
Marx, Joseph - Streichquartette Nr. 1 - 3
Ein tonaler Erneuerer
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Auch wenn sein Name heute den meisten nichts mehr sagen dürfte, war Joseph Marx eine der einflussreichsten Musikerpersönlichkeiten des letzten Jahrhunderts.
Auch wenn sein Name heute den meisten nichts mehr sagen dürfte, war Joseph Marx eine der einflussreichsten Musikerpersönlichkeiten des letzten Jahrhunderts. Als Galionsfigur der tonalen Musik Österreichs und weltweit gefragter Musikpädagoge stand er dem radikal die Atonalität vertretenden Schönbergkreis diametral gegenüber. Er argumentierte, Tonalität sei ein universelles Naturgesetz, da der Mensch dazu neige, selbst komplexe Klangstrukturen mit tonalen Bezügen auszustatten. Wissenschaftlich untermauern konnte er seinen Standpunkt dank seiner musikpsychologischen Experimente, die er während seines Philosophiestudiums in Graz machte. 1909 erschien seine Doktorarbeit mit dem Titel ‘Über die Funktion von Intervall, Harmonie und Melodie beim Erfassen von Tonkomplexen’, welche die theoretische Basis seines Kompositionsstils werden sollte. Denn zeitgleich mit dem Erlangen der Doktorwürde konnte Marx erste große Erfolge als Komponist feiern. Besonders seine Lieder erlangten schnell weite Berühmtheit.
Sein kompositorisches Schaffen zeichnet sich durch einen Hang zu ausgeprägter Polyphonie sowie eine recht unkonventionelle Harmonik aus. Ferner gelten seine Partituren als auf Grund ihrer exemplarischen Struktur als Lehrstücke der konservativen Moderne. Marx liebte es seinem Publikum seine ästhetischen Ideale anhand von beispielhafter Musik näher zu bringen. Auch seine drei Streichquartette, die zwischen 1936 und 1941 entstanden, zählen zu diesen pädagogisch motivierten Werken. Er wollte in schwierigen Zeiten ein humanistisches Zeichen gegen die Nazi-Diktatur setzen. 1938 war er aller seiner Ämter enthoben worden, da er sich nicht den Forderungen des Regimes unterwerfen wollte. In den drei Quartetten beschwört er den aufklärerischen Geist vergangener Zeiten. So schuf er das Quartetto in modo antico 1937 in der Hoffnung, dass die von ihm hochgehaltenen Werte der Antike die politisch dunklen Zeiten ‘erleuchten’ und ethisch verbessern könnten. Er knüpft hierin an die Krichenmodi der Renaissance und an die strenge Satztechnik von Palestrina und Orlando di Lasso an. Er wollte das Stück auch als Ehrung der alten Meister der Vokalpolyphonie verstanden wissen.
Ein Jahr früher war das Quartetto chromatico entstanden, das ein Beweis für die vielfältigen Möglichkeiten der Tonalität werden sollte. Marx hoffte, dass das Quartett eine Art pädagogischer Leitfaden für Jungkomponisten werden könnte. In der Tat entfaltet das Stück eine ganz eigene Wirkung. Die ständig wechselnden harmonischen Wendungen sind von einer starken Chromatik geprägt, die in ihrem spätromantischen Duktus eine süßliche Schwere schaffen. Trotzdem ist dem Werk eine Leichtigkeit inne, wie man sie selten hört. Dagegen ist das Quartetto in modo classico deutlich behäbiger im Tonfall. Es entstand 1940/41 und spielt mit den klassischen Formen des Komponierens. Obwohl Form und Aufbau an Haydn erinnern sucht Marx bewusst eine der Romantik zugewandte Tonsprache, die verhindert, dass das Stück zu einer reinen Stilkopie verkommt.
Die drei Kompositionen wurden jetzt vom Thomas Christian Ensemble für cpo neu eingespielt. Diese vom österreichischen Geiger Thomas Christian gegründete Formation macht sich regelmäßig um Werke abseits des gängigen Repertoires verdient, indem es sie mit viel musikalischem Sachverstand und technischer Perfektion zur Aufführung bringt. Ihr jetziges Engagement für Marx ist wirklich lobenswert. Dank ihrer hervorragenden Interpretationen könnten die mittlerweile ziemlich vergessenen Stücke wieder einen Platz im internationalen Kammermusikrepertoire bekommen.
Die vier Musiker bilden eine präzise aufeinander eingestellte Einheit, deren Klang wunderbar ausgewogen ist. Sie spielen mit Elan und viel persönlichem Einsatz. Mit geradezu augenzwinkernder Ironie klingt bei ihnen der vierte Satz des Quartetto in modo classico. Süffig breit schwelgen sie in den ausladenden Harmonieverläufen des Quartetto chromatico, das sie mit einer Portion Wiener Schmäh aufpeppen. Deutlich sperriger setzen sie dagegen die trockenen Formen des Quartetto antico, dessen polyphone Komplexität sie mit analytischem Blick sezieren.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Marx, Joseph: Streichquartette Nr. 1 - 3 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
cpo 1 20.07.2006 75:06 2005 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
761203706624 CPO 777 066-2 |
![]() Cover vergössern |
Marx, Joseph |
![]() Cover vergössern |
cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag cpo:
-
Blutarm: Ein großes Bühnenwerk Carl Heinrich Grauns leider nur in 'musikalischer Gesamteinspielung'. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Schwedische Wunderlampe: Kurt Atterbergs Oper 'Aladin' verzaubert im spätromantischen Stil. Weiter...
(Karin Coper, )
-
Musikalische Andacht: Buxtehudes Membra Jesu Nostri: Opella Nova und Gregor Meyer bieten eine delikate Deutung dieses qualitätvollen Klassikers des barocken Repertoires. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Christiane Bayer:
-
Wo ist das Strahlen?: Die Stücke sind schön eingesungen, wenn auch ohne große interpretatorische Überraschungen. Weiter...
(Dr. Christiane Bayer, )
-
Frühling für die Ohren: Stefen Temmingh und Dorothee Mields spüren mit Neugier den unterschiedlichen Vogelstimmen und deren Bedeutungen in der europäischen Barockmusik nach. Was für ein buntes Gezwitscher, bei dem einem Ohr und Herz aufgehen. Weiter...
(Dr. Christiane Bayer, )
-
Ein würdiger Auftakt: Der Startschuss zu einer Kuhnau-Reihe bei cpo könnte fulminanter gar nicht ausfallen: tadellose Umsetzung großartiger Musik durch das Ensemble Opella Musica mit Unterstützung der Camerata Lipsiensis. Weiter...
(Dr. Christiane Bayer, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Wenig wirklich Neues: Spannende Begegnung mit Anton Weberns Schubert-Lied-Instrumentationen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Russische Seele?: Elena Kuschnerova legt eine programmatisch fragwürdige, aber interpretatorisch überzeugende Aufnahme mit Klavierwerken von Alexander Lokshin und Sergej Prokofiev vor. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Gediegen: Philippe Herreweghes gelegentliche Erkundungen im Reich der Bach-Kantate gefallen. Sie sind auf eine – im Sinne der Erkenntnisse historisch informierter Praxis – klassische Weise gediegen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Portrait

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Der Klarinettist Nicolai Pfeffer im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich