
Duport, Jean Louis - 21 Etüden mit Begleitung eines zweiten Violoncellos
Eine CD für Verrückte
Label/Verlag: Musicaphon
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Bleibt zum Ende nur wieder die anfängliche Frage: Wer braucht eine CD mit Cello-Etüden?
Man muß als Cellist schon ein bißchen verrückt sein, um zwei Werke der Cello-Etüden-Literatur auf CD einzuspielen. Noch verrückter, bzw. Kritiker oder Cellist oder beides zusammen muß man wohl sein, um sich diese zwei CDs anzuhören.
Der Cellist Martin Rummel stellt in seinem sehr persönlichen Booklet-Text schon die Frage nach dem Sinn einer solchen Einspielungen und verweist auf die Pianisten, die auch begeistert ihre Etüden spielen und aufnehmen. Dabei handelt es sich allerdings meistens um Konzertetüden, die also für den öffentlichen Vortrag komponiert wurden. Kaum ein Pianist würde wohl auf die Idee kommen, das Etüdenwerk Cernys aufzunehmen. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Cello, wie Martin Rummel ebenfalls anmerkt, eigentlich Begleitinstrumente braucht, um richtig glänzen zu können und die Sololiteratur, auch in Konzerten, meist etwas für Eingeweihte ist (wer außer Cellisten hört sich z.B. selbst einen ganzen Abend mit Bachs Solosuiten an, die unbestritten zum Höchsten gehören, was für das Cello komponiert wurde, aber auch erst von P. Casals für den Konzertsaal entdeckt wurden und vorher als ‘Etüden’ verwendet wurden).
Läßt man mal die ganzen Vorüberlegungen außer Acht, so bekommen wir auf diesen CDs hoch virtuose Celloliteratur zu hören und die von Martin Rummel wiederentdeckte Begleitstimme zu den Duport-Etüden läßt einige vorher etwas langatmig erscheinende Passagen doch etwas logischer erscheinen und macht die Etüden, auch wenn die Begleitstimme meist sehr einfach gehalten ist, für den Zuhörer abwechslungsreicher und interessanter. Jean Louis Duport (1749-1819) ist durch seine Etüden wahrscheinlich vor allem Cellisten ein Begriff. Zu seiner Zeit war er einer der berühmtesten Cellovirtuosen und Lehrer. Unter anderem wirkte er als Cellist am preußischen Hof (zusammen mit seinem Bruder Jean Pierre) und in der Münchner Hofkapelle, bevor er in seine Heimatstadt Paris ans dortige Consérvatoire und als Solocellist der Königlichen Kapelle zurückkehrte. Mit seinem ‘Essai sur le doigter du Violoncelle et la conduite de l´archet’ gilt er als einer der Begründer der virtuosen Cellotechnik, zu deren Übung auch die eingespielten Etüden gedacht waren. Stilistisch bewegen sich die Werke im klassischen Bereich, immer wieder fühlt man sich an virtuose Passagen in Kompositionen Luigi Boccherinis (1743-1805)erinnert, die ungefähr in er gleichen Zeit entstanden. Nur, wie das bei Etüden so der Fall ist, finden sie oft kein Ende, denn ein Übungseffekt liegt auch in der Wiederholung der spieltechnischen Schwierigkeiten. Und da Martin Rummel und Sebastian Hartung auch konsequent jede Wiederholung spielen, dehnen sich die Stücke zu oft ermüdender Länge aus. Gemäß seinem Motto, dass auch Etüden musikalisch gespielt werden können und sollten (wer kennt diese Forderung nicht aus dem eigenen Unterricht!?), bemüht sich Martin Rummel um abwechslungsreiche Gestaltung der Etüden, technischen Schwierigkeiten scheinen dabei für ihn kein Hindernis darzustellen.
Auch Sebastian Lee (1805-1887) entstammt einem cellospielenden Brüderpaar. Anders als sein Bruder Louis (1819-1896), der fast die ganze Zeit seines Lebens in seiner Heimatstadt Hamburg verbrachte, ging er nach Paris und wurde dort Solocellist an der Grand Opéra und gefragter Musiklehrer. Erst später zog es auch ihn in seine Heimat zurück. Für seine Schüler schrieb er eine Vielzahl von Stücken, neben den hier eingespielten kleinen Etüden unter anderem eine weit verbreitete Celloschule.
Die 40 leichten Etüden mit Begleitung eines zweiten Violoncellos Op.70 wurden laut Booklet kurzfristig ins Programm genommen, wahrscheinlich um die zweite CD ‘aufzufüllen’. Sie bilden einen großen Kontrast zu den Etüden Duports. Schon in ihrer Länge differieren sie mit durchschnittlich knapp 30 Sekunden deutlich von den bis zu fast 11 Minuten bei Duport. Auch technisch stellen sie für die beiden Cellisten keine Herausforderung dar. Trotzdem entstehen wunderschöne kleine Miniaturen. Durch ihre Kürze und ihre schnelle Abfolge ein vielseitiges Programm zum Ende der beiden CDs.
Bleibt zum Ende nur wieder die anfängliche Frage: Wer braucht eine CD mit Cello-Etüden? Vielleicht Cellolehrer als Geschenk für ihre Schüler oder Schüler als Geschenk für ihre Lehrer, oder einfach celloverrückte Musikhörer, denn diese Aufnahme wird ziemlich sicher über Jahre hinaus die Referenzaufnahme dieser Werke bleiben, nicht nur weil wahrscheinlich so schnell kein Cellist wieder auf die Idee kommt, sich so einen Etüdenmarathon anzutun, sondern weil sie einfach auch gut gespielt ist.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Duport, Jean Louis: 21 Etüden mit Begleitung eines zweiten Violoncellos |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Musicaphon 2 17.03.2006 |
Medium:
EAN: |
CD
4012476568782 |
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Musicaphon Ende der 50er Jahre gründete Karl Merseburger, Inhaber des Tonkunstverlages in Darmstadt, das Label CANTATE. Etwa zur gleichen Zeit rief Karl Vötterle (Bärenreiter-Verlag) in Kassel MUSICAPHON ins Leben. In beiden Fällen sollte vorrangig das jeweilige Verlagsprogramm auf Tonträgern dokumentiert werden. Nachdem Merseburger den Tonkunstverlag 1963 aufgeben mußte, übernahm Bärenreiter das Label CANTATE und führte beide gemeinsam unter dem Dach der 1965 gegründeten Vertriebsfirma "Vereinigte Schallplattenvertriebsgesellschaft Disco-Center" fort. Auf beiden Labels erschienen in den 60er und 70er Jahren bedeutende Aufnahmen. Besondere Schwerpunkte setzte Wilhelm Ehmann, Leiter der Westfälischen Kantorei in Herford, mit seinen historischer Aufführungspraxis verpflichteten Interpretationen der Werke von Heinrich Schütz. Bach-Kantaten wurden von Helmuth Rilling mit der Gächinger Kantorei und dem Figuralchor der Gedächtniskirche Stuttgart eingespielt. MUSICAPHON gewann daneben Profil mit der Veröffentlichung musikethnologischer Aufnahmen, herausgegeben von der UNESCO (Musik des Orients und Musik Afrikas) bzw. vom musikwissenschaftlichen Institut der Universität Basel (Musik Ozeaniens und Musik Südostasiens). 1994 erwarb der Musikwissenschaftler Dr. Rainer Kahleyss (Kassel) die Label, 1996 auch die Vertriebsfirma von Bärenreiter, die jetzt als "Klassik Center Kassel" firmiert. Seitdem werden auf CANTATE geistliche Musik, auf MUSICAPHON weltliche Musik vom Frühbarock bis zur Gegenwart veröffentlicht. Auch für die Rezeptionsgeschichte bedeutsame Aufnahmen der Altkataloge werden sukzessive auf CD umgestellt. Mehr Info... |
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