
Strawinsky, Igor - A National Film Board of Canada Release
Aus einer anderen Zeit
Label/Verlag: VAI
Detailinformationen zum besprochenen Titel
‘Stravinsky’ ist ein Film aus einer anderen Zeit. Gedreht in 1965 und lediglich in den 90ern subtil modifiziert. Einer Zeit, als man noch keine ‘emotionalen’ Ergänzungen im Titel benötigte, um einen Film zu bewerben. Einer Zeit, als sich die Handlung vor der Kamera frei entfalten durfte und nicht ständig jemand ‘Cut!’ oder ‘Action!’ dazwischen rief. Aus einer Zeit also, deren Werke anhand der Kriterien des kommerziellen Kinos kaum mehr gemessen werden können und die selbst so manchem ehrenwerten Journalisten ein Gähnen in die Mundwinkel zaubern mag. Und dennoch ist er ein faszinierendes Dokument.
Denn ‘Stravinsky’ ist auch ein Film über eine andere Zeit. Man erkennt das schon an den Umgangsformen, formaler und respektvoller als heute, am ruhigen und ungehetzten Konversationston. Es war weniger das Blitzlichtgewitter der Boulevardfotografen, welches die über achtzig-jährige Eminenz umgab, sondern eine schwere, Ehrfurcht gebietende Aura. Ganz so wie die kurze Stille zwischen dem Ende der Orchesterprobe und den ersten Takten eines Konzerts. Da passt es, dass die Bilder der Dokumentation von einer Aufnahme der Psalmensymphonie in Toronto eingerahmt werden, welche Stravinsky eigenhändig leitet. ‘Are we ready?’ fragt der Maestro, hält kurz inne und sinniert: ‘Not yet’, nur um sich rasch die Ärmel hochzukrempeln. Sein lebendiger, konzentrierter Stil ist selbst in hohem Alter noch erkennbar, die Fähigkeit, die Essenz der Musik in den sparsamen Bewegungen seiner Hände und Arme zum Ausdruck zu bringen. ‘No rehearsing, just playing through’ lautet der einfache Auftrag und alle, denen die Schnipselarbeit der modernen klassischen Studioarbeit ein Gräuel ist, werden hier befreit aufatmen: Bis auf wenige kritische Stellen wird das Werk einfach am Stück durchgespielt, fast fehlerfrei und nahe an der Perfektion. Man muss sich ein wenig gedulden, ehe der Film sich von dieser Szenerie entfernt und selbst dann bleibt er rein faktisch an der Oberfläche.
Doch liegt das vollkommen in seiner Intention: Dies ist keine Biographie, sondern ein Portrait, nach damaligen Maßstäben fast unerhört modern und über weite Strecken komplett auf Moderation und Explikation verzichtend. Die Kamera folgt dem alten Mann auf eine Schiffsreise in Deutschland und bittet viele seiner Freunde und Wegbegleiter zu Wort. Lediglich kurze historische Sentenzen und wenige eingestreute Fotos dokumentieren seine persönliche Geschichte, seine Liebe fürs Ballett, seine armutsbedingte Flucht aus Russland und seinen rasanten Aufstieg an die Weltspitze. Auf alles Weitere wird verzichtet. Zu recht: All dies ließe sich leichtens in der einschlägigen Literatur nachlesen, doch nirgendwo sonst kommt man dem Stravinsky so nahe, der auf der Fähre ‘I’m never seasick – I’m seadrunk!’ murmelt und noch einen ordentlichen Schluck Vodka nimmt. Ein Treffen mit seinem Freund Nabokov (…) in einem Pariser Hotelzimmer gerät zu einem amüsanten und gleichzeitig beinah anrührenden Treffen zweier älterer Männer, die viel gesehen und viel zu erzählen haben. Man scherzt mit den Kameraleuten, die kein Französisch verstehen, trinkt ein paar gute Klare aus einem gemeinsamen Glas, tauscht Anekdoten und Aktuelles aus. Die Kamera läuft und läuft und man wollte, sie möge da einfach stehen bleiben und den beiden weiter zusehen und zuhören.
Doch war das eben eine andere Zeit. Da, wo das Private anfing, hatte sich das Fernsehen auszuklinken und die Objektive neugieriger Pressevertreter blieben vor der Tür, statt für 24 Stunden am Tag jeden Schritt und Tritt zu dokumentieren. Es war auch eine Zeit, in der es keine DVDs, keine ‘Behind the Scenes’ oder Untertitel gab, die man nach Belieben ein- und ausblenden konnte – weswegen diese konsequenterweise auf dieser Veröffentlichung fehlen.
Und sogar das mutet hier beinahe sympathisch an.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Features: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Strawinsky, Igor: A National Film Board of Canada Release |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
VAI 1 22.11.2004 |
Medium:
EAN: |
DVD
0089948429098 |
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Strawinsky, Igor |
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VAI Video Artists International (VAI) incorporated in 1983 and became the first US-based company to offer a selection of home video featuring opera, concert and ballet performances from international performance centers. In 1991 VAI began producing compact discs.. In 2001 VAI released its first DVD.
Initial VHS releases included ballet films from Russia followed by a series of complete operasstarring Anna Moff, Renata Tebaldi in Tosca and Beverly Sills All these remain best sellers for VAI. Also issued were recitals by Rosalyn Tureck, Anna Russell, Renata Scotto and others. All of these have been issued on DVD. Mehr Info... |
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