
Sarri, Domenico - Missa
Anderes Italien
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Matthias Jung gewährt mit dem Sächsischen Vocalensemble und der Batzdorfer Hofkapelle einen Blick auf die abwechslungsreiche geistliche Musik Domenico Sarris - und plädiert sehr gelungen für diesen anderen Italiener im Dresdner Kontext.
Dresden und Italien – im Barock war das eine unbestritten hochfrequente Verbindung, die für musikalischen Austausch auf höchstem Niveau stand und die Metropole an der Elbe mit ihrer repräsentativen Hofhaltung zu einem wichtigen Scharnier für einen komplexen Musiktransfer in ästhetischer, satztechnischer und personeller Hinsicht werden ließ. Dabei ging es vor allem im frühen und mittleren 17. Jahrhundert genau genommen um eine Verbindung von Dresden und Venedig. Das strukturell zerklüftete Italien jener Jahre verfügte abgesehen von einigen kleineren Höfen Norditaliens, die phasenweise üppige Blüten trieben, aber mit Rom und Neapel noch über weitere gewichtige Zentren. Mit Neapel vertieften sich die Beziehungen spätestens, nachdem dessen König Carlo IV. im Jahr 1738 die sächsische Prinzessin Maria Amalia ehelichte. So kamen auch neue Werke des Neapolitaners Domenico Sarri (1679-1744) an den Dresdner Hof, in dessen Umfeld schon zuvor andere Arbeiten Sarris bekannt gewesen waren.
Domenico Sarri war in Neapel vor allem als instinktsicherer Setzer affektstarker Opern bekannt, tritt uns im Dresdner Kontext aber als gleichfalls interessanter Komponist durchaus ausgedehnter Kirchenmusik entgegen. In seiner über eine Dreiviertelstunde währenden Kyrie-Gloria-Messe von 1739 überzeugt die prägnante melodische Invention in beweglichen, leicht fasslichen Linien. Dabei bezieht er das auch in Neapel in diesem Repertoire unvermeidliche Erbe der Kontrapunktik subtil und ohne die oft zu beklagenden Härten demonstrativ zur Schau gestellter Gelehrsamkeit ein. Kompositorische Substanz und klingende Eleganz werden gekonnt balanciert. Zudem brechen sich Sarris Erfahrungen im musikdramatischen Bereich immer wieder Bahn – in plastischer Rhythmisierung ebenso wie in manch schlagkräftigen großen Intervallsprüngen. Blechbewährt zeigt sich in vollem Klang üppiges Temperament, in stilleren Passagen entfalten sich ansprechende pastorale Qualitäten. Die Sätze in der Messe wie im Psalm 'Dixit Dominus' sind formal nicht das, was üblicherweise kompakt genannt wird: Im steten Wechseln verschiedener Besetzungen stellt diese durchbrochene Setzweise bemerkenswerte Anforderungen an sämtliche Qualitäten der Vokalsolisten wie des Chores. Verschwiegen sei bei allem Lob auch nicht, dass Sarris Musik nicht gänzlich frei von leicht ermüdenden Sequenzen ist, dass gelegentlich sehr formelhaft-konventionell kadenziert wird – doch das trübt den sehr positiven Eindruck, den die affektiv frische Musik hinterlässt, nie entscheidend.
Homogene Qualitätskunst
Dass Sarris Werke so gelungen zur Geltung kommen, basiert natürlich auf dem engagierten Vortrag der Ensembles und Solisten, die Matthias Jung für diese Produktion versammelt hat. Mit dem Sächsischen Vocalensemble leitet Jung einen Kammerchor, dessen charakteristische Register zwar durchaus über hinreichend plastisches Format verfügen, während dessen eigentliche Qualitäten aber in der wunderbar harmonischen Verschmelzungsfähigkeit der jungen, gut ausgebildeten Stimmen liegen. Die diktionsstarken Vokalisten beherrschen die relative Varianz der Kompositionen Sarris mit einer Fülle expressiver Gesten.
Das setzen die Vokalsolisten nahtlos fort: Die Soprane Anja Zügner und Maria Perlt, die Altistin Annekathrin Laabs, der Tenor Andreas Post und der Bassist Wolf Matthias Friedrich bilden ein auf bemerkenswert hohem Niveau ausgeglichen besetztes Ensemble. Stilistisch versiert und aus manch hochklassiger Produktion vertraut, bewegen sie sich mühelos in jenem Idiom, das die Grenzen von solistischem, chorischem und Ensemblemusizieren intensiv auslotet. Oft gerät diese schwierige Balance gerade dadurch so überzeugend, dass sich die Solisten nicht in eitler Kunstfertigkeit vom natürlich strömenden Klang des Chores entfernen. Und wenn es dann doch virtuos fordernde Aufgaben gibt – etwa für Anja Zügner im 'Laudamus te' oder im 'Qui sedes', für Annekathrin Laabs im 'Gratias agimus tibi' oder für den einmal mehr vorzüglichen Wolf Matthias Friedrich im zweiten 'Qui tollis' – dann lösen die Vokalisten diese mit bestechender Präzision und klanglicher Eleganz. Dazu ist die vokale Intonation chorisch wie solistisch ebenso frei wie stabil, zeigen sich die Solisten auch in der ambitionierten linearen Sprunghaftigkeit des Schlusssatzes der Messe absolut sattelfest.
Die Batzdorfer Hofkapelle erweist sich als vorzüglich abgestimmte Formation. Artikulatorisch wird äußerst detailliert und delikat gearbeitet, wobei ein restriktiver Zugriff das Geschehen vorzüglich konturiert. Dieser Ansatz verfängt noch deutlicher beim Basso continuo, der bei aller klanglichen Tragfähigkeit und farbigen Ausdeutung klar akzentuiert wird. Spieltechnisch agieren die Instrumentalisten souverän, was sie zu elanvollem und elegantem Musizieren fern aller primären Probleme befähigt. Der ansprechende Ensembleklang entfaltet sich stets in kontrollierter Geste und in feinen Farben.
Matthias Jung realisiert Sarris durchaus abwechslungsreiche Kompositionen in variablen Tempi, sichert dem Geschehen durch frische Impulse einen angenehm belebten Zug. Dynamisch bietet vor allem die sehr verschieden besetzte Messe ein abwechslungsreiches Vergnügen. Das Klangbild ist von einiger Größe geprägt, wirkt dabei aber sehr konzentriert und gelungen balanciert. Die intensive vokal-instrumentale Verknüpfung wird in deutlicher Transparenz und ansprechender Staffelung abgebildet.
Matthias Jung bringt mit seinem Sächsischen Vocalensemble und der Batzdorfer Hofkapelle eine andere als die bisher meist ausgeleuchtete Italienverbindung Dresdens zur Geltung. Das gelingt künstlerisch bemerkenswert schlüssig, wirkt in seinem interpretatorischen Niveau ausgeglichen niveauvoll und ist auch für das Repertoire von einigem Interesse. Denn Sarris geistliche Musik stellt eine sehr reife Spielart der im Barock etablierten Mischform von solistischen, ensemblebasierten und chorischen Anteilen dar, die den Traditionen zwar hörbar, aber stets in eleganter Gestalt Raum gibt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Sarri, Domenico: Missa |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.08.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
761203772629 |
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Sarri, Domencio |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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