
Liszt, Franz - Sämtliche Cellowerke
Ruhige Transparenz und überlegende Dramaturgie
Label/Verlag: aeon
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Als Gemeinplatz gilt schon fast, was Béla Bartók vor 70 Jahren zukunftsweisend erkannte: ‘Liszt sagt in seinen Werken, verstreut zwischen vielen Schablonen, mehr Neues als viele andere Komponisten, die das Durchschnittspublikum häufig höher schätzt.’
Als Gemeinplatz gilt schon fast, was Béla Bartók vor 70 Jahren zukunftsweisend erkannte: ‘Liszt sagt in seinen Werken, verstreut zwischen vielen Schablonen, mehr Neues als viele andere Komponisten, die das Durchschnittspublikum häufig höher schätzt.’ Bei aller Wertschätzung für die Voraussicht Bartóks, aber seine scharfsinnige Einschätzung gilt für die Kompositionen für Violoncello und Klavier nur unter Vorbehalt. Wie man weiß, beendet Franz Liszt seine Virtuosenkarriere mit 36 Jahren und widmete sich vorrangig der Komposition, seine Werke, die er davor komponierte, waren für ihn eine ‘exubérance de coeur’, (Überschwang des Herzens). Er zog sich immer mehr zurück und komponierte in seinem späteren Leben für kein Publikum mehr. In diesen stellenweise sehr introvertierten Kompositionen sind kaum noch die ‘Schablonen’ vorhanden, von denen Bartók sprach. Es existiert eher eine ‘innere Form’, die viel von Konstruktionsvorstellungen der Musik des 20. Jahrhunderts vorwegnahm.
Das Duo Alexis Descharmes, Violoncello, und Sébastien Vichard, Klavier, stürzt sich förmlich in die große Mannigfaltig des Ausdrucks, die Liszt in diese hermetisch angeschlossenen Werke legte, mit denen er eine ‚Lanze in die unendliche Sphäre der Zukunft schleudern’ wollte, wie er es einmal emphatisch formulierte. Zartheit reiht sich neben größtem Kraftaufgebot, deutlich zu hören bei ‘Tristia – la Vallée d’Obermann’. Cosima Wagner beschrieb einmal das Naturell ihres Vaters als ‘eine Franziskus-, eine Dionysos- und eine Wotannatur’, die in scharfen Kontrasten nebeneinander standen. Gerade bei diesen Werken kann man diese Einschätzung gut nachvollziehen. Mit ungeheurer Sensibilität erfasst das Duo die manchmal schroff und abrupt sich ändernden Klangkontraste, gleichgültig, ob Transkription, ob Valse oder Totenklage. Wie subtil die beiden Instrumentalisten sich dem Werk Liszt nähern, kann man in der Transkription von ‘Orpheus’ nach Saint-Saens erkennen, obwohl beide die Akkordreihungen und -brechungen in diesem Werk durchaus als Vorwegnahme kompositorischer Techniken Claude Debussys erkennen lassen, lösen sie das Werk nicht in impressionistische Klangflecken auf, sondern behalten den dem Lisztschen Werk angemessenen meditativen, fast liturgischen Charakter bei. Aus dieser Innensicht entwickeln Alexis Descharmes und Sébastien Vichard eine erstaunliche interpretatorische Herangehensweise, die die formalen Proportionen des Werkes exzellent zur Geltung bringen, dass dies auch solch filigranen Werken wie ‘Schlaflos! Frage und Antwort’ oder ‘Niage gris’ zu gute kommt, versteht sich wohl von selbst.
Franz Liszt formulierte resignierend zu seinem Spätwerk, dass es nur noch die ‘amertume de coeur’ (Bitternis des Herzens) widerspiegele. Eine solche eher resignative Haltung muss man nicht noch durch eine ebensolche Interpretationshaltung verdoppeln, wie dies viele Interpreten tun. Dass Alexis Descharmes und Sébastien Vichard sich nicht in einem melodramatischen Jammertal verirren, ist ein grundlegendes Verdienst ihrer Herangehensweise. Eine solch klare interpretatorische Haltung, gepaart mit Zurückhaltung gegenüber allem denkbaren Schnickschnack aus der pseudoromantischen Mottenkiste macht den Blick frei auf die Musik. Dazu verstehen sich die beiden Instrumentalisten musikalisch prächtig. Ausgezeichnet ist die Balance zwischen den beiden Instrumenten, stets treffend sind Tempo und Dynamik. Das Ergebnis ist eine vollendete Formgebung. Und es ist gerade die distanzierte Haltung und die überlegene Dramaturgie der instrumentalistischen Mittel, die ihre Interpretationen zum Ereignis werden lassen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Liszt, Franz: Sämtliche Cellowerke |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
aeon 1 06.02.2007 |
Medium:
EAN: |
CD
3760058367452 |
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aeon Äon bedeutet im Altgriechischen soviel wie Zeitalter bzw. Ewigkeit. Wenngleich letztendlich keine Aufnahme für die Ewigkeit sein kann, so kann sie doch zumindest Gültigkeit für ein Zeitalter oder Menschenalter beanspruchen. Diesem nicht geringen Anspruch versucht man bei AEON mit bereits fast hundert Titeln gerecht zu werden. Für seine Einlösung spricht, dass das Label seit seiner Gründung 2001 schnell zu einer der ersten Adressen aus Frankreich wurde. Den Labelgründern Damien und Kaisa Pousset ist es wichtig, einen Katalog zu schaffen, dessen einzelne Titel jeweils als ultimative Intention der beteiligten Musiker verstanden werden können. Künstler wie Alexandre Tharaud, Andreas Staier, Felicity Lott oder das Quatuor Ysaÿe haben hier Aufnahmen vorgelegt, die woanders so sicherlich nicht möglich gewesen wären. Der Katalog von AEON umfasst im Wesentlichen drei Hauptschwerpunkte: monographische CDs mit Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, dann das breitere, klassische Repertoire, das durch ausgewählte Künstler und Ensembles bestritten wird, sowie die frühe Musik des Mittelalters. Mehr Info... |
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