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Dienstag, 5. Dezember 2023

Holst, Gustav - The Planets op. 32

Das Tempo der 20er Jahre


Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Authentische Aufnahmen und überdies herausragende Zeitzeugnisse.

Im Vergleich zu Edward Elgar haben Ralph Vaughan Williams und sein Freund Gustav Holst sehr wenige Schallplattenaufnahmen eigener Werke gemacht. 1925 dirigierte Vaughan Williams seine ‚Wasps Overture’ und das Ballett ‚Old King Cole’ für eine kommerzielle Scheibe und ging nur noch 1937 mit dem BBC Symphony Orchestra ins Aufnahmestudio, um seine 4. Symphonie einzuspielen. Inzwischen sind auf dem Plattenmarkt noch etliche Aufnahmen mit Vaughan Williams als Dirigent erschienen, doch sind dies meist Radioaufnahmen oder nichtkommerzielle Privataufnahmen (so zum Beispiel ‚Dona nobis pacem’ für eine Radioübertragung 1936 oder die vom Publikum gründlich durchgehustete Bach’sche Matthäuspassion vom April 1958). Gustav Holst hat sein berühmtestes Orchesterwerk ‚Die Planeten’ bereits 1922/23 akustisch mit Trichtermikrophon aufgenommen und das Ergebnis ist eher eine Kammermusik-Fassung des Werks geworden. 1926, die Mikrophontechnik hatte aufnahmeakustisch erhebliche Verbesserungen gebracht, nahm Holst ‚Die Planeten’ erneut auf mit dem London Symphony Orchestra. Diese wie auch Vaughan Williams’ Einspielung seiner 4. Symphonie hat Naxos nun wiederveröffentlicht.

Flotte Tempi

Als Sir Adrian Boult die Aufnahmen aus dem Jahr 1926 hörte, war er sehr erstaunt, wie schnell Holst die Tempi seiner ‚Planeten’ nahm. Es ist ein Missverständnis, dem das Booklet von Ian Julier hier aufliegt, dass die Schnelligkeit Holsts Massstäbe für all jene späteren Dirigenten setzen sollte, die zum Beispiel den ‚Jupiter’-Satz viel langsamer spielten. Nein, Holsts Einspielung sollte kein Massstab sein, nimmt man die Tochter Imogen Holst ernst, die auf Anfrage von Boult erklärte, ihr Vater habe die schnellen Tempi gewählt, damit die Stücke besser auf die Schallplatten passten. Es hatte also rein produktionstechnische Gründe, weshalb Holst das Tempo oftmals sehr hochschraubte. Authentisch sind diese Tempi daher sicherlich nicht, wenngleich es die Aufnahme selbst natürlich ist. Holst fädelt den roten Faden einer nervös-fiebrigen Spannung in seine Interpretation, wie dies vielleicht nur der Komponist selbst tun konnte. Anders als die meisten späteren und viel späteren Einspielungen der ‚Planeten’ ist Holsts Lesart nicht nur brachial und nicht nur mystifizierend. Es ist, als schwinge das Erleben des ersten Weltkriegs, der zur Zeit der Aufnahme gerade mal nur acht Jahre zurücklag, noch in das Dirigat des Komponisten mit hinein und das Ersterben der Musik im letzten Satz ‚Neptune, the Mystic’ ist ein Ersterben nicht in entkrampfter Gelöstheit, sondern im Fiebertraum. Gleichwohl spielt das London Symphony Orchestra nicht in der Qualität, die es heute auszeichnet. Hier und da geht schon mal der eine oder andere Bläserton im Akkord andere Wege als die in der Partitur verzeichneten und die dynamischen Reduktionen flachen immer wieder zu abrupt ab. Dennoch liefert Holst eine ungemein spannungsgeladene Interpretation seines eigenen Werks. Tonmeister Mark Obert-Thorn verdient die höchste Auszeichnung für ein tiefengestaffeltes Klangbild, das sogar das Hören kleinster Nuancen dieser 80 (!) Jahre alten Aufnahme ermöglicht.

Rhythmisches Feuerwerk

Kollege und Freund Ralph Vaughan Williams war angeblich für seine unpräzise Stabführung berüchtigt. Mehr als einmal hat Benjamin Britten darüber in seinen Briefen gelästert. Nichtsdestotrotz ist seine Aufnahme der 4. Symphonie aus dem Jahr 1937 nach wie vor nicht zu schlagen. Das Feuer, der Zorn, ja die Trotzigkeit dieser texturell so singulären und äußerst beachtlichen Symphonie lodern dem Hörer noch nach fast 70 Jahren aus den Lautsprechern entgegen. Die dynamisch weit aufgespannte Kantigkeit, die zügigen Tempi und die Unerbittlichkeit, mit der der Komponist Dissonanzen geradezu genüsslich betont, das alles mag gar nicht so recht in das Bild des liebenwürdigen Hünen passen, der sich zu Krönungsanlässen Butterbrote in die Manteltasche gesteckt hat, um während der langen Zeremonien nicht zu hungern. Auffällig ist vor allem auch die rhythmische Präzision, die Vaughan Williams hier walten lässt. An- und Abschwellen der Dynamik ist in anderen Aufnahmen kaum mehr so delikat herausgearbeitet worden, ebenso die Phrasierung. Das BBC Symphony Orchestra spielt mit derselben intonatorischen Allmacht und instrumentalen Präsenz wie ein Jahr zuvor bei den Radioaufnahmen von ‚Dona nobis pacem’. Mark Obert-Thorn hat zudem eine begrüßenswerte Aufnahmekorrektur im letzten Satz der Symphonie vorgenommen, in der eine Phrase bislang eliminiert war.

Authentische Aufnahmen und überdies herausragende Zeitzeugnisse.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Erik Daumann Kritik von Erik Daumann,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Holst, Gustav: The Planets op. 32

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Naxos
1
26.06.2006
Medium:
EAN:

CD
747313304820


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Naxos

Als der Unternehmer Klaus Heymann 1982 für seine Frau, die Geigerin Takako Nishizaki in Hongkong das Plattenlabel Marco Polo gründete, war dies der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Fünf Jahre später rief Heymann das Label NAXOS ins Leben, das in der Klassikwelt längst zur festen Größe geworden ist und es bis heute versteht, hohe Qualität zu günstigen Preisen anzubieten. Der einzigartige und sich ständig erweiternde Katalog des Labels umfasst mittlerweile über 8.000 CDs mit mehr als 130.000 Titeln - von Kostbarkeiten der Alten Musik über sämtliche berühmten "Klassiker" bis hin zu Schlüsselwerken des 21. Jahrhunderts. Dabei wird der Klassik-Neuling ebenso fündig wie der Klassikliebhaber oder -sammler. International bekannte Künstler wie das Kodály Quartet, die Geigerin Tianwa Yang, der Pianist Eldar Nebolsin und die Dirigenten Marin Alsop, Antoni Wit, Leonard Slatkin und Jun Märkl werden von NAXOS betreut. Darüber hinaus setzt NAXOS modernste Aufnahmetechniken ein, um höchste Klangqualität bei seinen Produktionen zu erreichen und ist Vorreiter in der Produktion von hochauflösenden Blu-ray Audios - Grund genug für das renommierte britische Fachmagazin "Gramophone", NAXOS zum "Label of the Year" 2005 zu küren. Auch im digitalen Bereich nimmt NAXOS eine Vorreiterrolle ein: Bereits seit 2004 bietet das Label mit der NAXOS MUSIC LIBRARY ein eigenes Streamingportal mit inzwischen über 1 Million Titel an und unterhält mit ClassicsOnline zudem einen eigenen Download-Shop.


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