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Montag, 2. Oktober 2023

Graupner, Christoph - Die Kunst der Imitation

Die Kunst der Imitation


Label/Verlag: Stradivarius
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Ohne Zweifel gehört Christoph Graupner zu den Bach-Zeitgenossen, deren Namen man sich unbedingt merken sollte. 1683, zwei Jahre früher als Johann Sebastian Bach, wurde er im sächsischen Erzgebirge geboren. Ab 1696 besuchte er in Leipzig die Thomasschule und lernte dort die bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts kennen: Schelle, Heinichen und Kuhnau, die ihn auch unterrichteten. Später ergaben sich Kontakte zu weiteren Berühmtheiten: Johann Friedrich Fasch und Georg Philipp Telemann. In diesen Jahren erlernte Graupner das Musikhandwerk so gründlich, dass er sich nach seinem eigenen Zeugnis ‘weder in Kirchen- noch theatralischen Sachen’ zu fürchten brauchte. Seine Lebensstellung fand er jedoch nicht in Sachsen, sondern in Hessen: Der musikbegeisterte Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt holte ihn an seinen Hof in Darmstadt. Dort war er für die Hof- und Kirchenmusik zuständig. Eher privaten Interessen dienten offenbar seine Cembalo-Suiten und die Sammlung von mehr als 5000 Kanons. Dieser seltsam anmutenden Zusammenstellung und den Graupnerschen Triosonaten widmet sich nun diese Neueinspielung, die sich der ‘Kunst der Imitation’ verschrieben hat.

Kluges Programm

Der Canon – heute der Name für einen eher schlichten Vokalsatz mit nacheinander einsetzenden Stimmen – war im 17. und 18. Jahrhundert aus zweierlei Gründen bedeutungsvoll: Einerseits stand die Gattung mit der metaphysischen Musikspekulation in Verbindung, andererseits wurde er aus didaktischen Gründen gepflegt. Das bereits erwähnte Werk von Graupner bietet immerhin 5625 vierstimmige Canones über ein- und dasselbe Thema – sicher ein Kompendium spätbarocker Musikgelehrsamkeit. Das Ensemble ‘Antichi Strumenti’ hat nun nicht nur sechs Kanons, sondern vier mehrsätzige Trios bzw. Sonaten für zwei Violinen und Generalbass von Christoph Graupner eingespielt. Ergänzt werden diese durch jeweils eine Sonate von Johann Friedrich Fasch (1688–1758) und Johann Melchior Molter (1696–1765). Die Musik der genannten Komponisten braucht keinerlei Vergleiche zu scheuen: weder was die kontrapunktischen Künste, noch war ihre sinnliche Qualität betrifft. Die Werke vereinen musikalische Konzentration mit angenehmem Wohlklang des ausgehenden Barock. Im Mittelpunkt des klug ausgewählten Programms steht der ‘Canon all’ unisono a 2 Violini, Violoncello e Cembalo’ in F-Dur von Graupner. Bei diesem Canon handelt es sich nicht um ein einsätziges, kurzes Werk, sondern um eine viersätzige Sonate mit den Satzbezeichnungen Allegro – Largo – Presto – Adagio.

Den rechten Ton verfehlt

Das Spiel des Ensembles ist über weite Strecken äußerst sensibel, abgestimmt auf den Gestus der Musik. Die Tempi sind überzeugend gewählt, wobei die Interpreten sich in den langsamen Sätzen wirklich Zeit lassen und insgesamt eine unaufgeregte Musizierhaltung bevorzugen. Teilweise wird sehr schön gestaltet, etwa was die Arti-kulation angeht. Als Continuo-Instrument zieht das Ensemble ‘Antichi Strumenti’ – abweichend von den originalen Werktiteln – entweder die Orgel oder das Cembalo heran. Dies war sicherlich eine gute Entscheidung, die über den Aspekt der musikalischen Abwechselung weit hinausgeht.
Der Schwachpunkt der Interpretation sind die technischen Unzulänglichkeiten des Violinspiels von Gerd-Uwe Klein und Laura Toffeti. Die unsaubere Intonation schränkt den Musikgenuss merklich ein. Das ist sehr bedauerlich, da sowohl die Musik als auch die Zusammenstellung echtes Lob verdient. Musiziert wird auf historischen Instrumenten oder entsprechende Nachbauten, als Stimmung wurde Werck-meister III zugrundegelegt.

Esoterische Fragen

Ansprechend gestaltet ist das Booklet mit einem Beitrag von Peter Cahn und diver-sen Abbildungen, u.a. von Chillida (Hommage à Bach). Was jedoch die ‘Sieben Fra-gen zum Nachdenken über einen noch nicht sehr erforschten Komponisten’ des Cellisten Tobias Bonz sagen wollen, ist unklar. Inhaltlich eher dürftig, sind sie auch sprachlich alles andere als brillant: ‘Inwieweit können Komponisten als Alchimisten gesehen werden, wenn sie den ‚Stein des Weisen’ suchen?’
Solche halbesoterische Fragen braucht niemand. Wer sich über die Musikspekulation des Barock auslassen will, sollte etwas tiefer blicken und nicht nur mystifizierende Stichwörter in den Raum stellen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Graupner, Christoph: Die Kunst der Imitation

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Stradivarius
1
24.11.2006
Medium:
EAN:

CD
8011570336323


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Fasch, Johann Friedrich
Graupner, Christoph
Molter, Johann Melchior


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Stradivarius

Das 1988 gegründete Label STRADIVARIUS hat sich auf dem internationalen Markt als unabhängige Schallplattenfirma durchgesetzt, die vor allem auf zwei musikalische Gattungen spezialisiert ist: klassisch - aus der Renaissance und dem Barock - (mit der Reihe Dulcimer) und zeitgenössisch (mit der Reihe Times Future). Diese programmatische Entscheidung kommt aus dem Willen, eine ganz bestimmte und bezeichnende Rolle im heutigen Schallplattenumfeld zu spielen. Insbesondere hat STRADIVARIUS immer das Ziel verfolgt, den Vorrang italienischen Komponisten und Interpreten zu geben, um die bemerkenswertesten italienischen Kulturdarsteller auf aller Welt kennenlernen zu lassen.

In einem weiten Bereich ist STRADIVARIUS tätig: geistige, säkulare, Vokal-, Instrumental-, Solo-, Kammer- und Orchestermusik. Es gibt viele Beispiele seltener Registrieren, die als außerordentliche Kunstwerke weltweit betrachtet werden, wie zum Beispiel die Serie Un homme de concert, die die Zusammenarbeit mit dem berühmten Sviatoslav Richter offiziell festgelegt hat.

Was das zeitgenössische Repertoire betrifft, ist STRADIVARIUS im Laufe der Jahre, dank der Reihe Times Future, ein Bezugspunkt geworden, indem sie Werke von Franco Donatoni, Salvatore Sciarrino, Bruno Maderna, Goffredo Petrassi, Ivan Fedele, Luis De Pablo, Toshio Hosokawa und viele andere veröffentlicht hat.

Bruno Canino, René Clemencic, Alan Curtis, Emilia Fadini, Monica Huggett, Lucas Pfaff, Arturo Tamayo, Maggio Musicale Fiorentino, Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, Orchestra Verdi di Milano, Orchestre Philarmonique de Radio France, Orquesta y Coro de Madrid: Sie sind nur einige der Musiker und Formationen, die CDs für STRADIVARIUS aufgenommen haben.

Mit der Zeit ist das Bedürfnis entstanden, den Verlegervorschlag weiter zu diversifizieren; dadurch sind wichtige Reihen geboren, und zwar Guitar Collection (unter der Leitung von Frédéric Zigante), Ricordi Oggi (Ergebnis der Zusammenarbeit unter Stradivarius, dem Ricordi Universal Verlag und den Erben des Malers Emilio Tadini) und Milano Musica Festival (in Zusammenarbeit mit Milano Musica und RAI Radio3). Letzte in zeitlicher Reihenfolge ist die Landscape Serie, mit der STRADIVARIUS ihre Bereitschaft beweist, innovative Projekte zu verwirklichen.


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