
Walter, Johann - Geystliches Gesangk Buchleyn
Reformatorischer Urklang
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine späte, aber umso schönere Frucht des Lutherjahres 2017: Johann Walters subtile Musik, hochkultiviert musiziert von Weser-Renaissance Bremen.
Johann Walter (1496-1570) wird gelegentlich als protestantischer Ur- oder Erzkantor bezeichnet: Als Idealform des Predigers in Tönen. Walter arbeitete eng mit Luther und anderen Reformatoren zusammen, wird also mit einigem Grund so genannt. Das beglaubigen etliche seiner bahnbrechenden Kompositionen und Sammlungen, zum Beispiel die 'Deutsche Messe' von 1525 und auch das 'Geystliche Gesangk Buchleyn' von 1524. All das trug zur Kodifizierung reformatorischen Bemühens bei, legte maßstäbliche Grundlagen. Vor allem das volkssprachliche Kirchenlied als genuin reformatorische Gattung gewann dank weiter Verbreitung durch Druck und vielfache Neuauflagen rasch an Einfluss – mit dem Ziel, breitere Schichten der Bevölkerung zu beteiligen, in allen Schichten für Verständnis zu sorgen, eben in Tönen verständlich zu predigen.
Im 'Geystlichen Gesangk Buchleyn' sind 38 Lieder und fünf lateinische Gesänge versammelt, darunter 24 frühe Lutherlieder. Johann Walter hat diese Choräle nach Art des deutschen Tenorlieds mehrstimmig ausgesetzt, teils kontrapunktisch anspruchsvoll, immer dem prägenden Choral in der Tenorstimme verpflichtet. Es ist dies die erste und unmittelbare Form der choralinspirierten künstlerischen Fortspinnung. Später waren zum Beispiel die Choralkantaten prägend. Oder vom Barock über Max Reger bis ins 20. Jahrhundert hinein die formal wenig begrenzte Kategorie der Choralfantasie für die Orgel.
Manfred Cordes hat für sein Ensemble Weser-Renaissance Bremen zwölf der Sätze aus dem 'Geystlichen Gesangk Buchleyn' für ein feines Programm ausgewählt, darunter so bekannte Choräle wie 'Nun bitten wir den Heiligen Geist', 'Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen', 'Aus tiefer Not schrei ich zu Dir', 'Mit Fried und Freud ich fahr dahin' oder 'Wir gläuben all‘ an einen Gott'.
Feines Ensemble
Wie gesagt: Tenor-Choräle mit umgebendem Kontrapunkt. Das ist der Gefahr monochromer Einseitigkeit ausgesetzt, wenn es auf einer Platte hintereinanderweg vorgebracht wird. Wie nicht anders zu erwarten, entgeht Manfred Cordes dieser Gefahr souverän und mit gestalterischer Fantasie: Er registriert das im Grunde höchst gleichförmige Geschehen geschmackvoll und mit Sinn für die Wirkungen – die Instrumente sind als Gamben- oder Bläserconsort geordnet, dazu auch in gemischten Konstellationen zu erleben und deuten farbig eine eigene Sphäre aus. Bald kontemplativ reflektierend, bald lebhaft dank der reichen kontrapunktischen Impulse. Artikulatorisch ergeben sich schöne Kontraste aus dem linearen Fluss der Choralmelodien und dem sanft explizierten Gewebe. Vier Gamben und eine Harfe, dazu Zink, zwei Posaunen und ein Dulzian ermöglichen abwechslungsreiche Konstellationen.
Vokale Kernakteure sind die Tenöre Mirko Ludwig und Hermann Oswald, die sich in schöner Tongebung bravourös-schlicht präsentieren und auch mit plastischen Sprachgestalt überzeugen. Hinzu treten in wechselnden Konstellationen die Sopranistin Marie Luise Werneburg, der Altus David Erler und der Bass Ulfried Staber, die sich bis zur kompletten, unbegleiteten Vokalbesetzung stimmschön und sensibel der Sätze annehmen.
Das Klangbild der Aufnahme ist intim, es wirkt konzentriert und lebendig, ist reich an Nuancen. Eine späte, aber umso schönere Frucht des Lutherjahres 2017: Johann Walters subtile Musik, hochkultiviert musiziert von Weser-Renaissance Bremen. Das ist dokumentarisch wichtig, nimmt aber auch interpretatorisch für sich ein.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Walter, Johann: Geystliches Gesangk Buchleyn |
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Label: Anzahl Medien: Spielzeit: |
cpo 1 72:04 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
761203513420 cpo 555 134-2 |
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Walter, Johann |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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