
Mozart, Wolfgang Amadeus - Symphonie No.40 g-Moll
Spätherbstlicher Schmusesound
Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Giulinis Mozart-Interpretation ist eine dunkel-romantische Angelegenheit: breite Tempi, schwerer Streicherklang, elegische Stimmungen, herbstliche Klangfarben, abgeklärte Altersweisheit.
Salzburg, 2. August 1987: Nach 16 Jahren Abwesenheit kehrt der damals 73jährige Carlo Maria Giulini zurück zu den Festspielen und leitet ein Matinee-Konzert der Wiener Philharmoniker, das nun von der Firma Orfeo als Live-Mitschnitt auf CD in der Serie ‚Festspieldokumente’ herausgebracht wurde.
Zweifellos war das Konzert etwas Besonderes, da Giulini in Salzburg insgesamt nur fünf Konzerte in 21 Jahren dirigierte und zudem dieser Auftritt sein Comeback bei den Festspielen markierte. Aber das heißt noch nicht, dass deshalb auch die CD besonders interessant wäre. Zumal die Kombination der Stücke vielleicht für ein Live-Konzert eine mögliche, für eine Doppel-CD jedoch nur eine mäßig interessante Idee ist. Denn auf dem Programm standen an jenem Festspielnachmittag Mozarts g-Moll Symphonie Nr. 40 und Mahlers ‚Lied von der Erde’. Nicht eben Stücke, die viel miteinander zu tun haben. Auch kaum Stücke, die man sich zuhause unbedingt zusammen anhören will. Auch deshalb nicht, weil Giulini keine erkennbaren Bezüge zwischen beiden Stücken herstellt. Darum wäre eine Veröffentlichung der beiden Werke als Einzel-CD vermutlich sinnvoller.
Giulinis Mozart-Interpretation ist eine dunkel-romantische Angelegenheit: breite Tempi, schwerer Streicherklang, elegische Stimmungen, herbstliche Klangfarben, abgeklärte Altersweisheit. Das ist natürlich eine mögliche, auch eine interessante Variante, der Mozart-Tradition des 19. Jahrhunderts verbunden, von den Wiener Philharmonikern gespielt ohne einen Hauch von Bewusstsein für ‚Historische Aufführungspraxis’ und/oder Stil-Empfinden für die musikalische Rhetorik des 18. Jahrhunderts. Das ist auf seine eigene Weise auch ‚historisch’ und bringt – besonders im berühmten Eröffnungssatz und dem Andante – wunderbar weiche, sehnsüchtige Klänge von großer Schönheit hervor. Aber spätestens im Menuett und Finale wirkt der Ansatz schwerfällig und wenig überzeugend. Nur zum Vergleich: Willem Mengelberg spielte mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orchester seinen Mozart ebenfalls auf eine solche ‚romantische’ Weise, sogar mit noch mehr Portamenti als es die Wiener Philharmoniker tun; aber er fand dennoch in den Finali und Menuetten einen flotteren, tänzelnderen Ton, der hier bedauerlicherweise fehlt. Die Wiener Tageszeitung ‚Die Presse’ schrieb damals über Giulinis Mozart: ‚Der italienische Maestro hat sich längst von allen gängigen Klischees gelöst und erlebt Musik auf seine eigene, höchst unspektakuläre Art. Sein Dirigieren hat nichts Magisches und schon gar nichts Despotisches. (...) Sein Puls geht langsam, und er läßt sich, mit liebevoller Sorgfalt ganz dem Augenblick hingegeben, Zeit, die Schönheit der Details (...) vor dem Hörer auszubreiten.’ – Das stimmt. Aber es stimmt auch, dass dieses ‚ewige Aufblühen’ der Mozart-Musik etwas ‚seltsam Undramatisches’ hat. Und damit auf Dauer auch etwas sehr, sehr langweiliges.
Aus solcher Langeweile wird man bei Mahler herausgerissen von den tief bewegenden Tönen der Solistin Brigitte Fassbaender. Sie gestaltet den Text derart plastisch, dass man als Hörer (selbst auf CD) quasi an ihren Lippen hängt und gebannt zuhört, wie sie Silbe für Silbe zu ‚inhalieren’ scheint und die Musik aus ihr heraus strömt. Die ‚Salzburger Nachrichten’ sprachen damals von einer ‚überreifen, tränenvollen’ Interpretation von großer Wärme. Das kann ich vollkommen bestätigen. Fassbaender hat zusammen mit Giulini und ihrem Tenor-Partner Francisco Araiza auch eine Studioaufnahme dieses Stücks gemacht, allerdings mit den Berliner Philharmonikern. Da die Deutsche Grammophon-Aufnahme derzeit nicht erhältlich ist, ist dieser Live-Mitschnitt die einzige Möglichkeit, die grandiose, wirklich maßstabbildende Wiedergabe Fassbaenders zu hören. Ich persönlich würde sagen, dass es die beste Interpretation aus Tonträger überhaupt ist (und dabei habe ich Kathleen Ferrier nicht vergessen).
Neben einer solchen Ausnahme-Leistung hat es jeder Tenor schwer. Francisco Araiza singt seinen Part klangschön, auch wortdeutlich, aber irgendwie ist seine damals noch ganz Mozart geweihte Stimme zu weich für diese gleißende Musik, die mehr Höhenglanz, mehr Ekstase, aber auch mehr Draufgängertum verlangt (vermutlich ist das mehr eine Persönlichkeitsfrage, denn ein Klangproblem). Unübertroffen bleibt da (natürlich) Fritz Wunderlich. In der besten aller Welten würde man ihn mit Brigitte Fassbaender kombinieren und hätte eine ideale Wiedergabe dieses Werks. Dann aber doch lieber mit Klemperer am Pult, dessen beißende und erregende Interpretation ich als spannender empfinde, als Giulinis spätherbstlichen Schmuseklang.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mozart, Wolfgang Amadeus: Symphonie No.40 g-Moll |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ORFEO 2 01.07.2005 |
Medium:
EAN: |
CD
4011790654225 |
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Mahler, Gustav |
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ORFEO Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
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