
Schubert, Franz - Schiller-Lieder
Monochrom
Label/Verlag: Tudor
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Gleich zu Beginn der CD hört man die berühmt-berüchtigte ‘Bürgschaft’, eine dramatische Szene von beinahe 18 Minuten Dauer.
Friedrich Schiller – dessen 200. Todestag im Jahr 2005 allüberall mit unzähligen Publikationen über den Dichter mit dem revolutionären Gedankengut gewürdigt wurde – war Anfang des 19. Jahrhunderts eines der Idole der aufbruch- und erneuerungssüchtigen Jugend. Es überrascht daher kaum, dass auch der junge Franz Schubert sich von Schillers Lyrik angezogen fühlte. Und so wurde der Dichter (trotz der Sperrigkeit mancher seiner Texte) zum wichtigsten Anreger für den Beginn von Schuberts Liedschaffen. Zwischen 1811, dem Jahr der Erstfassung von ‘Des Mädchens Klage’ (einem der ersten Schubert-Lieder überhaupt) und 1824 hat Schubert 32 Gedichte seines Jugendidols vertont, davon 13 bis zu vier Mal.
Angesichts des allgemeinen Interesses an Schiller 2005 ist es verständlich, dass der österreichische Bariton Wolfgang Holzmair gerade jetzt eine Auswahl von 15 Schubert-Liedern nach Gedichten von Schiller präsentieren wollte. Er tut dies zusammen mit seinem bewährten Klavierbegleiter Gérard Wyss und gibt, was die Titelauswahl betrifft, einen guten Überblick über Schuberts Beschäftigung mit Schiller, auch wenn ausgerechnet ‘Des Mädchens Klage’ fehlt.
Gleich zu Beginn der CD hört man die berühmt-berüchtigte ‘Bürgschaft’, eine dramatische Szene von beinahe 18 Minuten Dauer. Sie kontrastiert gut mit dem lyrisch-schlichten Lied ‘Dithyrambe’ (drei Minuten), dem elegischen ‘Die Götter Griechenlands’ (vier Minuten) und dem fröhlichen ‘An den Frühling’ (zwei Minuten). Auch insgesamt bildet die Liedfolge einen spannenden Wechsel von Themen und Formaten.
Alle Titel werden von Holzmair mit leicht körnigem Kavaliersbariton sehr ansprechend vorgetragen und von Wyss mit Sinn für dramatische Akzente vorgetragen. Nur: ein großes Problem löst der Bariton nicht. In vielen der Schiller-Gedichte ‚sprechen’ mehrere Charaktere. Um zu begreifen, was in den teils epischen Gedichten und Balladen (wie etwa der ‘Bürgschaft’) passiert, müssen die verschiedenen Sprecher stimmlich auseinander gehalten werden. Will man die Lieder nicht mit mehreren Sängern besetzen, braucht man so kontrastierende Klangfarben und/oder eine solche Schauspielbegabung, dass der Hörer auch bei einem einzigen Sänger die Rollenverteilung begreift. Nur auf diese Weise können die Gedichte so lebendig werden, wie sie Schubert tatsächlich komponiert hat.
Holzmair besitzt (leider!) solch eine Stimmfarben-Palette und solches Schauspieltalent nicht. Weswegen einige der größeren Werke (neben der ‘Bürgschaft’ vor allem ‘Hektors Abschied’: ein Zweigespräch zwischen Hektor und Andromache, das eigentlich ein strophenförmiges Duett ist) nicht überzeugen. Man verliert nach einer Weile schlicht den Handlungsfaden. Und damit das Interesse.
Ferner singt Holzmair in jenem derzeit standardisierten, stilisierten und understated Lied-Ton, der nicht wirklich zu den dramatischen Inhalten vieler Schiller-Texte passt – in denen es um Tyrannen, Krieg und Götter geht, teils mit altmodisch überbordendem Pathos. Dafür bräuchte man eine Stimme vom Format eines Hans Hotter oder Alexander Kipnis, um nur zwei berühmte Liedsänger früherer Epochen zu nennen, als die Fischer-Dieskau-Methode des Liedgesangs noch nicht zur allein gültigen erklärt worden war. Solche Sänger hatten die Kraftreserven, um große Gesten auch mit großer Opernstimme zu singen und hemmungslos plastisch zu deklamieren. Holzmair stößt an den entsprechenden Stellen – etwa in der ‘Gruppe aus dem Tartarus’ – an die Grenzen seiner vokalen und gestalterischen Mittel und klingt vielfach heiser und wenig überzeugend.
Auf der Plus-Seite verfügt er jedoch über ein berückendes Piano, mit dem er vor allem hoch liegende Passagen verführerisch schön gestalten kann. Besonders gut gelingt ihm dies im schon erwähnten Lied ‘Dithyrambe’ (wo er von den ‘himmlischen Chören’ singt).
Da die Schiller-Vertonungen – anders als die von Goethe – nicht zu den allseits bekannten Schubert-Liedern gehören, ist es begrüßenswert, dass ein Sänger vom Renommee Holzmairs 2005 wieder auf sie aufmerksam macht. Vielleicht sollte er für ein mögliches Folgeprojekt auf CD einige Kollegen mit ins Studio nehmen und die Lieder mit verteilten Rollen aufnehmen (wie es ja zu Schuberts Zeit bei Aufführungen durchaus geschah)? Das würde die Kontrastwirkung und damit den Effekt vieler Titel sehr erhöhen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schubert, Franz: Schiller-Lieder |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Tudor 1 04.10.2005 |
Medium:
EAN: |
CD
7619911071349 |
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