
Brahms, Johannes - Trio für Klavier, Violine und Violoncello
Fassungsfragen
Label/Verlag: ARS MUSICI
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das 1991 gegründete Trio Jean Paul begreift die vermeintlichen Schwächen der ursprünglichen Trio-Komposition als Stärken.
Was mag wohl Johannes Brahms bewogen haben, sein Jugendwerk aus dem Jahr 1854 fünfunddreißig Jahre später grundlegend zu revidieren? War er mit der Komposition unzufrieden, etwa mit der ausladenden Form oder wollte er biographisch-programmatische Bezüge tilgen? Wie dem auch sei – jedenfalls hat Brahms so weitgehend in die Disposition eingegriffen, dass man kaum noch von zwei verschiedenen ‘Fassungen’, sondern vielmehr von zwei verschiedenen Kompositionen sprechen kann. Allein der erste Satz wurde um fast die Hälfte, das Adagio und das Finale um mehr als ein Drittel gekürzt. In der zeitgenössischen Kritik wurde diese Umarbeitung gelobt – schien doch der erste Satz mit einer zeitlichen Ausdehnung von etwa 18 Minuten sowohl Ausführende als auch Zuhörer zu überfordern. Und auch die Integration einer Fuge in den Kopfsatz dürfte beim Publikum und bei der Kritik Kopfschütteln ausgelöst haben ...
Tönende Liebesbriefe?
Das 1991 gegründete Trio Jean Paul begreift die vermeintlichen Schwächen der ursprünglichen Trio-Komposition als Stärken: Der Violinist Ulf Schneider weist im Booklet auf die ‘faszinierende Fragilität und Dramatik’ sowie die ‘außergewöhnliche, intensiv-berührende Sprache’ des 1854 entstandenen Brahms-Trio hin. Schneider scheut sich nicht, die Musik mit ‘tönenden Liebesbriefen’ zu vergleichen, die ‘ungewöhnliche, oft sehr intime Einblicke in das Seelenleben des Verfassers’ gewährten. Letzteres ist vielleicht eine wohlwollende Übertreibung, aber eine besondere Faszination übt die frühe Fassung des Trios gewiss aus. Allein die Vergleichbarkeit mit der späteren Überarbeitung würde eine Einspielung dieses Werkes rechtfertigen.
Dass der Violinist des Trios ausgerechnet den Begriff der Musik-Sprache bemüht, ist womöglich kein Zufall. In der Wahl ihres Namens und in ihrer Selbstbeschreibung heben die Musiker des Trio Jean Paul das Literarische und insbesondere sprachlich-rhetorische Element der Musik hervor. Und als ‘intensiv-berührend’ kann auch die Interpretation beschrieben werden. Die Spannweite der musikalischen Parameter ist genauso groß wie das emotionale Feld, das von den Musikern Ulf Schneider (Violine), Martin Löhr (Violoncello) und Eckart Heiligers (Klavier) abgesteckt wird. So wird das Scherzo vom ersten Ton an spannend musiziert, mit einem federnden Rhythmus und scharfen dynamischen Kontrasten. Indes schleicht sich bei aller Beherztheit keine Grobheit ein; alle Virtuosität ist wohl dosiert und dient der Struktur und dem Ausdruck der Musik.
Taghell: Schönbergs ‘Verklärte Nacht’
Zum Brahmsschen opus 8 gesellt sich das Werk eines Komponisten, der von Brahms viel gelernt hat: Arnold Schönberg. Dass die vom Trio Jean Paul eingespielte Version der ‘Verklärten Nacht’ eine Bearbeitung ist, wird auf dem Booklet-Titel zwar verschwiegen, mindert aber nicht den Wert der Produktion. Ursprünglich wurde die ‘Verklärte Nacht’ (nach einem Gedicht von Richard Dehmel) 1899 als Streichsextett komponiert. Bearbeitet für Klaviertrio wurde es 1932 durch den Schönberg-Schüler Eduard Steuermann. Damit verbindet die beiden eingespielten Werke zweierlei: einerseits die biographisch-programmatischen Züge, andererseits die Tatsache, dass sie in zwei sehr verschiedenen Formen vorliegen. Freilich hat Steuermann im Gegensatz zu Brahms nicht in die Komposition als solche eingegriffen, sondern sie ‘nur’ für eine andere Besetzung eingerichtet.
Auch bei diesem Werk überzeugt das Trio Jean Paul. Dass der warme Klang der Streicher bei der Bearbeitung ein Stück weit verloren geht, ist nicht den Interpreten anzulasten. Aber wie jede gute Bearbeitung deckt auch diejenige von Eduard Steuermann musikalische Schichten auf, die vorher so nicht zu hören waren. Vielleicht muss man sich auch für das 19. und 20. Jahrhundert von der festgefügten, letztlich musikalisch unproduktiven ‘Werk’-Idee, die nur eine Fassung gelten lassen will, verabschieden. Das Trio Jean Paul zumindest macht neugierig auf weitere Bearbeitungen und ungewöhnliche Früh- oder Spätfassungen. Überzeugt hat die Platte mit Brahms und Schönberg übrigens auch andere: Der Einspielung wurde der Preis der deutschen Schallplattenkritik (Bestenliste 3/2005) zuerkannt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Brahms, Johannes: Trio für Klavier, Violine und Violoncello |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS MUSICI 1 01.06.2005 |
Medium:
EAN: |
CD
4017563138329 |
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Brahms, Johannes |
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ARS MUSICI Wenn man es genau nimmt, reichen die Wurzeln des Labels ARS MUSICI bis in die 1950er Jahre zurück. Damals gründete Rudolf Ruby in Freiburg i.Br. die Schallplattenfirma deutsche harmonia mundi, die Pionierleistungen mit inzwischen legendären Interpreten auf dem Gebiet der Alten Musik in Sachen Historische Aufführungspraxis vollbrachte. Nach dem Verkauf des Labels und Katalogs an die BMG setzte man seit 1994 in der Schwarzwald-Metropole die Arbeit unter dem neuen Firmennamen Freiburger Musik Forum GmbH fort. Das Label ARS MUSICI wurde ins Leben gerufen, und das Themen-Spektrum der Produktionen erweiterte sich von Musik des Mittelalters bis hin zu aktuellster zeitgenössischer Musik.
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