> > > Schubert, Franz: Symphonie No. 5&6
Freitag, 2. Juni 2023

Schubert, Franz - Symphonie No. 5&6

Dramatisch zugespitzt


Label/Verlag: Tudor
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Mit den Bamberger Symphonikern hat Nott ein Orchester zur Hand, das durchaus mit den besten dieses Landes mithalten kann.

Die Zusammenarbeit zwischen den Bamberger Symphonikern und ihrem seit 2000 amtierenden Chefdirigenten Jonathan Nott zeitigte bereits mehrere herausragende Produktionen, allesamt entstanden im Rahmen einer Kooperation des Bayerischen Rundfunks mit dem schweizerischen Label Tudor. So wurden beispielsweise eine fesselnde Interpretation von Mahlers Fünfter Sinfonie oder eine hervorragende Einspielung von Bruckners Dritter Sinfonie veröffentlicht – und eben auch der erste Teil des Schubert-Zyklus mit der Ersten, Dritten und Siebenten, der „Unvollendeten“, kraftvoll und mit Sinn für feine Nuancen musiziert.

Mit den beiden vorliegenden Produktionen ist nun die Gesamtaufnahme der Sinfonien von Franz Schubert beinahe abgeschlossen – es fehlt noch die „Große C-Dur-Sinfonie“ (D 944). Was bereits die erste CD dieser Reihe versprach, lösen die beiden folgenden restlos ein: einen kraftvollen, dramatischen Zugang zu diesen Werken, die oft als bedeutungslose Versuche im Schatten des übergroßen Beethoven angesehen und dann auch dementsprechend musikalisch realisiert werden. Eine andere Herangehensweise zeigen Interpretationen, die vor allem das Melodische in Schuberts Sinfonien betonen, um das wissenschaftlich Analysierte auch hörbar zu machen. Mit all diesen einseitigen Deutungen dieser Sinfonien hat der englische Dirigent Jonathan Nott nichts am Hut. Er nimmt Schubert ernst – auch in diesen frühen, eher „jugendlichen“ Werken. Und so darf auch z.B. die sogenannte „kleine C-Dur-Sinfonie“, die Sechste (D 589), mit allen Muskeln spielen, die sie zweifellos hat.

Höchste Präzision

Mit den Bamberger Symphonikern hat Nott ein Orchester zur Hand, das durchaus mit den besten dieses Landes mithalten kann. Die Streicher klingen hier zwar weniger samtig als von diesem Orchester gewohnt, was diesen Werken jedoch durchaus gut zu Gesichte steht. Fabelhaft sind einmal mehr die Holzbläser. Weiche Tongebung, reine Intonation, bewegliche Linienführung und bestens abgestimmte Phrasierung zeichnen die Bläser der Bamberger aus. In der Sechsten Sinfonie, in der die Holzbläser das meiste thematische Material einführen, dürfen sie richtig zeigen, was sie drauf haben. Auch das Blech darf ruhig lobend hervorgehoben werden: Horn und Trompete agieren sehr gefühlvoll und in der Stretta des Finales der Sechsten Sinfonie dürfen die Trompeten auch mal richtig knackig rangehen. All dies ist hervorragend aufeinander abgestimmt, der Gesamtklang des Orchesters ist sehr ausgewogen und voll. Vielleicht könnte man ihn noch facettenreicher gestalten, wenn die zweiten Geigen rechts des Dirigenten posiert wären, aber auch so ergibt sich ein fabelhaft gestaffeltes Klangbild. Und wenn sich im Finale der Sechsten die hohen und tiefen Streicher die Bälle nur so zuwerfen, kommt dies durch diese Orchesteraufstellung umso mehr zur Geltung.

Dass der Orchesterklang unheimlich direkt wirkt, liegt natürlich nicht wenig an der famosen Klangtechnik. Die Leute vom Bayerischen Rundfunk haben in Zusammenarbeit mit Tudor hier wieder ein kleines Klangwunder vollbracht: Man hört wirklich alles, der Klang ist so direkt wie man ihn sonst höchstens von Aufnahmen des Labels Telarc kennt, allerdings ohne stellenweise so überbelichtet zu erscheinen wie dort manchmal. Die Genauigkeit der Abbildung geht sogar soweit, dass man die Stühle der Kontrabassisten ganz leicht knarzen hört, wenn die Musiker sich zum Blättern leicht nach vorne beugen – dies Bild kommt einem zumindest bei diesen leisen Hintergrundgeräuschen. Auch manches andere Blättern wird gelegentlich hörbar, allerdings nur, wenn man Kopfhörer heranzieht. (Die beiden CDs bieten jedoch auch die Möglichkeit, diese Sinfonien in Surround-Qualität zu genießen.)

Durchdachte Interpretation mit Biss

Die Interpretationshaltung Notts scheint weniger von kammermusikalischer Herangehensweise bestimmt zu sein als von einer Klangvorstellung, die die Fülle des großen Sinfonieorchesters betont. Allerdings soll damit nicht gesagt sein, dass diese Sinfonien im Klangbrei verschwimmen. Eher trifft das Gegenteil zu: Die Einzelstimmen werden durchaus mit viel Feingefühl für Details behandelt, jedoch eingefügt in einen reich schattierten und vor Energie pulsierenden Orchesterklang. Auch wenn Nott in der gering besetzten Fünften Sinfonie (D 485) in B-Dur ein wenig klangliche Leichtigkeit vermissen lässt, indem er im Finale etwas zu sehr an den Noten klebt, so gelingt ihm doch vor allem in der Sechsten Sinfonie (D 589) in C-Dur ein Paukenschlag. Selten wurde die Dramatik und die stürmische Energie dieses Werks so leidenschaftlich betont. Unglaublich, wie sich hier das hüpfende erste Thema des Eingangssatzes mit geschärften Tutti abwechselt, in höchstem Kontrast, auch dynamisch. Das Finale gelingt Nott glänzend; wo andere Dirigenten zuweilen Schwierigkeiten haben, diesen eher reihend als entwickelnd aufgebauten Satz spannend zu interpretieren, da schafft es Nott mit den Bamberger Symphonikern, durch logisch und gefühlvoll gestaltete Übergänge einen kontinuierlichen Zug nach vorne aufzubauen.

Auch die Zweite Sinfonie in B-Dur (D 125) scheint Nott richtig ernst zu nehmen. Ihre Entwicklung gestaltet sich hier dramatischer und mehr energiegeladen als die der sogenannten „Tragischen“, der Vierte Sinfonie in c-Moll (D417), einer deutlichen kompositorischen Auseinandersetzung mit der Beethoven’schen Sinfonik. Die rhythmische Energie des Eingangssatzes der B-Dur-Sinfonie kommt hier in all ihrer Spannung zum Ausdruck – betont, jedoch nicht forciert. Was die Tempi betrifft, so schlägt Nott durchweg eine flotte Gangart an, ohne zu hetzen. Ein weiteres Charakteristikum, das sich in allen vier Sinfonien zeigt, ist Notts durchdachte, dramatische und detaillierte Herangehensweise. Melodiebögen werden hier musikalisch rund und natürlich gestaltet, und über allem weilt Notts Gespür für weitreichende Spannungen; die Architektonik der einzelnen Sätze wird hier mustergültig dargestellt.

Unter den gegebenen Prämissen sind diese Interpretationen also durchweg hervorragend. Mit einem modernen Sinfonieorchester und ebenso modernen Instrumenten lässt sich kaum eine packendere und auf ganzer Linie überzeugendere Interpretation vorstellen. Eine Meisterleistung von Jonathan Nott und den Bamberger Symphonikern. Man kann auf Weiteres gespannt sein.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Schubert, Franz: Symphonie No. 5&6

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
Aufnahmejahr:
Tudor
1
18.07.2005
64:55
2005
Medium:
EAN:

CD
7619911071431


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Schubert, Franz
 - Symphonie Nr. 5 - B-Dur/ in B flat major/ en si bémol majeur
 - Symphonie Nr. 6 - C-Dur / in C major/ en ut majeur


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Dirigent(en):Nott, Jonathan
Orchester/Ensemble:Bamberger Symphoniker


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Tudor

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