
Schreker, Franz - Orchester- und Chormusik
Packend
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Peter Gülkes Einsatz für die Orchester- bzw. chorsinfonische Musik Franz Schrekers ist aller Ehren wert. Die Wiederveröffentlichung bei Brilliant ebenso, wenn auch die editorische Qualität manchen Mangel offenbart.
Franz Schrekers (1878–1934) Musik hat es nicht leicht. Aus irgendwelchen Gründen hat sie noch nicht jene Bekanntheit erlangt, die ihr als zentralem Beitrag zum musikalischen Expressionismus zukommt. Gerade da sein Schaffen insgesamt überschaubar ist, wäre es der Tonträgerindustrie längst ein Leichtes gewesen, zumindest einzelne Abteilungen vorzulegen, und Bemühungen sind allenthalben da: Channel Classics legten die Klavierlieder vor, Capriccio, cpo, Marco Polo und andere Labels haben sich für die Opern eingesetzt, die es mittlerweile teilweise bis zu den Salzburger Festspiele geschafft haben ('Die Gezeichneten' 2005). Zahlreiche CD-Produktionen legen auch Zeugnis davon ab, dass immer wieder versucht wurde, auch Schrekers Orchesterwerke nachhaltig zu etablieren; der Niederschlag im Konzertleben hat sich bislang immer noch in Grenzen gehalten.
Die nun von Brilliant vorgelegte Doppel-CD bietet zwei 1999 bzw. 2000 zuvor bei Capriccio erschienene CDs in Lizenz an, mit neuem Booklettext und angeblich abweichender Besetzung. Um es von vorneherein klar zu machen: Peter Gülke dirigiert auf beiden CDs nicht das WDR Sinfonieorchester, sondern das Kölner Rundfunkorchester. Möglicherweise ist dieser Druckfehler bezeichnend für die Bemühungen, Schreker aufzuwerten. Weder die Berliner noch die Wiener Philharmoniker, weder das London Symphony Orchestra noch die New Yorker Philharmoniker haben bislang Werke von ihm eingespielt, dafür aber zahlreiche Orchester der so genannten ‚zweiten Garde‘, das BBC Philharmonic, das Kölner Gürzenichorchester, das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester, die Wiener Symphoniker und das Radio-Symphonieorchester Berlin. Besonders Peter Gülke hat sich für Schrekers Schaffen eingesetzt; neben den beiden vorliegenden CDs wurde auch die von ihm geleitete Aufführung der 1924 in Köln unter Otto Klemperer uraufgeführten 'Irrelohe' von Sony mitgeschnitten (bislang nicht wieder aufgelegt).
Entgegen der Ankündigung auf dem Front Cover handelt es sich keineswegs bloß um Orchester- und Chormusik von Schreker, auch wenn wahrscheinlich die wesentlichsten Chorwerke des Komponisten, der 116. Psalm op. 6 von 1900 und der Schwanengesang op. 11 von 1902, die beiden wesentlichsten Beiträge Schrekers auf dem Gebiet der Chorsymphonik sind. Beide Werke stehen in der Tradition Brahms’, doch bereits harmonisch ein paar Schritte weiter in Richtung 20. Jahrhundert. Schreker, noch ein Schüler Robert Fuchs’ am Wiener Konservatorium, erweist sich als durchaus ernstzunehmender Chorkomponist, aber ebenso noch auf dem Weg zur eigenen Klangsprache. Der Kölner Rundfunkchor, 1997 noch von Helmuth Froschauer geleitet (sein Name fehlt schon auf den Capriccio-Veröffentlichungen), ist beiden Werken gut gewachsen, auch wenn an wenigen Stellen Froschauers typische, in seiner Wiener Zeit noch weitaus eklatanteren Schwächen nicht ganz zu überhören sind: (seltene) unsaubere Intonation und eine Klangkultur, die unter anderen Chordirektoren noch weiter verbessert werden konnte.
Auf ganz andere Weise ebenfalls noch auf dem Weg ist die Sinfonie a-Moll op. 1, ein Werk, das Einflüsse wie Dvorák und andere Komponisten der 1880er-Jahre aufweist. Das Jugendwerk blieb unaufgeführt und die Partitur hat sich nur unvollständig erhalten (das Finale der Komposition fehlt). Es handelt sich um ein charmantes Werk, das in Vassily Sinaiskys Werkübersicht für Chandos fehlt. Den reifen, instrumentatorisch raffinierten Schreker, der später Lehrer vieler bedeutender Musiker werden sollte, erleben wir in 'Festwalzer und Walzerintermezzo' (1908) und 'Ein Tanzspiel' (1908-9), wenn auch den nicht opulent symphonischen wie in den beiden großen Vorspielen (zu einem Drama bzw. zu einer großen Oper) oder den komplex experimentellen wie in der Kammersinfonie für 23 Musiker. Während Schreker im ersten Werk in Walzerrhythmen schwelgt (übrigens musste der Schluss des Festwalzers rekonstruiert werden), ist das zweite eine Suite ‚im alten Stil‘, wobei vom ‚alten Stil‘ kaum mehr als die Satzbezeichnungen übrig sind: Als neobarock kann man die Komposition auf keinen Fall bezeichnen.
Die CD enthält eine Reihe Orchesterlieder, von der rheinischen Mezzosopranistin Mechthild Georg dargeboten. Ihr warmes Timbre, das in Momenten Doris Soffel vergleichbar ist, versöhnt damit, dass ihre Stimme in der Höhe leicht dünn wird, und ihr hörbares Engagement lässt vergessen, dass ihre Einspielung der Fünf Gesänge (1909/1922) nicht ganz an die Konkurrenzeinspielung mit Katerina Karnéus (Chandos) herankommt. Doch bietet Georg, anders als Karnéus, noch zwei ‚Zugaben‘: zwei von Schreker orchestrierte Eichendorff-Lieder ('Heimweh' und 'Verschwiegene Liebe') von Hugo Wolf.
Der Höhepunkt der gesamten Produktion aber ist das Melodram 'Das Weib des Intaphernes' (1932-3), ein halbstündiges Werk jener Gattung, der auch Max von Schillings’ 'Hexenlied' und Richard Strauss’ 'Enoch Arden' angehören. 'Das Weib des Intaphernes' entspricht von seinem morbiden Sujet her manch einer von Schrekers Opern. Hier haben wir nun den experimentellen, polytonal-atonalen Schreker, einen Komponisten, der einen weiten Weg gegangen ist von der frühen Sinfonie, einen Komponisten, der bereits durch die Nationalsozialisten angefeindet wird und nur wenig später sterben wird – zur Zeit der Wiener Uraufführung des Melodrams im Juni 1934 war er bereits ein Vierteljahr tot. Gert Westphal, der große Rezitator, gibt alles – die Schauermär kann niemanden unberührt lassen. Schreker weiß, wie er sein Publikum packt, und zusammen mit Westphal und dem Kölner Rundfunkorchester gelingt Gülke eine mustergültige Interpretation.
Quasi als Bonus-Tracks bietet Westphal vier Gedichte. Über Westphal als Rezitator ließen sich Bücher schreiben. Schrekers Gedichte entstammen naturgemäß ihrer Zeit und mögen manchem heute antiquiert erscheinen. Malcolm MacDonalds Booklettext ist kurz und knapp (nur auf Englisch), zu knapp: Wichtige Kompositionsdaten muss man sich aus dem Internet zusammensuchen – und auch nicht ganz akkurat; die verspätete Uraufführung der Sinfonie erfolgte 1998, nicht 1999. Die WDR-Aufnahmequalität ist, wie zu erwarten, professionell und lässt das ‚zweite‘ Orchester des WDR im besten Licht leuchten.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schreker, Franz: Orchester- und Chormusik |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 2 29.04.2011 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421942377 |
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