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Dienstag, 5. Dezember 2023

Gesualdo, Carlo - Death for Five Voices

Genie und Wahnsinn


Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Werner Herzogs Film über Carlo Gesualdo ist die perfekte filmische Umsetzung der Grenzbereiche von Genie und Wahnsinn, virtuos in Szene gesetzt. Es ist dies einer der besten Dokumentarfilme über einen Komponisten. Vielleicht sogar der bislang beste.

Während man heute weder mit dem Zweiten noch dem Ersten besser sieht und sich angesichts der allsonntäglichen Oberflächlichkeiten für das mehr als flache Programm entweder einen dazu passenden Flachbildschirm anschaffen oder stattdessen kostensparend lieber gleich beide Augen zukneifen möchte, trat Mitte der 1990er Jahre zwischen Traumschiff, Heute Journal und dem Schimpansen Charly so etwas wie Kulturbewusstsein ins öffentlich-rechtliche Gedächtnis des Zweiten Deutschen Fernsehens. Damals konnte es passieren, dass Werner Herzog, der Werner Herzog, in Zusammenarbeit mit dem ZDF einen Dokumentarfilm über den Komponisten Carlo Gesualdo drehte, der – man halte sich fest – sogar gesendet wurde. Inzwischen wird an den Küsten Cornwalls und den Fjorden Schwedens heftig geliebt, gelitten und gestritten, während auf dem anderen Kanal öffentlich-rechtliche Irrsinnsfeste der Volksmusik gefeiert werden. Die Quotenopfer und ihre am Kulturellen Interessierten gucken in die Röhre – ab 23 Uhr mit denkbar müden, kleinen Augen. Mit ARTE haben sich die Öffentlich-Rechtlichen einen Altar geschaffen, auf dem sich all das Quotenfeindliche bequem opfern lässt. Oder es muss sich der Abschiebehaft auf DVD beugen. Wie Werner Herzogs Gesualdo-Film, der jetzt bei ‚Arthaus Musik’ veröffentlicht wurde. Man will aber nicht ungerecht sein und muss anmerken, dass auf diese Weise immerhin wertvolles Filmmaterial erhalten und nach Belieben reproduzierbar und rezipierbar bleibt.

 

Originell und exzentrisch

Werner Herzog wäre nicht Werner Herzog, würde er nicht einen ungewöhnlichen Dokumentarfilm über einen ausgesprochen exzentrischen, obsessiven Charakter, wie Carlo Gesualdo ihn besaß, gedreht haben. Vermutlich hätte Herzog sein Alter ego Klaus Kinski den Fürsten von Venosa personifizieren lassen, hätte Kinski noch gelebt. Trotz kategorischer Betonung von allem, was zur Legendenbildung und rezeptiver Verteufelung des Carlo Gesualdo Fürst von Venosa beigetragen hat, überschreitet Werner Herzog nicht die Grenzen des Dokumentarfilms. Freilich folgt sein Film einem ausgesprochen dramatisch angelegten Duktus, wenn er – geradezu plakativ – zu Beginn die Kamera über die Landschaft rund um das Schloss des Gesualdo fahren lässt, während die Bäume und Sträucher sich ob eines nahenden Gewittersturms bereits heftig biegen und wiegen und Donnergrollen die Luft erfüllt, wenn in langen Einstellungen die Handkamera die alten, völlig herunter gekommenen Gemäuer und Flure des Schlosses von Gesualdo abfilmt oder wenn er die italienische Musikikone Milva als Reinkarnation der von Gesualdo ermordeten eigenen Ehefrau Maria d’Avalos durch die Gänge hasten lässt.

Herzog lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Carlo Gesualdo im Bewusstsein der heutigen Bevölkerung von Venosa ein Verrückter war, ja der Teufel persönlich, wie eine Köchin nicht müde wird zu betonen, denn 125 Gänge für das Hochzeitsmahl auffahren zu lassen, das kann nur ein Verrückter tun: Carlo Gesualdo, der seine Cousine Maria d’Avalos ehelichte und samt ihrem Liebhaber Fabrizio Caraffa ermorden ließ bzw. selbst Hand an den Dolch legte, der Maria zu Tode brachte. Ja, er hatte Blut an den Händen, was Fakt ist. Ja, er war ein unheimlicher, verrückter, exzentrischer, vielleicht auch dämonischer und teuflischer Mensch, wie der Interviewer durch reichlich naive Suggestivfragen aus dem Hausverwalter des Fürstenschlosses herausquetscht. Noch Gerald Place, der Leiter des Gesualdo Consort of London, die stimmlich präsent einige Madrigale Gesualdos zu Gehör bringen, lässt sich vor der Kamera zu Spekulativem hinreißen. So soll der englische Komponist Peter Warlock nicht nur einige der Werke Gesualdos herausgebracht, sondern sich auch derart mit dessen Person auseinander gesetzt haben, dass er am Ende glaubte, er selbst sei Gesualdo – und habe daraufhin Selbstmord begangen. Dies ist schleunigst zu relativieren, denn Warlock starb zwar jung und vielleicht auch beging er Suizid, bewiesen ist dies jedoch nicht. Ebenso wenig ist bewiesen, dass Gesualdo zu Tode kam, weil er sich – inzwischen hochdepressiv und von Obsessionen geplagt – von einer Schar Diener täglich habe geißeln lassen.

Die wohlig gruselnden Schauer, die einem bei den Schilderungen des Legendenhaften und mit Hilfe dramaturgisch geschickt ausbalancierter Kameraeinstellungen über den Rücken laufen werden kontrastiert mit dem nachgerade nüchternen Aspekt der Musik des Gesualdo. Gerne sähe man das Teuflische, Dämonische des Fürsten in Verbindung mit seiner hoch komplexen Musik. Die Musik habe nichts Verrücktes an sich, erklärt Alan Curtis, der mit Il Complesso Barocco demonstriert, wie wohldurchdacht Gesualdo seine Musik konzipiert hat. Frei von Zwängen eines Übergeordneten, denn Carlo Gesualdo war ja gleichsam sein eigener Herr, konnte er mit seiner Musik experimentieren. Wo andere in jener Zeit auf anderen Gebieten experimentierten, alchimistische Studien betrieben, laborierte Gesualdo an der Musik, setzte Chromatik ins Spannungsverhältnis zur noch modalen Harmonik, rückte Akkorde blockhaft in tonale Sphären, wie es vor und nach ihm keiner tat. Ja, er stieß musikalisch Fenster auf, durch die erst 300 Jahre später geblickt wurde. Als Beispiel interpretiert Curtis mit seinem Ensemble das erschreckend moderne ‚Moro, lasso’ aus dem 6. Madrigalbuch. Der Perspektivenwechsel von der Groteske und des Grusels der menschlichen Existenz des Gesualdo zur Ebene des Musikalischen, nüchtern Musikwissenschaftliche gibt Herzogs Film die nötige Balance, eine Balance, die äußerst stringent umgesetzt wird und somit offenbart, wie genau Werner Herzog das Motto und sein eigenes Lieblingsthema ‚Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander’ ins Filmische übertragen hat. Es ist dies einer der besten Dokumentarfilme über einen Komponisten. Vielleicht sogar der bislang beste.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:







Erik Daumann Kritik von Erik Daumann,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Gesualdo, Carlo: Death for Five Voices

Label:
Anzahl Medien:
Spielzeit:
Monarda Music
1
57:00
Medium:
EAN:
BestellNr.:

DVD
807280205596
102 055


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Monarda Music

Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels.

Das Pionierlabel für Klassik auf DVD veröffentlicht nunmehr seit 13 Jahren hochkarätige Aufzeichnungen von Opern, Balletten, klassischen Konzerten, Jazz, Theaterinszenierungen sowie ausgesuchte Dokumentationen über Musik und Kunst. Mit bis zu 150 Veröffentlichungen pro Jahr sind bisher über 1000 Titel auf DVD und Blu-ray erschienen. Damit bietet Arthaus Musik den weltweit umfangreichsten Katalog von audiovisuellen Musik- und Kunstproduktionen und ist seit Gründung des Labels international führender Anbieter in diesem Segment des Home Entertainment Marktes.

In vielen referenzgültigen Aufzeichnungen sind die größten Künstler unserer Zeit wie auch aus vergangenen Tagen zu hören und zu sehen. Unter den Veröffentlichungen finden sich Aufnahmen mit Plácido Domingo, Cecilia Bartoli, Luciano Pavarotti, Maria Callas, Jonas Kaufmann, Elīna Garanča; mit Dirigenten wie Carlos Kleiber, Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Pierre Boulez, Zubin Mehta; aus Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper, dem Royal Opera House Covent Garden, der Opéra National de Paris , der Staatsoper Unter den Linden, der Deutschen Oper Berlin und dem Opernhaus Zürich.

Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011.

Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter.

Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von L’Arche Editeur, Preisträger des Prix de l’Académie de Berlin 2010.


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