> > > Graupner, Christoph: Passionskantaten Vol.2: Ex Tempore, Mannheimer Hofkapelle, Florian Heyerick
Freitag, 22. September 2023

Graupner, Christoph: Passionskantaten Vol.2 - Ex Tempore, Mannheimer Hofkapelle, Florian Heyerick

Fragile Kunst


Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Kantaten aus dem riesigen Werk Christoph Graupners vorzustellen, ist wirklich verdienstvoll – Florian Heyerick und seine Ensembles leisten eine wichtige Arbeit. Das klingende Ergebnis überzeugt, auch wenn es mitunter nicht ganz homogen wirkt.

Der 2018 bei cpo erschienene zweite Teil einer kleinen Reihe mit Passionskantaten von Christoph Graupner (1683–1760) wartet mit fragiler Kunst auf: Ganz mit den Texten von Johann Conrad Lichtenberg und deren Theologie verschmolzen, oft in karger Besetzung und ebenso reduzierter expressiver Anmutung entfaltet sich die Musik. Drei Kantaten sind zu hören: 'Das Leiden Jesu von seinen Freunden' GWV 1122/41, dann 'Die gesegnete Vollendung der Leiden Jesu' GWV 1127/41 und schließlich 'Die schmähliche Verspottung' GWV 1170/41. Die vordergründig wenig wirksamen Werke laufen Gefahr, affektiv monochrom zu wirken: Vielleicht sollte man sie am besten portionsweise zu den dazugehörigen Tagen des Kirchenjahrs hören.

Diese vermeintlich einschränkende Warnung berührt die Qualität der Kompositionen nicht, im Gegenteil: Graupner ist hier als harmonisch und linear durchaus experimentierfreudiger Komponist zu erleben, in manchem Detail geradezu idealtypisch für beredten Tonsatz. In der Sopran-Arie 'Weine über Jesu Schmerzen' etwas anderes zu hören als herzergreifendes Schluchzen und Zagen, ist kaum möglich. Oder die famose, gleichfalls fragile Bass-Arie 'Alles ist vollendet!' mit ihren Jesus zitierenden Rufen 'Es ist vollbracht' als immer wiederkehrender Aufstieg ins Kopfregister, damit Auferstehung und Himmelfahrt sinnfällig vorzeichnend – das ist schon großartige Kunst. Graupner wird gelegentlich zum Vorwurf gemacht, dass seinen Arien die formale Strenge der Da-capo-Form manchmal etwas schwer wird – dass das nicht ganz von der Hand zu weisen sein mag, ist auf dieser Platte mit ihrer affektiv wenig varianten Haltung zumindest zu erahnen.

Gemischte Bilanz

Die Mannheimer Hofkapelle spielt die instrumentalen Anteile mit zartem Zugriff, wirkt maßvoll klangfreudig, vor allem behände und stark darin, sich im vielfach durchbrochenen und strukturell kargen Satz zu behaupten. Das tut sie mit Geschmack und Dezenz, ohne jedoch ein darüber hinausgehendes, wirklich eigenständiges Profil zu gewinnen. Das mag, es wurde angedeutet, an den in dieser Hinsicht nicht sehr ergiebigen Kompositionen liegen. Vokal wird die Szenerie von Dominik Wörner positiv geprägt: Welch gewaltige stimmliche Autorität er entfaltet, wie souverän er seine blitzsaubere, höchst natürliche Diktion in die Waagschale wirft, die der Nachvollziehbarkeit der durchaus vertrackten Texte sehr zugutekommt – das macht Eindruck. Dazu der hinlänglich bekannte, noble Stimmkern als klug entfaltete Basis.

Wie oft bei Graupner, kommt neben dem Bass dem Sopran eine herausgehobene Stellung zu: Annelies Van Gramberen wird dem hohen Anspruch der Partien mit ansprechender Linearität gerecht, technisch dabei unangefochten. Freilich: Ihr teils eklatanter Mangel an plastischer Sprachgestalt fällt arg ins Gewicht, zumal neben dem gerade in dieser Hinsicht famosen Dominik Wörner. Alt und Tenor sind lediglich rezitativisch und in einem Duett gefordert: Marnix de Cat und Lothar Blum entledigen sich ihrer Aufgaben den Erfordernissen entsprechend, hinterlassen darüber hinaus jedoch keinen bleibenden Eindruck. Schließlich der selten und vor allem in verhaltenen Chorälen geforderte Chor, der ein achtstimmiges Ensemble unter Einbeziehung der Solisten ist: Er singt mit Delikatesse und schlichter Anmutung, wirkt freilich nicht perfekt balanciert; Dominik Wörner nicht herauszuhören, ist schwerlich möglich.

Das liegt nicht am Klangbild: Es ist eine sehr gesammelte Live-Aufnahme – kaum zu glauben, dass sie in nur einer einzigen Sitzung am 16. März 2017 entstanden sein soll. Jedenfalls ist das Ergebnis unbedingt erstaunlich in Sachen Struktur, plastischem Gepräge und auch mit Blick auf die Balance. Das angesprochene Chorproblem scheint eher nicht technisch, sondern in der Besetzung der Register begründet.

Kantaten aus dem riesigen Werk Christoph Graupners vorzustellen, ist wirklich verdienstvoll – Florian Heyerick und seine Ensembles leisten eine wichtige Arbeit. Das klingende Ergebnis überzeugt, auch wenn es mitunter nicht ganz homogen wirkt. Dominik Wörner ragt heraus.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Graupner, Christoph: Passionskantaten Vol.2: Ex Tempore, Mannheimer Hofkapelle, Florian Heyerick

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
cpo
1
26.03.2018
Medium:
EAN:

CD
761203517022


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Graupner, Christoph


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Dirigent(en):Heyerick, Florian
Orchester/Ensemble:Barockorchester Mannheimer Hofkapelle


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cpo

Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Besonders stolz macht uns dabei, daß cpo - 1986 gegründet - in Rekordzeit in die Spitze vorgestoßen ist. Das Geheimnis dieses Erfolges ist einfach erklärt, wenn auch schwierig umzusetzen: cpo sucht niemals den Kampf mit den Branchenriesen, sondern füllt mit Geschick die Nischen, die von den Großen nicht besetzt werden, weil sie dort keine Geschäfte wittern. Und aus mancher Nische wurde nach einhelliger Ansicht der Fachwelt mittlerweile ein wahres Schmuckkästchen.
Am Anfang einer Repertoire-Entscheidung steht bei uns noch ganz altmodisch das Partituren-lesen, denn nicht alles, was noch unentdeckt ist, muß auch auf die Silberscheibe gebannt werden. Andererseits gibt es - von der Renaissance bis zur Moderne - noch sehr viele wahre musikalische Schätze zu heben, die oft näher liegen, als man meint. Unsere großen Werk-Editionen von Pfitzner, Korngold, Hindemith oder Pettersson sind nicht umsonst gerühmt worden. In diesem Sinne werden wir fortfahren.
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