
Gluck, Christoph Willibald - Alceste
God bless Alceste
Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die ‘Opernaufführung des Jahres 2006’ - Glucks Reformoper Alceste in einer ‘reformierten’ Inszenierung Jossi Wielers an der Staatsoper Stuttgart.
Jedes Jahr werden die Oscars der Opernwelt von der gleichnamigen Zeitschrift verliehen, und mit ebensolcher Regelmäßigkeit erntet die Staatsoper Stuttgart Preise in allen Kategorien, so zuletzt für die beste Opernaufführung des Jahres 2006. Das war nicht etwa einer der großen Opernschinken, sondern Christoph Willibald Glucks Alceste, die, obwohl Gluck in der Theorie zu den bedeutendsten Reformern der Operngeschichte gehört, genauso wie die meisten seiner Werke auf den aktuellen Spielplänen nicht mehr so häufig auftaucht. Die Pariser Fassung von 1775, die an der Stuttgarter Oper in einer Inszenierung Jossi Wielers über die Bühne ging, ist nun bei Arthaus auf DVD erschienen.
Die Handlung der Oper birgt schon in der mythischen Urfassung einige gedankliche Fallstricke, die zahlreichen Varianten und Retuschen, die der Stoff bis zu Gluck erfahren hat, machen den Ablauf noch verwirrender und teilweise recht unlogisch. Der König Admète soll sterben, doch Apoll, dessen Gastgeber der König während seiner Verbannung aus dem Himmel war, erreicht, dass sein Leben weiterginge, fände sich jemand, der an seiner statt in den Tod ginge. Die Gemahlin des Admète, Alceste, opfert sich schließlich und macht sich auf den Weg in die Unterwelt. Nun tritt Admètes Freund Herakles auf den Plan, der Alcèste der Unterwelt entreißt. In einer anderen Version ist es der deus ex machina Apoll, der dafür sorgt, dass alle glücklich weiterleben können. In Glucks Pariser Fassung der Oper treten nun beide, Herakles und Apoll auf, die sich eigentlich ausschließen – ein Retter sollte schließlich ausreichen. So wirken in der Inszenierung Jossi Wielers – und es ist anzunehmen, dass die Personenführung diesen Aspekt bewusst verstärkt – beide Personen auf ihre Art ziemlich lächerlich.
Jossi Wieler hat mit dem Dramaturgen Sergio Morabito und der Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock die Handlung in den sektiererischen Pietismus einer Gemeinde der sechziger Jahre verlegt. Alle Personen könnten genauso gut einem amerikanischen B-Film entsprungen sein, so bieder wirkt ihre Ausstattung in einem muffigen Gemeindesaal mit üblicher Falttür. Admète erscheint im ersten Akt nur über den Bildschirm und offenbart sich so seiner Gemeinde als verkitschter Sektenguru. Seine Frau Alceste kommt im lindgrünen Muttchen-Kostüm daher, mit knallroter Toupéefrisur. Sie muss sich in das Rollenklischee der treusorgenden Gattin einfügen und wirkt durch diesen Zwang wie die Außenseiterin in einer Gesellschaft der prüden langen Röcke und schlecht sitzenden Anzüge. Catherine Naglestad ist es zu verdanken, dass diese Rolle zu einem authentischen Leben erweckt wird – nicht umsonst wurde ihr der ‘Oscar’ der Sängerin des Jahres 2006 verliehen. Ihr feines Minenspiel ist genauso eindrucksvoll wie ihr ausdifferenzierter Sopran, der alle Facetten des Lyrischen abbildet, aber auch zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist. Naglestad wird immer besser, je vielschichtiger und komplexer ihre Rolle wird. Besonders eindrücklich gelingt der zweite Akt, in dem sich alle über die Rettung des Admètes freuen, sie aber weiß, welchen Preis sie zu zahlen hat.
Admète wird in der Stuttgarter Inszenierung von Donald Kaasch gegeben, dessen gesangliche Leistung etwas unter der interpretatorischen Überspitzung seiner Person zu leiden hat. Als Gesamtkonzept des wahnsinnigen Sektenchefs ist seine Darstellung jedoch sowohl sängerisch als auch darstellerisch von überzeugender Intensität.
Dass das Drama doch noch ein Happy End hat – auch wenn es eines mit schlechtem Nachgeschmack ist – ist Herakles zu verdanken, der hier wie eine Mischung aus dem jungen Arnold Schwarzenegger und dem charmanten Gouverneur Kaliforniens auftritt und mit den bedrohlichen Kräften der Unterwelt kurzen Prozess macht. Das wirkt beinah so albern wie der kurz darauf auftretende Apoll, hat aber seinen Sinn in der hypertrophen Darstellung des Milieus, in dem die Handlung spielt, Herakles wirkt wie der kleine große Serienheld, der Anti-Ausbruch aus dem biederen Mief der pietistischen Gesellschaft, unter deren ikebana-romantischer Oberfläche es gewaltig brodelt.
Das Stuttgarter Staatsorchester wird am Pult von Constantinos Carydis mit großer Sicherheit geführt und mit dem Bühnengeschehen synchronisiert. So differenziert es zwischen dramatischer Härte und lyrischem Mitgefühl und beweist, dass Gluck hier eben keine ‘Tragödie für Musik’ mehr liefert sondern eine ‘Tragische Oper’, sozusagen die Antizipation des ‘De la musique avant toute chose’. Nicht nur für Interessierte am Opernreformer Gluck ist diese DVD ein Glücksgriff sondern für alle Freunde guter Erzählungen und lebendiger Musik.
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Gluck, Christoph Willibald: Alceste |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
Monarda Music 1 19.12.2006 165:00 2006 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
DVD
807280125191 101 251 |
![]() Cover vergössern |
Monarda Music Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei... |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Monarda Music:
-
Gelungene Zeitreise: Das Teatro Regio Torino unternimmt eine Rekonstruktion der Uraufführung von Puccinis 'La Bohème'. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Unentschiedenes Konzept: Richard Strauss' 'Capriccio' an der Dresdner Semperoper. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Zerfahrener Aktionismus: Carlus Padrissas T.H.A.M.O.S.-Projekt in Salzburg Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Weitere CD-Besprechungen von Paul Hübner:
-
Klangräume 2010: Im Jahr 2010 stand das Streichquartett im Zentrum der Donaueschinger Musiktage, folglich rückt es auch in der von NEOS veröffentlichten Dokumentation dieser Veranstaltung ins Zentrum. Daneben gibt es auch Orchesterstücke zu hören. Weiter...
(Paul Hübner, )
-
Klangschach: Zug um Zug: Mark Andrés 'Musiktheater-Passion' ist ein faszinierendes Klangerlebnis, nicht zuletzt dank der exzellenten klanglichen Umsetzung. Weiter...
(Paul Hübner, )
-
Klangrealistische Referenzen: Zu Helmut Lachenmanns 75. Geburtstag legt WERGO drei Referenzaufnahmen neu auf. Weiter...
(Paul Hübner, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Wenig wirklich Neues: Spannende Begegnung mit Anton Weberns Schubert-Lied-Instrumentationen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Russische Seele?: Elena Kuschnerova legt eine programmatisch fragwürdige, aber interpretatorisch überzeugende Aufnahme mit Klavierwerken von Alexander Lokshin und Sergej Prokofiev vor. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Gediegen: Philippe Herreweghes gelegentliche Erkundungen im Reich der Bach-Kantate gefallen. Sie sind auf eine – im Sinne der Erkenntnisse historisch informierter Praxis – klassische Weise gediegen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Jetzt im klassik.com Radio


Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich