
Schostakowitsch, Dimitri - The Golden Age op. 22
Wunderbares Fussballballett
Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Trotzdem ist das eine wichtige Veröffentlichung und interessante Alternative zur Chandos Einspielung mit Rozhdestvensky.
Das Thema dieses Balletts von Dimitri Schostakowitsch aus dem Jahr 1930 ist natürlich herrlich: Ein sowjetisches Fußballteam (ideologisch stramm, rein und heldenhaft) reist in den industriellen Westen, um bei einer Ausstellung mit dem Titel ‚Das goldene Zeitalter’ an sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen und den Ruhm der Großen Revolution kickend zu verdeutlichen. In einer nicht näher definierten Stadt des Westens trifft das Team der UdSSR auf die dekadente, lasterhafte, vergnügungssüchtige Welt des Kapitalismus – mit Music Halls, Faschismus, sexy Tänzerinnen, glamourösen Diseusen und korrupten Schiedsrichtern. Eine parodistisch überzeichnete Total-Karrambolage ist vorprogrammiert und wird von Schostakowitsch genüsslich ausmusiziert, mit einem Mix aus schräger 1920er Jahre Jazz-Musik und blödsinnig hämmernden Marschrhythmen (etwa beim Einzug der Mannschaft ins Stadium).
Man merkt der Partitur sofort an, dass Schostakowitsch in keiner Sekunde die Ideale des Kommunismus und das Heldentum der Fußballer zelebrieren will – sondern eher an den schäbigen Vaudeville-Klängen des Westens interessiert ist. Er setzt die beiden (musikalischen) Welten genial gegeneinander und schafft eine Klanggeschichte, die es in ihrer Überdrehtheit mit seinen besten Filmmusiken aufnehmen kann, etwa dem Soundtrack zum klassenkämpferischen ‚Neuen Babylon’. Auch dieser (Stumm)Film lebt von der grotesken Überzeichnung der Charaktere, vom Verzerren der Geschichte und von einem taumelnden Plot, der zu einem einzigen absurden Bilderrausch gesteigert wird.
Auch ‚Das goldene Zeitalter’ Op. 22 funktioniert so und stieß bei den Oberen der Partei 1930 nicht gerade auf Gegenliebe – denn so fragwürdig wollte man seine angebliche moralische Überlegenheit gegenüber dem Westen dann doch nicht dargestellt wissen. Nach 20 Vorstellungen am Staatlichen Akademischen Theater von Leningrad verschwand das Werk für lange Zeit von den russischen Bühnen und wurde erst in den 1980er Jahren vereinzelt wiederaufgeführt. Mit veränderter Handlung – was unbegreiflich ist, denn gerade die Fußball-Geschichte ist ja der Clou. Sie erinnert ein bisschen an Paul Ábraháms sechs Jahre später entstandene Operette ‚Roxy und ihr Wunderteam’, wo es auch um ein Fußballteam geht, dass sich ganz dem Sport weihen soll (was gleichbedeutend ist mit: keine Frauen, kein Alkohol, keine Partys) und mit diesem Vorhaben kläglich scheitert, als es im Trainingscamp einen Damen-Turnverein trifft, der sich eigentlich auch dem Sport weihen soll (= keine Männer, kein Alkohol, keine Partys). Auch Ábrahám verwendet die damals als ‚entartet’ abgestempelte Tanzmusik der Zwanziger Jahre: Foxtrotts, Blackwalks, Charlestons usw. Auch Ábrahám setzt auf groteske Überzeichnung. Und genau wie Ábraháms wundervolle Sport-Operette der Wiederentdeckung harrt, so harrt auch Schostakowitschs Ballett einer modernen Wiederentdeckung mit der Originalgeschichte.
Man kann es als großes Verdienst von Naxos ansehen, dass sie nun mit einer Doppel-CD das vollständige Ballett mit allen Wiederholungen und Zwischenaktmusiken der Öffentlichkeit vorstellen – als sehr viel billigere Alternative zur Einspielung des Stücks unter Leitung von Gennady Rozhdestvensky bei Chandos. Damit kann man das Werk wenigstens kennenlernen, was immer einer erster wichtiger Schritt für ein Revival ist.
Bei Naxos spielt das Royal Scottish National Orchestra unter Leitung von José Serebrier. Der Klang des Orchesters ist durchweg edel, voll und ausgeglichen, was allerdings in diesem Fall ein Nachteil ist: denn Schostakowitschs Musik muss schrill, grell, grotesk klingen, teils auch schmalzig und schäbig, um Effekt zu machen. Und sie müsste sehr viel tänzerischer daherkommen, als hier zu hören. Am deutlichsten wird das in der vermutlich bekanntesten Nummer des Balletts, dem sogenannten ‚Tahiti Foxtrott’, Schostakowitschs Bearbeitung von Vincent Youmans Hit ‚Tea for Two’, der auf Wunsch des Uraufführungschoreografen in die Partitur des Balletts ausgenommen wurde. Wer diese Nummer schon einmal von Riccardo Chailly und dem Concertgebouw Orchester gehört hat (auf der berühmten Schostakowitsch Jazz-CD), der wird das Stück hier kaum wiedererkennen – es hat bei Serebrier keinen Bounce, kein Federn, nicht diesen unwiderstehlichen rhythmischen Drive voller herber Klangfarben. Das gleiche ließe sich sagen von Nummern wie dem ‚Tanz des Schwarzen Mannes mit zwei sowjetischen Fußballspielern’ oder dem Polka ‚Es war einmal in Genf’.
Ansonsten fehlt es dieser Wiedergabe entschieden an Kontrasten: da alles veredelt gespielt wird, setzen sich die Klangwelten des kommunistischen Sportteams von denen des dekadenten Westens nicht deutlich genug ab. Dadurch wird die Handlung, rein akustisch, schwer nachvollziehbar.
Trotzdem ist das eine wichtige Veröffentlichung und interessante Alternative zur Chandos Einspielung mit Rozhdestvensky. Hoffentlich weckt sie schnell Interesse bei Balletttruppen und Choreographen, damit sie dieses Werk wieder auf die Bühne bringen. Thematisch pendelt es zwischen Lubitschs ‚Ninotschka’ und Billy Wilders ‚Eins, Zwei, Drei’ – nur eben mit Sport à la Leni Riefenstahl. Und Paul Ábraháms ‚Roxy’. Die Inszenierungsmöglichkeiten sind also vielfältig und ergiebig. Und da Schostakowitsch für keine Seite Partei ergreift, sondern stattdessen beide Lager bissig-ironisch überzeichnet, kann der moderne Zuschauer auch uneingeschränkt über Westen und Osten lachen. Über sich selbst und die hinterm ehemals Eisernen Vorhang.
Und das Thema Fußball sollte gerade in Deutschland hier und heute leicht zu verkaufen sein an neugierige neue Publikumsschichten.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schostakowitsch, Dimitri: The Golden Age op. 22 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Naxos 2 23.10.2006 |
Medium:
EAN: |
CD
747313021772 |
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Naxos Als der Unternehmer Klaus Heymann 1982 für seine Frau, die Geigerin Takako Nishizaki in Hongkong das Plattenlabel Marco Polo gründete, war dies der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Fünf Jahre später rief Heymann das Label NAXOS ins Leben, das in der Klassikwelt längst zur festen Größe geworden ist und es bis heute versteht, hohe Qualität zu günstigen Preisen anzubieten. Der einzigartige und sich ständig erweiternde Katalog des Labels umfasst mittlerweile über 8.000 CDs mit mehr als 130.000 Titeln - von Kostbarkeiten der Alten Musik über sämtliche berühmten "Klassiker" bis hin zu Schlüsselwerken des 21. Jahrhunderts. Dabei wird der Klassik-Neuling ebenso fündig wie der Klassikliebhaber oder -sammler. International bekannte Künstler wie das Kodály Quartet, die Geigerin Tianwa Yang, der Pianist Eldar Nebolsin und die Dirigenten Marin Alsop, Antoni Wit, Leonard Slatkin und Jun Märkl werden von NAXOS betreut. Darüber hinaus setzt NAXOS modernste Aufnahmetechniken ein, um höchste Klangqualität bei seinen Produktionen zu erreichen und ist Vorreiter in der Produktion von hochauflösenden Blu-ray Audios - Grund genug für das renommierte britische Fachmagazin "Gramophone", NAXOS zum "Label of the Year" 2005 zu küren. Auch im digitalen Bereich nimmt NAXOS eine Vorreiterrolle ein: Bereits seit 2004 bietet das Label mit der NAXOS MUSIC LIBRARY ein eigenes Streamingportal mit inzwischen über 1 Million Titel an und unterhält mit ClassicsOnline zudem einen eigenen Download-Shop. Mehr Info... |
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