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Montag, 20. März 2023

Andrea Chénier - Carreras, José

Zum Sterben schön...


Label/Verlag: Arthaus Musik
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Aber glücklicherweise gibt es genügend andere, gute ‚Chenier’-Aufnahmen - wenn auch nicht auf DVD.

Das erste, was an dieser Aufzeichnung von ‚Andrea Chenier’ aus der Mailänder Scala 1985 auffällt, ist wie unglaublich gut José Carreras damals aussah: ein Traum von einem Tenor. Der ideale Liebhaber. Und er konnte in jenen Jahren zudem noch singen wie ein junger Gott. Mit schier unglaublicher Leidenschaft und Hingabe zeichnet er die großen Melodiebögen von Umberto Giordanos nach, macht aus jeder noch so kleinen Phrase eine glutvolle Liebeserklärung, aus jedem herausgestemmten Spitzenton ein bewegendes Statement (auch wenn er schon damals mit der Extremhöhe kämpfen musste – was die ‚ertrotzen’ Noten nur noch bewegender macht). Ihn in dieser Produktion zuzuschauen, ist von Anfang bis Ende eine Freude, auch weil er so gänzlich natürlich spielt, was im Close Up überzeugend wirkt. Und anrührt. Besonders in Momenten wie dem Solo des ersten Akts, ‚Un dí all’azurro spazio’. Das Publikum überschüttet ihn denn auch bei jeder Gelegenheit mit verdienten Ovationen, die er – seltsam genug für einen Tenor – nicht zu registrieren scheint. Er bleibt beim Applaus einfach regungslos stehen und wartet, bis es weitergeht. Was etwas komisch auf Film aussieht. Aber egal.

Leider ist Carreras’ Leistung das einzig Erfreuliche, was es von dieser DVD zu berichten gibt. Denn sein jungenhafter Chenier passt überhaupt nicht zur heroinenhaften Eva Marton als Maddalena di Coigny, die unglücklicherweise die ganze Zeit mit einer sehr unvorteilhaften blonden Langhaarperücke rumlaufen muss und darin übertrieben künstlich aussieht – was doppelt negativ auffällt, neben dem so ganz ungekünstelten Carreras (ohne Perücke). Aber auch rein stimmlich ist Marton keine glaubwürdige Maddalena. Ihr fehlt das Mädchenhafte, Aristokratische, letztlich auch der typisch italienische Klang, den diese Musik verlangt. Das heißt nicht, dass Marton schlecht singen würde, ganz im Gegenteil. Aber sie hat einfach nicht das warme, südländische Timbre, das Giordanos Oper idealerweise braucht. Auch ist sie nicht der Typ, der sich – wie Carreras – in den entscheidenden Momenten der Handlung hingeben kann an die Musik, in den Klangwogen aufgeht, zerfließt. Die raffinierten Ekstasen einer Renata Tebaldi oder die explosive Theatralität einer Maria Callas sucht man hier vergebens, und so bleibt ‚La mamma morta’ beispielsweise eine gut gesungene Nummer. Mehr nicht. Es gibt keinen Moment der Erschütterung, der Berührung. Auch die sinnliche Erregung bleibt aus, was den ganzen Sinn und Zweck einer Aufführung gerade dieser Oper in Frage stellt.

Vielleicht liegt das alles an einer haarsträubend unglaubwürdigen Ausstattung und Regie? Diese Geschichte, die ja laut Textbuch im Dreck der Französischen Revolution spielt, sieht bei Lamberto Puggelli (Regie), Paulo Bregni (Bühne) und Luisa Spinatelli (Kostüme) aus, wie eine glattgebügelte Fernsehoperette (was nicht als Kompliment gemeint ist). Maddalena läuft permanent in einem babyblauen Nachthemd-artigen Kleid herum, an dem auch nicht ein einziges Staubkorn zu sehen ist (von Dreck ganz zu schweigen). Auch Piero Cappuccili als Revolutionsführer Gérard wirkt eher wie für den Karneval kostümiert als rot-weiß-blauer Franzose, denn jemand, der gerade einen der blutigsten Aufstände der Neuzeit hinter sich hat. Trotzdem singt Cappuccili vorbildlich – man mag ihn aber nicht anschauen, da er (zumindest auf Film und von Nahem) lächerlich aussieht.

Auch sonst kann man die Kostüme dieser Produktion kaum ernst nehmen. Was im Theater möglicherweise über Fernwirkung funktionierte, funktioniert auf DVD nicht.

Und so bleibt eigentlich nur eine Szene, die restlos überzeugt: das Schlussduett. Hier lächelt Eva Marton zum ersten Mal während der gesamten Aufführung (!) und findet zu jener Glaubwürdigkeit und Direktheit, die man zuvor so schmerzlich vermisst hatte. Dazu macht Carreras aus seinem wunderbar gewundenen ‚Insieme a te’ einen verführerischen erotischen Akt, der den nahenden Tod in der Tat erstrebenswert erscheinen lässt. Dass Carreras am Schluss (‚La morte, insiem’) von Eva Martons Trompetentönen einfach weggepustet wird, stört da nur wenig. Weil Riccardo Chailly am Pult eh dafür sorgt, dass das Orchester solche Details dezent überdeckt. Ansonsten ist sein Dirigat vorbildlich korrekt, doch auch er kann der Produktion mit hohem Camp-Faktor aus dem Orchestergraben kein echtes Leben einhauchen. Schade.

Aber glücklicherweise gibt es genügend andere, gute ‚Chenier’-Aufnahmen – wenn auch nicht auf DVD.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Features:
Regie:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Andrea Chénier: Carreras, José

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Arthaus Musik
1
24.03.2006
Medium:
EAN:
DVD
0639842665520

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Arthaus Musik

Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels.

Das Pionierlabel für Klassik auf DVD veröffentlicht nunmehr seit 13 Jahren hochkarätige Aufzeichnungen von Opern, Balletten, klassischen Konzerten, Jazz, Theaterinszenierungen sowie ausgesuchte Dokumentationen über Musik und Kunst. Mit bis zu 150 Veröffentlichungen pro Jahr sind bisher über 1000 Titel auf DVD und Blu-ray erschienen. Damit bietet Arthaus Musik den weltweit umfangreichsten Katalog von audiovisuellen Musik- und Kunstproduktionen und ist seit Gründung des Labels international führender Anbieter in diesem Segment des Home Entertainment Marktes.

In vielen referenzgültigen Aufzeichnungen sind die größten Künstler unserer Zeit wie auch aus vergangenen Tagen zu hören und zu sehen. Unter den Veröffentlichungen finden sich Aufnahmen mit Plácido Domingo, Cecilia Bartoli, Luciano Pavarotti, Maria Callas, Jonas Kaufmann, Elīna Garanča; mit Dirigenten wie Carlos Kleiber, Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Pierre Boulez, Zubin Mehta; aus Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper, dem Royal Opera House Covent Garden, der Opéra National de Paris , der Staatsoper Unter den Linden, der Deutschen Oper Berlin und dem Opernhaus Zürich.

Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011.

Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter.

Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von L’Arche Editeur, Preisträger des Prix de l’Académie de Berlin 2010.


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