
Nono, Luigi - La lontananza nostalgica utopica futura
Ein Blatt im Wind
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit ,La lontananza nostalgica utopica futura’ begibt sich Luigi Nono wieder in mindestens drei für die Konzertsituation problematische Gebiete: Raumklang, elektronische Musik und große Freiheit für die Interpreten. In der zeitgenössischen Musik ist es beliebt, den Raum ausdrücklich in eine Komposition einzubeziehen. Zwingende Konzepte sind jedoch selten. Eine noch weniger überzeugende Spielart ist die Bewegung der Musiker im Raum. Das Ergebnis ist meist verheerend: das Tapsen der Schritte, das Knirschen des Parketts mischt sich unter die Noten; und das Publikum verdreht neugierig den Hals, ohne noch allzu konzentriert auf die Musik zu achten. Selbst das Theater stellt die Guckkastenbühne nicht in Frage.
Bewegung im Raum Für eine Aufführung von ,La lontananza…’ müssen sechs Notenständer auf der Bühne und im Zuschauerraum verteilt werden, hinter denen der Geiger innerhalb eines Abschnitts bleiben muss. Entsprechend haben die sechs Abschnitte den Titel ,leggio’ – Notenständer. Die Bewegung verlegt Nono sehr klug zwischen die Abschnitte. Der Geiger muss nach Vortrag eines Teils möglichst umständlich zum nächsten Pult wandern und darf sich dabei auch von zusätzlich aufgestellten, leeren Notenständern irritieren lassen. Hier verweist Nono auf ein sein Denken bestimmendes Zitat: ,Wanderer, es gibt keine Wege, es gibt nur das Gehen’. Naturgemäß sieht man das alles auf der CD nicht, kann es sich aber, angeregt von den sehr guten Booklettexten, gut vorstellen. Zu hören ist es allerdings kaum – die akustischen Verschiebungen im Hörraum sind nur minimal.
Elektronik Elektronische Musik im Konzertsaal ist meist ein wenig erbauendes Erlebnis. Hier fehlt ganz einfach der Musiker, der gleich einem Priester das Unsagbare zelebriert. Der Herr am Mischpult, der fast immer hinter dem Publikum sitzt, ist da bloß Techniker. Insofern ist eine CD hier nicht im Nachteil. Nono hat für ,La lontananza…’ auf acht Tonbandspuren allerhand Klangbruchstücke aufgezeichnet und mehr oder weniger verfremdet, Geigentöne, Alltagsgeräusche, Stimmen. Der Interpret am Mischpult hat die Aufgabe, angemessen auf das Spiel des Geigers zu reagieren und die ihm passend erscheinenden Tonbandspuren einzuspielen. Bei einer solchen Freiheit ist nicht vorhersehbar, was am Ende heraus kommt. Der Komponist geht ein großes Risiko ein. Andererseits besteht so trotz eines vorgefertigten Tonbands immerhin die Möglichkeit zur Interpretation, was auch eine besondere Herausforderung dieses Werkes ausmacht.
Interpretation
Die Herausforderung am Mischpult nimmt der italienische Komponist Salvatore Sciarrino an. Er nimmt die Spuren mit den Geigenklängen stark zurück, hebt stattdessen die Spuren mit den Alltagsgeräuschen und Stimmen hervor. Zusammen mit der Geigerin Melise Mellinger schafft er eine intensive, gespenstisch beklemmende Atmosphäre als Rahmen für filigrane Geigentöne. Hier wird der in der Welt wandernde Nono gezeigt. (Sciarrino versteht die Alltagsgeräusche als Nonos Tagebuch.) Für den Zuhörer ist es eine Umkehrung, eine Art Rätsel.
Gleich den letzten Geigentönen sind wir Blätter im Wind.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Nono, Luigi: La lontananza nostalgica utopica futura |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
Kairos 1 18.05.2005 61:40 2001 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
78212412102 0012102KAI |
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Nono, Luigi |
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