
Morales en Toledo - Polifonía inédita del Códice 25
Gerettete Kostbarkeiten
Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Noone und dem ‚Ensemble Plus Ultra’ gelingt eine wunderbare interpretatorische Verbindung der strukturell-intellektuellen Tiefe der Kompositionen mit einer zutiefst musikalischen Haltung.
Vieles, das lange in verstaubten Archiven vor sich hin schlummerte, findet verschlungene Wege zurück in das musikalische Bewusstsein der Gegenwart. Manches davon besitzt bloß editorischen Wert oder kann allenfalls als illustrative Ergänzung zum ohnehin Bekannten gelten. Seltener werden funkelnde Schmuckstücke zu Tage gefördert, die auch nach langen Jahrhunderten musikalischer Weiterentwicklung noch voller Lebendigkeit sind und nichts von ihrer Strahlkraft als Zeugnisse überragender Meisterschaft eingebüßt haben. Dem englischen Musikforscher Michael Noone ist ein solcher Coup gelungen: Er fand eine Sammlung geistlicher Vokalwerke des vielleicht bedeutendsten spanischen Großmeisters des ‚Goldenen Zeitalters’, Cristóbal de Morales, in den Archiven der Kathedrale von Toledo, wo dieser seit 1545 für zwei Jahre nach seiner Rückkehr aus dem päpstlichen Dienst in Rom wirkte. Die bisher vollkommen unbekannten Werke schließen jene Lücke, welche sich im Schaffen Morales’ nach seiner römischen Zeit auftat, die ihrerseits durch Drucke und Abschriften bereits gut belegt und zugänglich war.
Wie andere begabte Zeitgenossen reifte Cristóbal de Morales am päpstlichen Hof in Rom zu einem angesehenen Komponisten und erhielt hier die höchsten und für eine erfolgreiche Tätigkeit notwendigen ‚Weihen’ der ultimativ gültigen Kompositionspraxis. Die umfassende Beherrschung der technischen Grundlagen war die unabdingbare Voraussetzung – Morales bereicherte die komplexen Strukturen um seine individuelle Musikalität, verdichtete das Stimmengeflecht meisterlich. Nationale und regionale Einflüsse aus Morales’ spanischer Heimat fanden Eingang, das römische Umfeld wirkte als Katalysator und bescherte seinem Kontrapunkt weltläufige Züge. Die reife Meisterschaft Morales’ führt auch den heutigen Hörer auf einen Höhepunkt der abendländischen Musikkultur, die sich in ihren späteren Epochen nach vollkommen anderen Prinzipien weiter entwickelte und diese Werke der üppigen Vokalpolyphonie gewissermaßen monolithisch dastehen lässt.
Sensationelle Interpretation
Wie so oft – wenn die Musik wunderbare Voraussetzungen bietet, wünscht man sich als Hörer die bestmögliche Interpretation. Und mit der vorliegenden Aufnahme werden alle Erwartungen erfüllt. Michael Noone konnte sich nicht nur als kundiger Musikhistoriker, sondern auch als Interpret von Format profilieren: Das von ihm geführte, ebenfalls englische ‚Ensemble Plus Ultra’ brilliert mit einer schönen, trotz schmaler Besetzung kompakten Chorwirkung. Deutlich kommen die gemeinsamen klangästhetischen Vorstellungen der Musik zu Gute, werden auch scheinbar einfacher gesetzte Passagen der ‚Toledaner Einstimmigkeit’ zu klanglichen Erlebnissen. Der auf diese Weise entstehende perfekt kontrollierte Klang lässt alle Stimmen zur Geltung kommen, gibt den mit vorzüglicher Klarheit zeichnenden Registern Raum zur Entfaltung.
Die Palette der gewählten Tempi schwankt wenig um ein mittleres, immerfort fließendes Maß, passt sich ebenso wie die wogende Dynamik in die strukturellen Bedingungen der Musik ein. Besondere Erwähnung verdient Noones Auffassung der Musik: Er phrasiert sehr großflächig, denkt linear – und leitet die Sänger zu gleichem Tun an. Auf diese Weise entsteht ein perfekt aufblühendes Gleichgewicht von Spannung und Entspannung, werden die sanft eingefügten Klauseln ideal angesteuert.
Noone und dem ‚Ensemble Plus Ultra’ gelingt eine wunderbare interpretatorische Verbindung der strukturell-intellektuellen Tiefe der Kompositionen mit einer zutiefst musikalischen Haltung. Auch die geglückte Einbettung der kontrapunktischen Prinzipien in die liturgischen Abfolgen der Toledaner Tradition engt keineswegs ein – vielmehr beschert sie der Musik eine zusätzliche Sinnebene, die weit über das Technische und Ästhetische hinausweist. Wenn solch hochkarätige Kostbarkeiten dem Vergessen entrissen und in einer überaus geglückten Interpretation vorgelegt werden, ist das auch ein Verdienst des spanischen Labels ‚Glossa’, das sich in der eben begonnenen Reihe ‚Los Siglos de Oro’ dem reichen Erbe der spanischen Renaissance widmet und bereits mit dieser ersten Platte bleibende Verdienst erworben hat.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Morales en Toledo: Polifonía inédita del Códice 25 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Aufnahmejahr: |
Glossa 1 01.03.2005 2004 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
8424562220010 GCD922001 |
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Morales, Cristóbal de |
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Glossa Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster. Mehr Info... |
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