
Busoni, Ferruccio - Piano Works
Pianistische Notwendigkeit
Label/Verlag: Stradivarius
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ferruccio Busoni ist wohl einer der wenigen Komponisten, die als Bearbeiter fremder Werke ein mindestens ebenso hohes Ansehen genießen wie als Schöpfer ganz eigener Kompositionen. Seine umwerfende Klavier-Bearbeitung der d-Moll-Chaconne (für Violine solo von J. S. Bach) ist nach wie vor ein gleichermaßen gefürchtetes wie populäres Stück an Hochschulen (weil sie strukturell anspruchsvoll ist, man aber gleichzeitig pianistisch ,so viel zeigen kann'); Busonis Bearbeitungen einiger Bach-Choralvorspiele haben in den letzten Jahren eine regelrechte Renaissance erlebt und werden auch von Pianisten mit großer medialer Reichweite - etwa von Murray Perahia - regelmäßig gespielt. Die vorliegende CD nun widmet sich allerdings Bach-Bearbeitungen Busonis, die im Musikbetrieb eher selten zu hören sind sowie einigen ,normalen' Kompositionen Busonis, die teilweise aber auch über einem Thema von J. S. Bach aufbauen und die man teilweise als ,auskomponierte Improvisationen' bezeichnen könnte.
Als Busoni diese Stücke schrieb, waren Bearbeitungen fremder Werke zwar noch nicht in dem Maße verpönt wie das einige Jahrzehnte später der Fall sein sollte - gleichzeitig waren Arnold Schönberg und andere bereits deutlich unterwegs auf einen atonalen, ja zwölftönigen Planeten. Busoni war intellektuell durchaus im 20. Jahrhundert angekommen, gleichzeitig war er pianistisch und auch geistig ein Kind Liszts - Busoni hat nicht nur dessen Klaviertechnik weiterentwickelt, sondern besaß auch eine fast identische Einstellung zum Thema Bearbeitung: demnach sollte eine Bearbeitung fremder Werke der gegenwärtigen Kompositionspraxis sowie dem modernen Instrument gerecht werden, gleichzeitig aber die ,poetische Idee' des Originals erhalten werden. Wie aber nun könnte man Stücke von J. S. Bach bearbeiten und dabei der kompositorischen Gegenwart des frühen 20. Jahrhunderts gerecht werden? Busoni umgeht in gewissen Weise diese Frage, indem er sich dem Thema weniger von der kompositionstheoretischen Seite nähert, sondern von der pianistischen. Bachs wesentliche Strukturen bleiben in den hier eingespielten Bearbeitungen praktisch unangetastet, gleichzeitig widmet sich Busoni vor allem den Klangeigenschaften des modernen Konzertflügels.
Die hier unter ,Bach-Busoni' vorgestellten Stücke klingen im ersten Moment wie Klavierauszüge - so dezent sind seine Eingriffe. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass durch gezielte Eingriffe im dynamischen Bereich oder in Sachen Pedal dem Flügel eine Aussagekraft verliehen wird, die in einem ,normalen' Klavierauszug üblicherweise überhaupt keine Rolle spielt - ähnlich etwa Busonis Bach-Ausgaben des ,Wohltemperierten Klaviers'. Ganz anders sieht es aus bei einigen der Stücke, die als Busonis Eigenkompositionen vorgestellt werden, sich jedoch direkt auf Bach beziehen (wie zum Beispiel ,Fantasia nach Bach'). Hier schöpft der Komponist aus dem Vollen, wenn es darum geht, die pianistischen Errungenschaften des vorangegangenen Jahrhunderts (vor allem durch Chopin und Liszt) mit Bachs thematischen Einfällen zu verbinden. Es handelt sich dabei um sehr virtuose, pianistisch sehr anspruchsvolle, gleichzeitig auch sehr mächtige Musik, die stellenweise durchaus vergleichbar ist mit Busonis Bearbeitung der d-Moll-Chaconne und mit der Busoni deutliche hörbar an Liszts Paraphrasen-Stil anknüpft. Dabei war es sein ganz großes Plus, dass er selbst zu den größten Pianisten seiner Zeit (in direkter Linie Liszts) gehörte, dass er wie fast alle großen Pianisten ein gehöriges improvisatorisches Talent besaß und - was wohl das wichtigste ist - kompositorische Lösungen aus der Notwendigkeit am Instrument heraus entwickeln konnte.
Versöhnung von GegensätzlichemBemerkenswerterweise ist Andrea Padovas Spielweise von einer ähnlichen - scheinbar paradoxen - Mischung zwischen Behutsamkeit und Deutlichkeit geprägt wie Busonis Bearbeitungsstil. In Busonis Eigenkomposition ,Fantasia nach Bach' etwa hat es der Pianist mit teilweise haarsträubenden technischen Schwierigkeiten zu tun, gleichzeitig vermittelt Padova dabei über weite Strecken eine ,typische Bach'sche' Unaufgeregtheit. Wie bei Busoni auch scheint es Padova - bewusst oder unbewusst - darum zu gehen, scheinbar Unvereinbares zu vereinen. So spielt er mit sehr klarer Artikulation, sehr deutlicher Unabhängigkeit der Finger (besonders deutlich zu hören in ,Preludio, Fuga e Fuga Figurata'), andererseits hat er keinerlei Scheu - ganz in Busonis spätromantisch-pianistischem Sinne - die klanglichen Möglichkeiten des modernen Konzertflügels ordentlich auszuschöpfen, wozu auch der stellenweise üppige Pedalgebrauch gehört.
Padovas Anschlag ist nicht unbedingt variabel, allerdings macht er dies zum großen Teil dadurch wett, dass er vergleichsweise großes Augenmerk auf dynamische Feinheiten legt, etwa wenn das Hineintreten in eine andere harmonische Ausdruckswelt unterstrichen oder offenbar an den Registerwechsel der Orgel erinnert werden soll. Seine Stärken liegen in allem, was im engeren oder weiteren Sinne mit Lautstärke zu tun hat: sinnvolle Akzente, deutlich auftaktige Spielweise, verschiedene Lautstärkeebenen, die gegeneinander gestellt werden. Dazu kommt, dass jeder Ton Artikulation hat, also keine Töne im Kielwasser anderer ,mitgeschleppt' werden.
Aus heutiger Sicht wirkt vielleicht erstaunlich, dass Busoni als durchaus weltoffener, moderner Geist angesichts des kompositorischen Neulands seiner Kollegen Eigenkompositionen und Bearbeitungen vorgelegt hat, die auf den ersten Blick wie reines Desinteresse an der kompositorischen Avantgarde wirken müssen. Dies ist nur so zu erklären, dass Busoni - der nun mal so gut Klavier spielte wie sonst kaum ein anderer Komponist seiner Zeit - es durchaus auch als Herausforderung empfand, die pianistische Sinneserfahrung auf sehr hohem Niveau zu erweitern und dies im Einzelfall über kompositionstheoretische Überlegungen (im engeren Sinne) zu stellen. Bei den großen Klavierkomponisten wie Chopin und Liszt traten kompositionstheoretische Neuerungen oftmals fast ,beiläufig' auf - wie eine unbeabsichtigte Folge einer pianistischen Notwendigkeit wenn es darum ging, eine bestimmte Klangvorstellung umzusetzen. Dies lässt sich - wenn auch in etwas abgeschwächter Form - auch von Busoni sagen. Oder anders ausgedrückt: ihn interessiert hier weniger die Theorie als vielmehr der Klang.
Es lohnt sich jedenfalls, diese sehr schönen und auch pianistisch interessanten Stücke - sowohl die Bach-Bearbeitungen (wie etwa ,Preludio, Fuga e Allegro' oder ,Fantasia, Fuga, Andante e Scherzo') wie aber auch die Eigenkompositionen (besonders die ,Fantasia nach Bach') - etwas näher zu betrachten und sie vielleicht mehr und mehr in die Konzertsäle zurückzuholen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Busoni, Ferruccio: Piano Works |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
Stradivarius 1 03.11.2006 65:52 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
8011570336576 STR 33657 |
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Bach, Johann Sebastian |
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Stradivarius Das 1988 gegründete Label STRADIVARIUS hat sich auf dem internationalen Markt als unabhängige Schallplattenfirma durchgesetzt, die vor allem auf zwei musikalische Gattungen spezialisiert ist: klassisch - aus der Renaissance und dem Barock - (mit der Reihe Dulcimer) und zeitgenössisch (mit der Reihe Times Future). Diese programmatische Entscheidung kommt aus dem Willen, eine ganz bestimmte und bezeichnende Rolle im heutigen Schallplattenumfeld zu spielen. Insbesondere hat STRADIVARIUS immer das Ziel verfolgt, den Vorrang italienischen Komponisten und Interpreten zu geben, um die bemerkenswertesten italienischen Kulturdarsteller auf aller Welt kennenlernen zu lassen. In einem weiten Bereich ist STRADIVARIUS tätig: geistige, säkulare, Vokal-, Instrumental-, Solo-, Kammer- und Orchestermusik. Es gibt viele Beispiele seltener Registrieren, die als außerordentliche Kunstwerke weltweit betrachtet werden, wie zum Beispiel die Serie Un homme de concert, die die Zusammenarbeit mit dem berühmten Sviatoslav Richter offiziell festgelegt hat. Was das zeitgenössische Repertoire betrifft, ist STRADIVARIUS im Laufe der Jahre, dank der Reihe Times Future, ein Bezugspunkt geworden, indem sie Werke von Franco Donatoni, Salvatore Sciarrino, Bruno Maderna, Goffredo Petrassi, Ivan Fedele, Luis De Pablo, Toshio Hosokawa und viele andere veröffentlicht hat. Bruno Canino, René Clemencic, Alan Curtis, Emilia Fadini, Monica Huggett, Lucas Pfaff, Arturo Tamayo, Maggio Musicale Fiorentino, Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, Orchestra Verdi di Milano, Orchestre Philarmonique de Radio France, Orquesta y Coro de Madrid: Sie sind nur einige der Musiker und Formationen, die CDs für STRADIVARIUS aufgenommen haben. Mit der Zeit ist das Bedürfnis entstanden, den Verlegervorschlag weiter zu diversifizieren; dadurch sind wichtige Reihen geboren, und zwar Guitar Collection (unter der Leitung von Frédéric Zigante), Ricordi Oggi (Ergebnis der Zusammenarbeit unter Stradivarius, dem Ricordi Universal Verlag und den Erben des Malers Emilio Tadini) und Milano Musica Festival (in Zusammenarbeit mit Milano Musica und RAI Radio3). Letzte in zeitlicher Reihenfolge ist die Landscape Serie, mit der STRADIVARIUS ihre Bereitschaft beweist, innovative Projekte zu verwirklichen. Mehr Info... |
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