
Neuwirth, Olga - Akroate Hadal
Komponierter Tinnitus
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
: ,Man kann, so denke ich, durch Überhöhung, Künstlichkeit und ironische Verfremdung und Distanz viel tiefer zur Wirklichkeit zurückkehren.’
Olga Neuwirth verweigert die Gewöhnung. Kaum hat man sich in einen Rhythmus, in eine Melodie, in ein Klangbild gefunden, schon wirft sie uns hinaus, und bevor wir uns mit der neuen Situation vertraut machen können, packt sie uns erneut am Kragen. Warum soll man angesichts der Absurdität des Lebens in der Kunst Unterhaltung und Ablenkung finden? Kunst muss existentiell betreffen. Olga Neuwirth erreicht dies auf dem Weg der Erschütterung. Sie zeigt eine große Meisterschaft im Übergang, kurz abrupt, überraschend, aber dennoch auskomponiert. Gerade die beiden Streichquartette der vorliegenden CD ,Akroate Hadal’ und ,settori’ zeigen das ostentativ. Hier zerstückelt sie uns mit den Klängen, und wir wissen nicht mehr, ob es sich überhaupt lohnt, die Glieder wieder zu vereinen. Das wird noch unterstrichen vom typischen, fahlen Klang des Arditti-Quartetts.
Dunkel der Ferne
In den übrigen Stücken der CD sind die Brüche subtiler und immanenter, wodurch sie weniger sperrig, zugleich aber vielschichtiger und in ihrer Absicht gelungener komponiert sind. Der Titel ,Quasare/Pulsare’, ein Stück für Violine und Klavier, verweist auf Objekte, die weniger durch optische Sichtbarkeit als durch Radio- oder Röntgenstrahlung mit stark schwankender bzw. periodischer Strahlungsintensität auffallen. Beide Himmelsobjekte liegen im Dunkel der Ferne, Forschung ist nur anhand der fragmentarischen und von Zeit und Raum verzerrten Strahlungen möglich, die zufällig die Erde treffen. Selbst wenn man in die Nähe gelangen könnte, wäre der unmittelbare Kontakt tödlich. Mit Glissandi in den Klaviersaiten sowie harten Schlägen erzeugt Olga Neuwirth hier eine karge, ausgedünnte und unwirtliche Atmosphäre, deren Bann man sich kaum entziehen kann.
Resonanzen
In ,...risonanze!...’ werden Spiel- und Resonanzsaiten einer Viola d’amore mikrotonal verstimmt. Die Komposition arbeitet experimentierend mit den neu gewonnen Möglichkeiten des Instruments, die Brüche finden sich hier auch im Anregen und plötzlichen Fallenlassen einer Saite. Mit ,...ad auras...in memorian H.’ setzt Olga Neuwirth die Arbeit mit den Möglichkeiten der Resonanzen fort. Resonanz- und Echowirkungen werden hier mittels zwei in der Stimmung und im Rhythmus leicht gegeneinander versetzter Violinen imitiert. Das entstehende Geflecht ist unauflösbar, die Töne sind zugleich Resonanz, Echo und Ausgangsklang. Das Stück verweist so unter anderem auf die Differenz zwischen Analytik und Kunst. Ein CD-Player wird im Stück ,incidendo/fluido’ im Flügel platziert. Am auffälligsten an der zugespielten CD ist ein Dauerton, ein komponierter Tinnitus. Eine Spieluhrmelodie mitten im Stück verweist auf die Kinderzimmerszene in Olga Neuwirths Musiktheater ,Bählamm Fest’. Der Surrealismus ist für sie ein wichtiges, künstlerisches Mittel. Zitat Olga Neuwirth: ,Man kann, so denke ich, durch Überhöhung, Künstlichkeit und ironische Verfremdung und Distanz viel tiefer zur Wirklichkeit zurückkehren.’ Das ist ihr mit den vorliegenden Kompositionen gelungen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Neuwirth, Olga: Akroate Hadal |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 1 24.08.2005 |
Medium:
EAN: |
CD
9120010280122 |
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Neuwirth, Olga |
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