚un-spirited‘. Auch ihm scheint der dramatische Impuls der Oper zu fehlen, so dass selbst der Tanz der Lehrbuben im dritten Akt langatmig zu werden droht. Schade um die schöne Musik, und vergleicht man die 'Meistersinger'-Suite mit Ausschnitten aus dem dritten Akt von Paul Paray (Mercury Living Presence 1960), merkt man, wie weit man vom ‚real thing‘ entfernt ist.
Gute fünfzig Minuten auf der CD also verschenkt. Bleiben 'Deux entractes tragiques', die Wagner wohl 1832 entwarf. Über ein teilweise deutlich skizzenhaftes Particell geht die Komposition nur in den ersten 52 Takten hinaus. Aufgrund dieser 52-taktigen Orchestrierung des ersten Entr’acte hat Vlieger das Particell 2000 zu Ende orchestriert. Und hier erweist sich, dass Henk de Vliegers Leistungen durchaus wertvoll sein können; man spürt zwar das Skizzenhafte auch durch die Orchestrierung (nicht umsonst hat Wagner die Komposition abgebrochen), aber auf jeden Fall kann man eine Ahnung dessen erlangen, womit Wagner als knapp Zwanzigjähriger beschäftigt war. Für diese beiden Entr’actes lohnt sich die CD – vielleicht auch weil Otto Tausk die Niederländische Radio Philharmonie lebhafter dirigiert als Edo de Waart. Bislang bietet Challenge die CD noch nicht als Download an, doch wäre dies in diesem Fall ein wirklich sinnvolles Unterfangen, um sich das enttäuschende 'Meistersinger'-Machwerk zu ersparen. Das Booklet ist so gut wie es unter den gegebenen Umständen sein kann und auch die Aufnahmetechnik ist tadellos.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Wagner, Richard: Der Meistersinger - an orchestral tribute |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
Challenge Classics 1 01.10.2010 64:55 2009 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
608917232622 CC72326 |
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"Meistersinger ohne Worte: Diese Neueinspielung der Meistersinger-Orchester-Adaption von Henk de Vlieger mit dem Netherlands Radio Philharmonic Orchestra unter Edo de Waart setzt die erfolgreiche Reihe fort und ist einzigartig in seiner Art. Sie enthält außerdem die Orchestrierungen Henk de Vliegers von Anfängen zweier instrumentaler Kompositionen, die als 'Entreactes tragiques' in die Richard-Wagner-Gesamtausgabe von 1986 aufgenommen wurden und ursprünglich vom Komponisten als Theatermusik konzipiert wurden. Das Ergebnis passt hervorragend zu Wagners eigenen Orchestrierungen seiner unvollendeten Oper 'Die Hochzeit' (1833) und seinem ersten abgeschlossenen Musikdrama Die Feen (1833-1834)." |
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