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Sonntag, 4. Juni 2023

Byrd, William - Harpsichord music

Brennend kalt


Label/Verlag: Alpha Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Kurze Motive und Phrasen sind die Keimzellen der kurzen Kompositionen William Byrds.

Kennen Sie das Gefühl, wenn man mit extrem heißem oder extrem kalten Wasser in Berührung kommt, und man zuerst nicht spürt ob es kalt oder heiß ist. Da ist einfach nur ein stechender, klarer Schmerz. Die Einspielung ausgewählter Cembalostücke von William Byrd durch Gustav Leonhardt, einen Altmeister des Cembalo, ist wie dieses Gefühl. Über 50 Minuten lang weiß man als Hörer nicht zu entscheiden, ob die Cembaloklänge nun eiskalt oder brennend heiß sind. Man mag dem Klang des Cembalo an sich bereits solche Eigenschaften zuschreiben. In solcher Deutlichkeit erklingen sie selten.

Kälte

Kurze Motive und Phrasen sind die Keimzellen der kurzen Kompositionen William Byrds. Auf ihnen baut sich die gesamte Struktur eines Stückes auf. Die kontrapunktische Verstrickung erreicht eine Dichte wie bei keinem zweiten Komponisten des elisabethanischen Englands (etwa 1580 bis 1620). Leonhardt spielt nun trotz der komplexen Mehrstimmigkeit jede noch so kleine Phrase bewusst und überdeutlich. Sein Spiel ist scharf, fast mathematischund zeigt ein analytisches Interesse. Dabei experimentiert er nicht wie etwa Glenn Gould, der Stücke noch radikaler aber eben auch eigenwilliger auseinandernehmen konnte. Leonhardt schafft Klarheit bei Gleichberechtigung aller Stimmen. Eine beeindruckende Leistung, die wohl erst durch seine Jahrzehnte wiegende Erfahrung möglich wird.

Wenn die Stücke Byrds offen wie auf dem Seziertisch vor dem Hörer liegen, bleibt allerdings der Eindruck von Kälte nicht aus. In der Wochenzeitung ‘Die Zeit’ stand etwas von Eiswürfeln. Leidenschaftliche Hingabe scheint auf der Strecke geblieben zu sein, als jeder Ton erst den Umweg durch Leonhardts Bewusstsein gemacht hat. Das gilt besonders für einige ruhige Stellen.

Hitze

Bestes Beispiel für das Kälteproblem ist die Komposition ‘Ut re mi fa sol la’, die rational nach der ihr zugrundliegenden Tonformel benannt ist (Ut entspricht Do) und eigentlich die Lebendigkeit des Interpreten braucht, welche Leonhardt vermissen lässt. Doch schon kurze Zeit später kann einem Leonhardts Spiel heiß vorkommen. Die Luft brennt, wenn er wild verschachtelte Läufe präzise und mitreißend spielt. Auch begleitende Akkorde im Stile der Lautenmusik werden mit Nachdruck in die Tasten gehämmert. Alles Feuer ist allerdings weiter auf dem Fundament eiskalter Klarheit gebaut. Auch wenn diese Aufnahme zweifellos der Alptraum aller Freunde des lebhaften, subjektiven und organischen Spiels ist, fasziniert sie doch. Die Faszination, die davon ausgeht, hat etwas von der Faszination von Maschinen: Aus Berechnung entsteht (scheinbar) Unberechenbares. Gustav Leonhardt – die Cembalomaschine – spielt das Byrd-Programm.

Fazit

Bilder sind nicht in der Lage, den Klang dieser Aufnahme genau einzuordnen. Unauflösbare Kontraste und widersprüchliche Gefühle trotz übertriebener Klarheit machen diese kontroverse CD im schönen Design des Alpha-Labels so interessant wie das Kribbeln, dass man von extrem heißem oder extrem kalten Wasser bekommt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Kritik von Paul Bräuer,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Byrd, William: Harpsichord music

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Alpha Classics
1
01.05.2005
Medium:
EAN:

CD
3760014190735


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Byrd, William
Leonhardt, Gustav


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Alpha Classics

"Haute-Couture-Label", "Orchidee im Brachland der Klassikbranche" oder schlicht "Wunder", das sind die Titel mit denen das französische Label ALPHA von der Fachpresse hierzulande bedacht wird. In der Tat ist die Erfolgsgeschichte des Labels ein kleines Wunder. Honoriert wurde hiermit die Pionierlust und Entdeckerfreude des Gründers Jean-Paul Combet und die außerordentliche Qualität seiner Künstler und Ensembles (z.B. Vincent Dumestre, Marco Beasley, Christina Pluhar u.v.a.), aber auch die auffallend schöne, geschmackvolle Präsentation der Serie "ut pictura musica" mit ihren inzwischen mehr als 200 Titeln. Das schwarze Front-Layout und die Grundierung mit venezianischem Papier im Innern sind mittlerweile genauso zum Markenzeichen geworden wie die ausgesprochen stimmungsvollen Fotografien der Aufnahmesitzungen durch den Fotografen Robin Davies. Das Programm umfasst die Zeitspanne von der mittelalterlichen Notre Dame-Schule bis hin zur klassischen Moderne, doch ist nach wie vor ein deutlicher Schwerpunkt auf Alte Musik zu erkennen. Innerhalb des Labels möchte die zweite, auch "Weiße Reihe" genannte, Serie "Les Chants de la terre" die ältesten Quellen musikalischen Ausdrucks erkunden. Mit Virtuosität und Spielfreude widmet man sich hier dem Beziehungsfeld von schriftlich überlieferten und mündlich weitergegebenen Musiktraditionen, um alte Melodien zu neuem Leben zu erwecken. Trotz akribischer musikwissenschaftlicher Recherche geht es hier nicht um eindimensionale, akademisch trockene Werktreue, sondern um lebendigen Umgang mit altem Material.


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