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Samstag, 23. September 2023

Dallapiccola, Luigi - Partita für Orchester

Referenzeinspielung


Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Luigi Dallapiccolas Orchesterwerke liegen hier in einer glänzenden Einspielung vor, die interpretatorisch wie auch klanglich keine Wünsche offen lässt.

Luigi Dallapiccola (1904–1975) gehört zu jenen Komponisten, die jahrzehntelang stiefmütterlich behandelt worden sind. Einige wenige seiner Werke – allen voran die Oper 'Il prigioniero‘ und die 'Canti di prigonia‘ für Chor – haben einige Bekanntheit erreicht, vor allem wegen der klaren antifaschistischen Positionierung des Komponisten. Andere Werke jedoch, und vor allem eine systematische Erschließung seines Schaffens auf Tonträger standen bisher weitgehend aus. In einer Hinsicht kann dies nicht so sehr überraschen – Italien selbst ist nicht sehr stark an seiner eigenen musikalischen Vergangenheit interessiert, insbesondere nicht, wenn es sich um anspruchsvolle Kompositionen handelt. Und Dallapiccolas Musik ist anspruchsvoll, intelligent und äußerst ehrlich.

Dallapiccolas Lehrer waren allesamt keine bekannten Persönlichkeiten – doch dies mag den Vorteil gehabt haben, dass Dallapiccolas Klangsprache heute äußerst individuell wirkt. Spiegelten frühe Kompositionen, wie etwa die auf dieser CD vorgelegte 'Partita‘ (1930-2) für Orchester mit obligatem Sopransolo im Finale, einerseits aus der Ferne Busoni, andererseits Malipiero, sind also durchaus in gewissem Maße nachromantisch-neoklassizistisch zu nennen, so nutzte Dallapiccola später die Zwölftontechnik und entwickelte eine auf Webern aufbauende, doch noch stärker lyrisch-mystisch ausgerichtete Kompositionsweise. Schon auf die die 'Partita‘ eröffnende 'Passacaglia‘ passt das schöne englische Wort „austere“, das „herb“ oder „ernst“ zu übersetzen zu kurz gegriffen wäre. Wir sind hier in einer ganz eigenen, äußerst poetischen, aber nie äußerlich-ästhetisierenden Welt. Dallapiccola erreicht mit diatonischen Mitteln, was sein (eine Generation älterer) Zeitgenosse Ralph Vaughan Williams mit modaler Harmonik zu erreichen strebte – eine Art archaische und gleichzeitig moderne Klangwelt, in der Einflüsse anderer völlig nebensächlich werden. Die 'Partita‘ ist eine sehr substanzielle viersätzige Komposition mit einer Dauer von fast einer halben Stunde, mit den Satzbezeichnungen 'Passacaglia‘, 'Burlesca‘, 'Recitativo e Fanfara‘ und 'Naenia B.M.V‘. Momente der 'Burlesca‘ nehmen Kompositionstechniken Michael Tippetts vorweg und durch die Nutzung des „naiven“ Sopransolos (sehr lebendig und ansprechend Gillian Keith) im Wiegenlied der Jungfrau Maria mag der eine oder andere Hörer ein fernes Echo von Mahlers Vierte Sinfonie zu vernehmen. Doch „Reminiszenzenjagden“ bei Dallapiccola greifen zu kurz – dafür ist er schlicht ein viel zu guter Komponist.

Die drei anderen Werke auf dieser CD sind vornehmlich durch die Zwölftontechnik geprägt – doch auch dies, wie bereits gesagt, in äußerst lyrisch-poetischem Gewand. Die 'Dialoghi‘ für Violoncello und Orchester schuf Dallapiccola 1959-60 für den spanischen Cellisten Gaspar Cassadó, ein veritables (wenn auch nicht traditionell strukturiertes) Cellokonzert höchsten Anspruchs für Solisten und Orchester gleichermaßen. Der 1970 geborene Waliser Paul Watkins ist da ganz in seinem Element und erweist sich einmal mehr als Weltklasseinterpret. – Die 'Quattro liriche di Antonio Machado' (1948, 1964 instrumentiert) gehören zu Dallapiccolas bekannteren Sologesängen, kurze Miniaturen, exzellent instrumentiert, voller Charme und lyrischen Farben. Die Kanadierin Gillian Keith, von der ich zuvor nicht gehört hatte, kann man sich bestens im lyrischen Sopranrepertoire auch großer Opernhäuser vorstellen, ein wenig erinnert ihre Stimme an Barbara Bonney, doch mit einem etwas dramatischeren Kern und vor allem auch einer substanzreichen Tiefe, die an die besten Zeiten von Barbara Hendricks gemahnt. – Die Orchesterkomposition 'Three Questions with Two Answers‘ (1962-3) entstand inspiriert durch Charles Ives’ berühmte 'Unanswered Question‘ (1906); das fünfsätzige Werk erweist noch einmal rundum Dallapiccolas Orchestrierungskunst. Mystik und Poesie durchdringen sich und runden diese höchst gelungene CD äußerst gelungen ab.

Das BBC Philharmonic unter ihrem Chefdirigenten Gianandrea Noseda leistet Bewunderungswürdiges. Ich schätze das Orchester seit fünfundzwanzig Jahren sehr, gerade auch weil es sich immer wieder für vernachlässigtes Repertoire eingesetzt hat und einsetzt. Klangfantasie und exzellente Orchesterdisziplin lassen manch berühmteres deutsches Orchester im direkten Vergleich deutlich blasser aussehen. Die Chandos-Tontechniker haben – auch ohne SACD-Sound – Mirakulöses geleistet und Dallapiccolas Klänge kongenial auf die silberne Scheibe gebannt. Ein exzellenter Booklettext von Calum MacDonald komplettiert die Referenzeinspielung.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Dallapiccola, Luigi: Partita für Orchester

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Chandos
1
20.01.2010
Medium:
EAN:

CD
095115156124


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Chandos

Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
The company has championed rare and neglected repertoire, filling in many gaps in the record catalogues. Initially focussing on British composers (Alwyn, Bax, Bliss, Dyso, Moeran, Rubbra, Walton etc), it subsequently embraced a much wider field. Chandos' diverse catalogue contains over 2000 titles, from early music to contemporary, with composers from around the world. The company's aim is to present an exciting and varied selection of superbly recorded music to as many people as possible.
The following artists are strongly associated with, or exclusive to, the label: Richard Hickox, Matthias Bamert, I Fagiolini, Neeme Järvi, Louis Lortie, Jean-Efflam Bavouzet, Rumon Gamba, James Ehnes, Sir Charles Mackerras, David Parry, Valeri Polyansky, The Purcell Quartet, Gennady Rozhdestvensky, Howard Shelley, Simon Standage, Yan Pascal Tortelier, Vernon Handley, the BBC Philharmonic, BBC National Orchestra of Wales, the City of London Sinfonia and Collegium Muscium 90.
Chandos is universally acclaimed for the excellence of its sound quality and has always been at the forefront of technical innovation. In 1978, Chandos was one of the first to record in 16bit/44.1kHz PCM digital, as well as being one of the first to edit a digital recording completely in the digital domain (Holst: the Planet ? SNO/Gibson). In 1983, Chandos was one of the first to produce and release Compact Discs into the marketplace ? a revolution in the recorded music industry.
Today, Chandos has kept up with technology by recording mostly in 24bit/96kHz PCM but now also in DSD for producing ?surround sound? SACDs. Chandos releases at least five new recordings a month, together with imaginative re-issues of back-catlogue material.
The company has received countless awards, including several Gramophone Awards, notably the 2001 ?Record of the Year? for Richard Hickox?s recording of the original version of Vaughan Williams? A London Symphony; ?Best Choral Recording of 2003? for its recording of an undiscovered mass by Hummel and the ?Best Orchestral Recording? of 2004 for its set of Bax Symphonies. Other highlights include the American Grammy for Britten?s opera Peter Grimes, and most recently (2008), two further Grammy Awards, one for Hansel and Gretel and the other for Grechaninov?s Passion Week. Jean-Efflam Bavouzet?s debut on Chandos was also awarded Record of the Year by Monde de la Musique this year.
Chandos remains an independent, family run company which produces and markets its recordings from its office in Colchester, England, and is distributed worldwide.


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