
Kalitzke, Johannes - Die Besessenen
Doppelbödiges Musiktheater
Label/Verlag: Neos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Neos veröffentlicht den spannenden Uraufführungsmitschnitt von Johannes Kalitzkes Oper 'Die Besessenen'.
Johannes Kalitzes vieraktige Oper 'Die Besessenen' (2008/09), als bislang vierte Arbeit des Komponisten für die Opernbühne im Februar 2010 im Theater an der Wien uraufgeführt, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Witold Gombrowicz. Auf pointierte Weise durchdringen sich hier unterschiedliche einander bedingende und aufeinander bezogene Erzählungsstränge – jener des greisen, von Gewissensbissen gequälten Fürsten Holszanski, jener der berechnenden Madame Ocholowska, die aus der Jugend ihrer Tochter Maja möglichst viel Kapital schlagen möchte, während diese sich wiederum dem Tennislehrer Leszczuk an den Hals wirft, jener des heimtückischen Verwalters Cholawicki, der es – wie auch der Kunsthistoriker Skalinski und alle anderen – auf die kostbare Gemäldesammlung Holszanskis abgesehen hat – sowie schließlich auch Elemente einer Schauergeschichte, geknüpft an ein mörderisches Handtuch, das angeblich im Schloss sein Unwesen treibt und als Projektionsfläche für die Ängste aller Protagonisten dient.
Das hier auftretende Figurenreportoire, ausschließlich aus ‚Besessenen‘ bestehend, die auf selbstzerstörerische Weise ihrem vermeintlichen Glück hinterherjagen und so einen Ausweg aus dem beständig in sich kreisenden, allein auf ökonomischen Mehrwert ausgerichteten Alltag suchen, eignet sich außerordentlich gut für eine musikdramatische Umsetzung, zumal es in Christoph Klimkes Libretto weitaus prägnanter gefasst ist als in der ausufernden Romanvorlage. Klimkes bisweilen fast holzschnittartige Reduktion bietet die idealen Voraussetzungen für Kalitzke, dessen spezieller musikalischer Zugriff gerade jene Zwischentöne und Schattierungen beisteuert, auf die der Librettist verzichtet hat. So erweist sich der Komponist als Meister subtiler und doppelbödiger Charakterzeichnung, reagiert mit einer Vielzahl formaler Gestalten (etwa Hoquetus, Toccata oder Choral) und stilistischer Allusionen (beispielsweise an populäre Musik und Walzerklänge) auf die ausgedünnten Dialoge und schafft dadurch ein wechselvolles instrumentales Panorama, dem auf vokaler Ebene eine abwechslungsreiche Führung der Singstimmen entspricht. All diese Elemente leitet er aus einem System kleinster, immer wieder permutierter und neu miteinander gekoppelter Kernelemente ab und vermeidet dadurch den Charakter einer bloßen Collage, indem er alle Gestaltungsmittel einer einheitlichen, allerdings idiomatisch immer wieder abgetönten Sprache unterordnet.
Musikalische Realisierung
Als Dirigent der vorliegenden Veröffentlichung aus dem Hause Neos, Mitschnitt der Uraufführungsproduktion, erweist sich Kalitzke zudem als idealer Anwalt seines eigenen Werkes und fördert immer wieder das Unbequeme der Partitur hervor: Dank der exzellenten musikalischen Leistungen des Klangforums Wien ist die Umsetzung der instrumentalen Schicht enorm plastisch geraten. Insbesondere dort, wo musikalische Schichten aufeinanderprallen, wo Brüche zwischen differierenden gestischen Momenten hervortreten oder sich Allusionen aus den Klängen herausschälen, erschließt die brillante Tonqualität der Aufnahme zudem eine enorme Tiefendimension. Diesem Detail verdankt sich auch der Umstand, dass die Oper auf CD ganz gut ohne den Hintergrund der szenischen Realisierung auskommt und aufgrund ihrer in die Musik verlagerten Dramatik passagenweise die Qualitäten eines Hörstückes entfaltet. Greifbar wird dies gleich zu Beginn, wo sich die Klänge zunächst aus einem Ostinato heraus entwickeln – laut Regieanweisung beobachten die Protagonisten hier zunehmend zerstreut ein Tennismatch – und sich allmählich immer stärker verzweigen sowie zu instrumentalen Nadelstichen auswachsen.
Auch die Sänger leisten ihren Beitrag zum Gelingen der Aufnahme: Der intensive Ausdruck etwa, den Bariton Leigh Melrose vor allem dem exaltierten Sprechgesang Cholawickis verleiht, trägt ebenso zur Charakterzeichnung bei wie jene ständig zwischen vermeintlicher Erfüllung und Parodie oszillierende Zwiesprache von Sopranistin Henrickje van Kerckhofe (als Maja) und Tenor Benjamin Huletts (als Leszczuk), die Kalitzke durch eine beschädigte Tonalität als Gegenüber wirkungslos verpuffender kommunikativer Gesten entlarvt. Während Mezzosopranistin Noa Frenkel als Madame Ocholowska zwar in den Koloraturen sicher ist, jedoch insgesamt aufgrund ihres durchweg nervös vibrierenden Tons ein wenig unflexibel bleibt, überrascht Countertenor Jochen Kowalski in seiner kleinen, aber feinen Rolle als Holszanski. Darüber hinaus spricht Bass Manfred Hemm durch die einschmeichelnde Art an, mit der er den umtriebigen Kunsthistoriker Skolinski gibt, und Bariton Rupert Bergmann hat als lüsterner Maliniak einen ebenso kurzen wie einprägsamen Auftritt. Wie sich die vokalen und instrumentalen Leistungen zu einer schlüssigen Gesamterscheinung zusammenfügen, die am Ende in eine klanglich denaturierte Rückkehr des Beginns mündet, in der sich die klangliche Substanz der Musik zu glasartigen Klängen verflüchtigt, ist ganz klar eine Hörempfehlung wert.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Kalitzke, Johannes: Die Besessenen |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Neos 1 28.08.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
4260063112034 |
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