
Edition Klavier-Festival Ruhr - Portrait: Severin von Eckardstein
Magisch-verrätselte Klanglandschaften
Label/Verlag: CAvi-music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Ausnahmetalent Severin v. Eckardstein stellt im Porträt der ‘Edition Klavier-Festival Ruhr’ seine umfassende musikalische Bildung und künstlerische Vielseitigkeit unter Beweis.
Severin von Eckardstein, 1978 in Düsseldorf geboren, gehört zu den herausragenden Pianisten seiner Generation. Nach Erfolgen im Busoni-Wettbewerb Bozen (1998), im ARD-Wettwerb München (1999) und in Leeds (2000) schaffte v. Eckardstein mit dem Gewinn des Reine- Elisabeth-Wettbewerbs 2003 den endgültigen Durchbruch. Für seine ersten beiden Tonträger bei MDG (2002, 2005) wählte v. Eckardstein Werke von Messiaen, Janacek, Prokofieff und Skriabin aus und offenbarte damit eine besondere Vorliebe für die Musik der Moderne. Der Initiativkreis Ruhrgebiet hat dem Ausnahmetalent nun ein großzügiges Porträt auf einer Doppel-CD gewidmet - ein Porträt, das Einblicke in v. Eckardsteins umfassende musikalische Bildung und künstlerische Vielseitigkeit gewährt (Avi-music, 2006).
Es ist keineswegs zu hoch gegriffen, v. Eckardsteins Klavierspiel mit dem des jungen Krystian Zimerman zu vergleichen. Gründe dafür gibt es genug. Da ist zum Beispiel v. Eckardsteins makellose Technik, die er ganz in den Dienst des Notentextes zu stellen vermag und die analytische Präzision, mit der er nach der musikalischen Wahrheit forscht. Und da ist v. Eckardsteins introvertiert-kontemplative Grundhaltung und die konsequente Verweigerung der persönlichen Selbstdarstellung. Das Porträt enthält Live-Mitschnitte und Studioproduktionen des Künstlers. Im Studio sind v. Eckardsteins Aufnahmen der ‘Moments musicaux' D 780 von Schubert, Ravels ‘Miroirs’ und Prokofieffs Sonate Nr.4 op. 29 entstanden.
Hochinteressant ist v. Eckardsteins Umgang mit der Prokofjew-Sonate. Prokofjew hat dieses Werk aus dem Jahre 1917 seinem guten Freund Maximilian Schmitgow gewidmet, der wenige Wochen zuvor Selbstmord begangen hatte. In der jahrzehntelangen Rezeptionsgeschichte der Komposition gelten die ersten beiden Sätze als Darstellung der tiefen Trauer und depressiven Stimmung Prokofjews. V. Eckardstein weicht im ersten Satz von dieser Tradition ab und hat damit vermutlich Recht. Die Skizzen zum ersten Satz sind nämlich sehr viel früher entstanden. Im Gegensatz zu anderen Einspielungen tritt bei v. Eckardstein der tänzerisch-aristokratische, an Rachmaninow erinnernde Charakter viel deutlicher zu Tage. Die Wucht der Trauer, das unfassbare Leid, die ausweglos erscheinende Depression – all dies erfasst den Hörer im zweiten Satz dafür umso stärker. V. Eckardstein verfügt hier über einen ungewöhnlich langen Atem und eine bohrende Intensität, die selbst der Prokofjew -Spezialist Evgeni Koroliov in seiner Referenzeinspielung der Sonate (hrMedia, 2003) nicht vorweisen kann.
In Ravels ‘Miroirs’ dagegen agiert v. Eckardstein zwar auf unbestreitbar höchstem technischen Niveau, doch sein nüchtern kalkulierter, kühl-distanzierter Vortrag machen es dem Hörer schwer, sich dieser Musik ganz hinzugeben. Im Falle des ersten Stücks ‘Noctuelles’ ziehe ich die Version von Markus Schirmer vor, der den nächtlichen Spuk sehr viel bildhafter und sympathischer umsetzt (Tacet, 2005). Und auch Frederic Chius genial verhuschte Deutung des Stücks sollte nicht unerwähnt bleiben – ebenso wie Chius feinsinniges, gewitztes ‘Alborada del grazioso’ (Harmonia Mundi, 1995). Man würde v. Eckardstein allerdings Unrecht tun, wenn man sein ‘Une barque sur l’océan’ nicht gebührend zur Kenntnis nehmen würde. Denn wie sich diese Komposition unter v. Eckardsteins Händen in raunendes Rauschen verwandelt und dabei sensationell durchhörbar bleibt, ist ein seltenes Erlebnis.
Höhepunkte des Porträts sind jedoch Schuberts ‘Moments musicaux' D 780 und Hummels Mozarttranskriptionen. V. Eckardsteins abgeklärte, meditative, philosophisch-introspektive Schubertsicht ist faszinierend. Mit großer Ruhe und Gelassenheit streift er durch magisch-verrätselte Klanglandschaften, durch unendliche Einsamkeit und Weite. V. Eckardstein verschwindet in der Musik, geht in ihr auf. Und Schuberts Musik wird zur Projektionsfläche für den Hörer, zum Spiegel der eigenen Seele. Nahezu unbekannt sind heutzutage Johann Nepomuk Hummels Bearbeitungen von Mozartschen Sinfonien und Konzerten. Insgesamt sieben Klavierkonzerte hat Hummel in den 1830er Jahren für die Besetzung Klavier, Flöte, Violine und Violoncello umgeschrieben.
Ziel war es, diese Werke auch in kleineren Kreisen vorführen zu können und ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Diese ‘Einrichtungen’, wie Hummel selbst sie nannte, sind wichtige Zeitdokumente, die viel über die Mozartauffassung zu Beginn des 19. Jahrhunderts aussagen. Umso erfreulicher, dass zwei dieser Klavierkonzerte, nämlich KV 503 und KV 491, jetzt in hochklassigen Live-Mitschnitten vorliegen. V. Eckardstein hat sie zusammen mit Andrea Liebknecht (Flöte), Andrej Bielow (Violine) und Nicolas Altstaedt (Violoncello) auf dem Klavier-Festival Ruhr 2006 gespielt. Im Vergleich zu den Studioaufnahmen von Fumiko Shiraga (BIS Records, 2003 und 2004) verfügt v. Eckardstein über den größeren, souveränen Ton. Seine Spielfreude ist unmittelbar ansteckend und seine musikalische Gestaltungsgabe von entwaffnender Natürlichkeit. Die Instrumente sind exzellent ausbalanciert und entfalten sinfonische Wirkung. Während Shiraga brav und musterschülerhaft den Notentext wiedergibt, vermag v. Eckardstein durch seine virtuose Spontanität zu beeindrucken. Die zahlreichen Verzierungen, die Hummel dem Original hinzufügt, wirken bei v. Eckardstein wie aus dem Stehgreif erfunden.Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Edition Klavier-Festival Ruhr: Portrait: Severin von Eckardstein |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
CAvi-music 2 02.08.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
4260085530649 |
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CAvi-music "Es muss nicht viel sein, wenn's man gut ist" heißt die Devise für das Label, das stets den Künstler in den Vordergrund stellt, das partnerschaftlich Projekte realisiert, das persönliche Wünsche und Ideen der Künstler unterstützt, das sich vorwiegend auf Kammermusik konzentriert, das handverlesen schöne Musik in hervorragender Interpretation anbietet, mit einer Künstlerliste, die sich sehen lassen kann. Eine sehr persönliche Sache, die von Herzen kommt !! Außerdem kommen neben dem Label CAvi-music auch die Labels "SoloVoce" und "CAvi-Autentica" aus dem Hause Avi-Service for music. Mehr Info... |
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