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Dienstag, 5. Dezember 2023

Gluck, Christoph Willibald - Alceste

God bless Alceste


Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die ‘Opernaufführung des Jahres 2006’ - Glucks Reformoper Alceste in einer ‘reformierten’ Inszenierung Jossi Wielers an der Staatsoper Stuttgart.

Jedes Jahr werden die Oscars der Opernwelt von der gleichnamigen Zeitschrift verliehen, und mit ebensolcher Regelmäßigkeit erntet die Staatsoper Stuttgart Preise in allen Kategorien, so zuletzt für die beste Opernaufführung des Jahres 2006. Das war nicht etwa einer der großen Opernschinken, sondern Christoph Willibald Glucks Alceste, die, obwohl Gluck in der Theorie zu den bedeutendsten Reformern der Operngeschichte gehört, genauso wie die meisten seiner Werke auf den aktuellen Spielplänen nicht mehr so häufig auftaucht. Die Pariser Fassung von 1775, die an der Stuttgarter Oper in einer Inszenierung Jossi Wielers über die Bühne ging, ist nun bei Arthaus auf DVD erschienen.

Die Handlung der Oper birgt schon in der mythischen Urfassung einige gedankliche Fallstricke, die zahlreichen Varianten und Retuschen, die der Stoff bis zu Gluck erfahren hat, machen den Ablauf noch verwirrender und teilweise recht unlogisch. Der König Admète soll sterben, doch Apoll, dessen Gastgeber der König während seiner Verbannung aus dem Himmel war, erreicht, dass sein Leben weiterginge, fände sich jemand, der an seiner statt in den Tod ginge. Die Gemahlin des Admète, Alceste, opfert sich schließlich und macht sich auf den Weg in die Unterwelt. Nun tritt Admètes Freund Herakles auf den Plan, der Alcèste der Unterwelt entreißt. In einer anderen Version ist es der deus ex machina Apoll, der dafür sorgt, dass alle glücklich weiterleben können. In Glucks Pariser Fassung der Oper treten nun beide, Herakles und Apoll auf, die sich eigentlich ausschließen – ein Retter sollte schließlich ausreichen. So wirken in der Inszenierung Jossi Wielers – und es ist anzunehmen, dass die Personenführung diesen Aspekt bewusst verstärkt – beide Personen auf ihre Art ziemlich lächerlich.

Jossi Wieler hat mit dem Dramaturgen Sergio Morabito und der Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock die Handlung in den sektiererischen Pietismus einer Gemeinde der sechziger Jahre verlegt. Alle Personen könnten genauso gut einem amerikanischen B-Film entsprungen sein, so bieder wirkt ihre Ausstattung in einem muffigen Gemeindesaal mit üblicher Falttür. Admète erscheint im ersten Akt nur über den Bildschirm und offenbart sich so seiner Gemeinde als verkitschter Sektenguru. Seine Frau Alceste kommt im lindgrünen Muttchen-Kostüm daher, mit knallroter Toupéefrisur. Sie muss sich in das Rollenklischee der treusorgenden Gattin einfügen und wirkt durch diesen Zwang wie die Außenseiterin in einer Gesellschaft der prüden langen Röcke und schlecht sitzenden Anzüge. Catherine Naglestad ist es zu verdanken, dass diese Rolle zu einem authentischen Leben erweckt wird – nicht umsonst wurde ihr der ‘Oscar’ der Sängerin des Jahres 2006 verliehen. Ihr feines Minenspiel ist genauso eindrucksvoll wie ihr ausdifferenzierter Sopran, der alle Facetten des Lyrischen abbildet, aber auch zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist. Naglestad wird immer besser, je vielschichtiger und komplexer ihre Rolle wird. Besonders eindrücklich gelingt der zweite Akt, in dem sich alle über die Rettung des Admètes freuen, sie aber weiß, welchen Preis sie zu zahlen hat.

Admète wird in der Stuttgarter Inszenierung von Donald Kaasch gegeben, dessen gesangliche Leistung etwas unter der interpretatorischen Überspitzung seiner Person zu leiden hat. Als Gesamtkonzept des wahnsinnigen Sektenchefs ist seine Darstellung jedoch sowohl sängerisch als auch darstellerisch von überzeugender Intensität.

Dass das Drama doch noch ein Happy End hat – auch wenn es eines mit schlechtem Nachgeschmack ist – ist Herakles zu verdanken, der hier wie eine Mischung aus dem jungen Arnold Schwarzenegger und dem charmanten Gouverneur Kaliforniens auftritt und mit den bedrohlichen Kräften der Unterwelt kurzen Prozess macht. Das wirkt beinah so albern wie der kurz darauf auftretende Apoll, hat aber seinen Sinn in der hypertrophen Darstellung des Milieus, in dem die Handlung spielt, Herakles wirkt wie der kleine große Serienheld, der Anti-Ausbruch aus dem biederen Mief der pietistischen Gesellschaft, unter deren ikebana-romantischer Oberfläche es gewaltig brodelt.

Das Stuttgarter Staatsorchester wird am Pult von Constantinos Carydis mit großer Sicherheit geführt und mit dem Bühnengeschehen synchronisiert. So differenziert es zwischen dramatischer Härte und lyrischem Mitgefühl und beweist, dass Gluck hier eben keine ‘Tragödie für Musik’ mehr liefert sondern eine ‘Tragische Oper’, sozusagen die Antizipation des ‘De la musique avant toute chose’. Nicht nur für Interessierte am Opernreformer Gluck ist diese DVD ein Glücksgriff sondern für alle Freunde guter Erzählungen und lebendiger Musik.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:







Paul Hübner Kritik von Paul Hübner,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Gluck, Christoph Willibald: Alceste

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
Aufnahmejahr:
Monarda Music
1
19.12.2006
165:00
2006
Medium:
EAN:
BestellNr.:

DVD
807280125191
101 251


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Monarda Music

Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels.

Das Pionierlabel für Klassik auf DVD veröffentlicht nunmehr seit 13 Jahren hochkarätige Aufzeichnungen von Opern, Balletten, klassischen Konzerten, Jazz, Theaterinszenierungen sowie ausgesuchte Dokumentationen über Musik und Kunst. Mit bis zu 150 Veröffentlichungen pro Jahr sind bisher über 1000 Titel auf DVD und Blu-ray erschienen. Damit bietet Arthaus Musik den weltweit umfangreichsten Katalog von audiovisuellen Musik- und Kunstproduktionen und ist seit Gründung des Labels international führender Anbieter in diesem Segment des Home Entertainment Marktes.

In vielen referenzgültigen Aufzeichnungen sind die größten Künstler unserer Zeit wie auch aus vergangenen Tagen zu hören und zu sehen. Unter den Veröffentlichungen finden sich Aufnahmen mit Plácido Domingo, Cecilia Bartoli, Luciano Pavarotti, Maria Callas, Jonas Kaufmann, Elīna Garanča; mit Dirigenten wie Carlos Kleiber, Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Pierre Boulez, Zubin Mehta; aus Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper, dem Royal Opera House Covent Garden, der Opéra National de Paris , der Staatsoper Unter den Linden, der Deutschen Oper Berlin und dem Opernhaus Zürich.

Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011.

Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter.

Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von L’Arche Editeur, Preisträger des Prix de l’Académie de Berlin 2010.


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