
Dallapiccola, Luigi - Partita für Orchester
Referenzeinspielung
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Luigi Dallapiccolas Orchesterwerke liegen hier in einer glänzenden Einspielung vor, die interpretatorisch wie auch klanglich keine Wünsche offen lässt.
Luigi Dallapiccola (1904–1975) gehört zu jenen Komponisten, die jahrzehntelang stiefmütterlich behandelt worden sind. Einige wenige seiner Werke – allen voran die Oper 'Il prigioniero‘ und die 'Canti di prigonia‘ für Chor – haben einige Bekanntheit erreicht, vor allem wegen der klaren antifaschistischen Positionierung des Komponisten. Andere Werke jedoch, und vor allem eine systematische Erschließung seines Schaffens auf Tonträger standen bisher weitgehend aus. In einer Hinsicht kann dies nicht so sehr überraschen – Italien selbst ist nicht sehr stark an seiner eigenen musikalischen Vergangenheit interessiert, insbesondere nicht, wenn es sich um anspruchsvolle Kompositionen handelt. Und Dallapiccolas Musik ist anspruchsvoll, intelligent und äußerst ehrlich.
Dallapiccolas Lehrer waren allesamt keine bekannten Persönlichkeiten – doch dies mag den Vorteil gehabt haben, dass Dallapiccolas Klangsprache heute äußerst individuell wirkt. Spiegelten frühe Kompositionen, wie etwa die auf dieser CD vorgelegte 'Partita‘ (1930-2) für Orchester mit obligatem Sopransolo im Finale, einerseits aus der Ferne Busoni, andererseits Malipiero, sind also durchaus in gewissem Maße nachromantisch-neoklassizistisch zu nennen, so nutzte Dallapiccola später die Zwölftontechnik und entwickelte eine auf Webern aufbauende, doch noch stärker lyrisch-mystisch ausgerichtete Kompositionsweise. Schon auf die die 'Partita‘ eröffnende 'Passacaglia‘ passt das schöne englische Wort „austere“, das „herb“ oder „ernst“ zu übersetzen zu kurz gegriffen wäre. Wir sind hier in einer ganz eigenen, äußerst poetischen, aber nie äußerlich-ästhetisierenden Welt. Dallapiccola erreicht mit diatonischen Mitteln, was sein (eine Generation älterer) Zeitgenosse Ralph Vaughan Williams mit modaler Harmonik zu erreichen strebte – eine Art archaische und gleichzeitig moderne Klangwelt, in der Einflüsse anderer völlig nebensächlich werden. Die 'Partita‘ ist eine sehr substanzielle viersätzige Komposition mit einer Dauer von fast einer halben Stunde, mit den Satzbezeichnungen 'Passacaglia‘, 'Burlesca‘, 'Recitativo e Fanfara‘ und 'Naenia B.M.V‘. Momente der 'Burlesca‘ nehmen Kompositionstechniken Michael Tippetts vorweg und durch die Nutzung des „naiven“ Sopransolos (sehr lebendig und ansprechend Gillian Keith) im Wiegenlied der Jungfrau Maria mag der eine oder andere Hörer ein fernes Echo von Mahlers Vierte Sinfonie zu vernehmen. Doch „Reminiszenzenjagden“ bei Dallapiccola greifen zu kurz – dafür ist er schlicht ein viel zu guter Komponist.
Die drei anderen Werke auf dieser CD sind vornehmlich durch die Zwölftontechnik geprägt – doch auch dies, wie bereits gesagt, in äußerst lyrisch-poetischem Gewand. Die 'Dialoghi‘ für Violoncello und Orchester schuf Dallapiccola 1959-60 für den spanischen Cellisten Gaspar Cassadó, ein veritables (wenn auch nicht traditionell strukturiertes) Cellokonzert höchsten Anspruchs für Solisten und Orchester gleichermaßen. Der 1970 geborene Waliser Paul Watkins ist da ganz in seinem Element und erweist sich einmal mehr als Weltklasseinterpret. – Die 'Quattro liriche di Antonio Machado' (1948, 1964 instrumentiert) gehören zu Dallapiccolas bekannteren Sologesängen, kurze Miniaturen, exzellent instrumentiert, voller Charme und lyrischen Farben. Die Kanadierin Gillian Keith, von der ich zuvor nicht gehört hatte, kann man sich bestens im lyrischen Sopranrepertoire auch großer Opernhäuser vorstellen, ein wenig erinnert ihre Stimme an Barbara Bonney, doch mit einem etwas dramatischeren Kern und vor allem auch einer substanzreichen Tiefe, die an die besten Zeiten von Barbara Hendricks gemahnt. – Die Orchesterkomposition 'Three Questions with Two Answers‘ (1962-3) entstand inspiriert durch Charles Ives’ berühmte 'Unanswered Question‘ (1906); das fünfsätzige Werk erweist noch einmal rundum Dallapiccolas Orchestrierungskunst. Mystik und Poesie durchdringen sich und runden diese höchst gelungene CD äußerst gelungen ab.
Das BBC Philharmonic unter ihrem Chefdirigenten Gianandrea Noseda leistet Bewunderungswürdiges. Ich schätze das Orchester seit fünfundzwanzig Jahren sehr, gerade auch weil es sich immer wieder für vernachlässigtes Repertoire eingesetzt hat und einsetzt. Klangfantasie und exzellente Orchesterdisziplin lassen manch berühmteres deutsches Orchester im direkten Vergleich deutlich blasser aussehen. Die Chandos-Tontechniker haben – auch ohne SACD-Sound – Mirakulöses geleistet und Dallapiccolas Klänge kongenial auf die silberne Scheibe gebannt. Ein exzellenter Booklettext von Calum MacDonald komplettiert die Referenzeinspielung.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Dallapiccola, Luigi: Partita für Orchester |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 20.01.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
095115156124 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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